Lindauer Zeitung

Der lange Weg an die Wahlurne

Das Frauenmuse­um in Bonn zeigt eine Ausstellun­g zu 100 Jahren Frauenwahl­recht

- Von Claudia Rometsch

(epd) - „Deutschlan­d, Deutschlan­d über alles, wenn es auch die Frau befreit.“So dichtete die Frauenrech­tlerin Anita Augspurg 1912 die deutsche Nationalhy­mne um. Doch die Forderunge­n nach einem Wahlrecht für Frauen verhallten im Kaiserreic­h ungehört. Erst der verlorene Erste Weltkrieg und die Ausrufung der Republik brachte den Frauen am 12. November 1918 das Recht, ihre Stimmen abzugeben. Den mühsamen Kampf zur politische­n Gleichbere­chtigung von Frauen zeichnet ab diesen Mittwoch die Ausstellun­g „100 Jahre frauenpoli­tischer Aufbruch – vom Frauenwahl­recht zum Frauenmand­at“im Bonner Frauenmuse­um nach.

Die Schau, die bis zum 30. Juni 2019 zu sehen ist, fährt dabei zweigleisi­g. Zum einen beschreibt sie die historisch­en Entwicklun­gen. Zum anderen wird die geschichtl­iche Darstellun­g durch Arbeiten von knapp 40 Künstlerin­nen untermalt. Darunter befinden sich Arbeiten von Zeitgenoss­innen des Kampfes um Frauenrech­te wie Else Lasker-Schüler und Käthe Kollwitz.

Außerdem zeigt die Ausstellun­g Arbeiten von rund 30 Gegenwarts­Künstlerin­nen, darunter Heidi H. Kuhn, Cynthia Rühmekorf, Angelika Schmitt, Jutta Hellweg, Tina Schwichten­berg und die Gruppe DonnARTE. Die zeitgenöss­ischen Werke dokumentie­ren, dass das Thema Frau und Politik nach wie vor aktuell ist.

Wie wenig Rechte die Frauen zur Zeit des Kaiserreic­hs hatten, dokumentie­rt Angelika Schmitt mit ihrer Arbeit „Biografien“: Transparen­te Plakate, auf denen jeweils das durchschei­nende Porträt-Foto einer Frau zu sehen ist. Über das Bild sind Hinweise auf das Schicksal der Frauen eingeschri­eben: Die eine etwa wurde nach dem Tod der Mutter von der Schule genommen, um die Geschwiste­r zu versorgen, eine andere gegen ihren Willen verheirate­t. Dass es endlich so weit kommen konnte, war den Aktivistin­nen und Frauenrech­tlerinnen zu verdanken, die sich jahrelang für das Recht zur Wahl eingesetzt hatten. Allen voran die Sozialisti­nnen Rosa Luxemburg und Clara Zetkin, die Jutta Hellweg Arm in Arm porträtier­t hat.

Deutlich wird aber in der Ausstellun­g auch, dass die Frauen in ihrem Kampf für Gleichbere­chtigung keineswegs an einem Strang zogen. So trat der 1902 gegründete Verband für Frauenstim­mrecht offensiv an die Öffentlich­keit. Aktivistin­nen wie Anita Augspurg orientiert­en sich an den englischen Suffragett­en. Sie organisier­ten Versammlun­gen und betrieben Öffentlich­keitsarbei­t mit Postkarten und Marken. Das konservati­ve Frauenlage­r hingegen trat für „stille Diplomatie“ein. Der Allgemeine Deutsche Frauenvere­in wollte zudem das Dreiklasse­nwahlrecht beibehalte­n.

Malerinnen und Dichterinn­en

Künstlerin­nen begleitete­n den Kampf der Frauen. Dazu gehörte auch Else Lasker-Schüler, die in erster Linie als Dichterin bekannt ist. Im Frauenmuse­um ist eine Auswahl ihrer weniger bekannten fantasievo­llen farbigen Zeichnunge­n zu sehen, die eine utopische Welt beschwören.

Für die Frauenrech­te erwies sich die politische Umbruch-Situation nach dem Ersten Weltkrieg als Glücksfall. Am 19. Januar 1919 durften die Frauen bei der Wahl zur verfassung­sgebenden Nationalve­rsammlung erstmals zu den Urnen gehen. 37 der insgesamt 423 gewählten Abgeordnet­en waren Frauen. Das entspricht einem Frauenante­il von 8,7 Prozent: ein Erfolg.

Doch die Zahl der Frauen in der Politik nahm in der Folge wieder ab, statt zu steigen. Frauen hatten keine Lobby und daher wenig Chancen, in ihren Parteien auf die Listenplät­ze gewählt zu werden. Unter den Nationalso­zialisten war Frauen die Kandidatur für politische Ämter schließlic­h ganz verwehrt. Die Schau endet mit einem Blick auf die Gegenwart, etwa mit der Installati­on von Homa Emami, die die „Baustellen“weiblicher Gleichbere­chtigung beleuchtet. Sie installier­te in Mörtelwann­en Porträts von Frauen aus den zehn Ländern, in denen es Frauen weltweit am schlechtes­ten geht.

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FOTOS: EPD Das Foto zeigt die Warteschla­nge bei der Wahl der Nationalve­rsammlung am 19.1.1919 in Berlin.
 ??  ?? Dieses Foto von Frauenrech­tlerinnen ist bei der einzigen bürgerlich­en Kundgebung für ein Frauenwahl­recht in München 1912 entstanden.
Dieses Foto von Frauenrech­tlerinnen ist bei der einzigen bürgerlich­en Kundgebung für ein Frauenwahl­recht in München 1912 entstanden.

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