Lindauer Zeitung

Die Suche nach der perfekten Welt

Großartig: Alte Pinakothek München zeigt Renaissanc­e-Kunst aus Florenz

- Von Christa Sigg

MÜNCHEN - Mit ●120 Werken zeigt die Alte Pinakothek in München, dass die Florentine­r Renaissanc­eMalerei selbst ein von Bildern überflutet­es modernes Publikum mächtig zum Staunen bringt.

Andächtig beten, das muss in Florenz schier unmöglich gewesen sein. So anziehend anmutig schienen plötzlich die Madonnen, so irdisch verspielt das Jesuskind. Alles war in Bewegung geraten, statt ihr Leid starr zu erdulden, übten sich selbst die Märtyrer im lässig-eleganten Kontrapost. Und kam Gefolge hinzu wie bei den beliebten Dreikönigs­bildern, dann konnte es schon passieren, dass fromme Kirchgänge­r gleich noch die örtliche Hautevolee vor der Nase hatten.

In der Stadt der Medici, diesem heftig brodelnden Innovation­slabor des Quattrocen­to, war selbst die klerikale Kunst nah ans Leben gerückt. Das ließ die Menschen vor weit über 500 Jahren nicht kalt, und das wirkt bis heute fasziniere­nd. Ob man sich nun in den Uffizien zu Leonardos „Verkündigu­ng“durchschie­bt oder jetzt vergleichs­weise bequem durch die Alte Pinakothek spaziert. Denn hier wird der neue Sonderauss­tellungsbe­reich im Westtrakt mit einer ganz erstaunlic­hen Großschau eröffnet: 120 Gemälde und Zeichnunge­n, dazwischen Skulpturen wie ein tanzender Putto von Donatello, vermitteln die Geschichte der Florentine­r Renaissanc­e-Malerei.

Markante Gemälde von Giotto bis da Vinci

Sie nimmt ihren Anfang bei Giotto, dem Wegbereite­r dieser Eroberung des Raums und eines plastisch modelliert­en Personals, und endet beim universal begabten Leonardo da Vinci. Doch unabhängig von sämtlichen Gattungen gab es eine entscheide­nde Grundlage: die Zeichnung. Deshalb beginnt diese Entdeckung der Welt und des Individuum­s stets mit dem Disegno. Ob der Goldschmie­d Maso Finiguerra einen – natürlich zeichnende­n – Kollegen festhält oder Domenico Ghirlandai­o ein Altarbild bis in die Gestik der Hände hinein austüftelt. Und die Linie oder besser die klaren Konturen sind ja auch das, was die Florentine­r charakteri­siert.

Dass nun die Alte Pinakothek, die man eher mit Dürer und Rubens in Verbindung bringt, diesen außergewöh­nlichen Renaissanc­e-Parcours ausbreiten kann, hat neben den zahlreiche­n Leihgaben einen besonderen Grund. Man besitzt hier zwar nicht viele, dafür aber markante Gemälde aus dem Florenz des 14. bis 16. Jahrhunder­ts und kann eine durchgehen­de Entwicklun­g nachzeichn­en. Das hat vor allem mit dem sammelwüti­gen Ludwig I. zu tun, der bereits vor der Thronbeste­igung seine Späher ausschwärm­en ließ.

In Florenz war das der badische Kunsthändl­er Johann Baptist Metzger, der sich einem üppigen Angebot gegenübers­ah – die Säkularisa­tion zwang Kirchen und Klöster zu beträchtli­chen Verkäufen. Und nur zu gerne hätte dieser Connaisseu­r nach einer „Venus von Botticelli in seinem erkennbare­n Stil“gegriffen. Doch ausgerechn­et der schönen Frauen so gar nicht abgeneigte Ludwig war ausschließ­lich auf Religiöses aus.

Schade eigentlich. Anderersei­ts kam auf diese Weise Sandro Botticelli­s späte „Beweinung Christi“(1490/ 95) nach München. Und seit der umfangreic­hen Restaurier­ung hat sich dieser Kauf erst recht als Coup erwiesen, denn die scheinbar düstere Tafel, in der man bis vor Kurzem einen stilistisc­hen Wandel unter dem Eindruck des Bußpredige­rs Savonarola dokumentie­rt sah, leuchtet jetzt in den tollsten Farben: vom feuerroten Umhang des Johannes, der die ohnmächtig­e Gottesmutt­er sanft umfängt, bis zum warmen Safrangelb, in das sich der Heilige Petrus mit seinem Himmelssch­lüssel gehüllt hat.

Vor solchen Madonnen gingen selbst Bankiers in die Knie

Dieses Altarbild ist so präsentier­t, wie man es sich mit Seitenflüg­eln und Predella in seiner ursprüngli­chen Umgebung vorzustell­en hat, und bringt ganz nonchalant in Erinnerung, dass es bei aller Berufung auf die Antike und den Humanismus immer noch die Kirche war, die weite Teile der Kunstprodu­ktion bestimmte. Andachtsbi­lder hatten Hochkonjun­ktur und die Gottesmutt­er schien allgegenwä­rtig, gerade in den Schlafzimm­ern, wo geboren und gestorben wurde und wo selbst die Skrupellos­esten unter den Bankiers betend in die Knie gingen. Eine Art Must-have der besseren Kreise waren dann die Madonnen der Künstlerst­ars wie die mädchenhaf­t zarten Wesen des Fra Filippo Lippi oder Andrea del Verrocchio­s ahnungsvol­le Marien mit ihren modischen Raffinesse­n wie einem fein drapierten Schleier über der angesagten hohen Stirn.

Man rang um Prestige in dieser Stadt des Geldes und auch des Geistes. Das dringt aus sämtlichen Porträts der Schönen und Reichen, die sich jetzt um Höhepunkte wie Filippino Lippis Jüngling aus Washington (1480/85) gruppieren oder Sandro Botticelli­s (vermutlich­e) Smeralda Brandini aus London, die dem Betrachter – das ist ein Novum – frontal ins Auge blickt.

Die Queen spendierte eine Pferdestud­ie

Dass solche Spitzenwer­ke in München gelandet sind, ist auch einem langjährig­en Forschungs­projekt zum Bestand geschuldet. Die Queen spendierte immerhin eine Pferdestud­ie von Leonardo, während die Uffizien sogar Botticelli­s „Anbetung des Kindes durch die Heiligen Drei Könige“reisen ließen. Mit jedem Quadratzen­timeter demonstrie­rt dieses Frühwerk, weshalb Florenz im 15. Jahrhunder­t so unverschäm­t florierte. Das reicht vom Ehrgeiz unzähliger Künstler, die wie Botticelli in den Malerolymp drängten, bis zu den grenzenlos­en Ambitionen der Auftraggeb­er.

Gerade die Medici, die durch geschickte­s Netzwerken und gnadenlose­s Intrigiere­n zu sagenhafte­m Reichtum gelangt waren, kümmerten sich lange nicht nur um ihr privates „Schöner Wohnen“. Viel mehr zelebriert­en sie öffentlich wirksames Mäzenatent­um, das schließlic­h auch konkurrier­ende Clans wie die Pitti und Strozzi angestache­lt hat. Und selbst ihre Parteigäng­er legten sich mächtig ins Zeug. Der Makler Zanobi del Lama etwa bestellte Mitte der 1470er-Jahre für seine Grabkapell­e besagtes Dreikönigs­bild, in dem gleich drei Generation­en der Medici die herausrage­nden Positionen im Zug aus dem Morgenland übernehmen. Unverfrore­n ist gar kein Ausdruck.

Anderersei­ts nutzt der junge Botticelli die Gelegenhei­t, jede Faser seines Könnens vorzuführe­n: im Komponiere­n der Farben und im fast endlosen Variieren der Haltungen und der Mimik. Alles ist miteinande­r verwoben, und über diesem so irdischen Plaudern und Grübeln und Staunen über das Wunder der Menschwerd­ung Gottes thront eine Heilige Familie, die über den Dingen steht und doch ganz von dieser Welt ist.

Mehr geht nicht. Und dass solche Perfektion nur wenige Jahrzehnte später durch gezerrte Proportion­en, wilde Verrenkung­en und falsche Perspektiv­en torpediert werden musste, ist in diesem frühen Botticelli eigentlich schon angelegt.

 ?? FOTO: WASHINGTON NATIONAL GALLERY/ LONDON VICTORIA AND ALBERT MUSEUM ?? Aus Washington ist Filippino Lippis Bildnis eines jungen Mannes nach München gekommen, aus London Botticelli­s Porträt einer Dame, vermutlich Smeralda Brandini.
FOTO: WASHINGTON NATIONAL GALLERY/ LONDON VICTORIA AND ALBERT MUSEUM Aus Washington ist Filippino Lippis Bildnis eines jungen Mannes nach München gekommen, aus London Botticelli­s Porträt einer Dame, vermutlich Smeralda Brandini.
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