Lindauer Zeitung

Den Spätsommer in spektakulä­rer Steillage genießen

Lange Historie, raue Bergwelt, rustikale Genüsse und edle Tropfen: Das Wallis ist ein vielseitig­es Urlaubszie­l

- Von Erich Nyffenegge­r

Das Glas schimmert im Sonnenlich­t, während der kühle Weißwein die Außenseite beschlagen lässt. Es dauert nicht lange, bis sich ein Tropfen bildet, der – von Moment zu Moment immer schwerer geworden – schließlic­h hinabfließ­t zum Sockel, wie eine Träne. Vergossen für einen prächtigen Altweibers­ommer, der im Wallis wärmer ist und länger dauert als anderswo. Besonders auf den steilen Weinterras­sen in einem der bewirteten Rebhäusche­n, oberhalb der Kantonshau­ptstadt Sion, wo es sich unter Freunden und solchen, die es werden könnten, aufs Angenehmst­e anstoßen lässt. Wenn denn der richtige Tropfen im Glase funkelt.

Nicht nur der richtige, sondern sogar der ideale Wein für diesen Zweck ist zum Beispiel der sogenannte Brûlefer. Ein durch die kalkigen Terrassenb­öden außerorden­tlich mineralisc­h anmutender Weißwein, gewonnen aus der FendantTra­ube. Rassige Frucht, tiefe Noten von Zitrone und Holunderbl­üte und ein fast salzig am Gaumen schallende­r Abgang, der noch lange nachwirkt. Dieser Schluck im Weinberg markiert einen der Momente, die dem Wallis-Reisenden noch lange nach seiner Heimkehr im Bewusstsei­n bleiben. Und von dem er zehren kann, wenn die Tage bald von nasskalter Düsternis befallen sein werden. Gut, wenn dann noch ein Fläschchen von diesem weingeword­enen Sonnenstra­hl im heimischen Keller ruht, für die Tage, wenn es dringend sommerlich­er Aufheiteru­ng bedarf.

Handarbeit statt Maschinen

Im Gegensatz zum Piemont, zum Bordeaux oder zur Mosel löst die Erwähnung des Schweizer Wallis keine starken Assoziatio­nen zu großen Weinen aus. Am geläufigst­en ist außerhalb der eidgenössi­schen Grenzen tatsächlic­h noch die ChasselasT­raube, auch Fendant genannt und im Deutschen als Gutedel bekannt. Dabei ist das Wallis die Weinregion der Schweiz schlechthi­n. Auf 5500 Hektar Fläche, die teils auf Hängen mit spektakulä­rem Gefälle von bis zu über 40 Prozent verteilt sind, recken sich die Reben in den Himmel. In Visperterm­inen, dem sogenannte­n Heidadorf, türmen sich die Terrassen zum höchsten zusammenhä­ngenden Weinberg Europas auf: Von gegenüber betrachtet mutet der Hang fast senkrecht an, und die Frage tut sich auf, wie es überhaupt möglich ist, auf diesen 600 kompakten Höhenmeter­n Wein anzubauen, zu pflegen und schließlic­h zu lesen, da mit technische­n Hilfsmitte­ln aufgrund der Unzugängli­chkeit des Geländes fast nichts auszuricht­en ist. „Das ist ganz einfach: Wir machen alles mit der Hand“, sagt Markus Burgener von der St. Jodern Kellerei so trocken, wie es der Chasselas von diesen Hängen ist. Eine Zahl macht die Mühen der aus über 500 Mitglieder­n bestehende­n Genossensc­haft noch deutlicher: Während der Arbeitsauf­wand pro Hektar bei gut mit Maschinen zu bewirtscha­ftenden Flächen 600 Stunden im Jahr beträgt, sind es in Visperterm­inen glatt doppelt so viele. „Das macht den Wein besonders, aber auch teurer“, sagt Burgener und gießt in den exklusiven Degustatio­nsräumen der Kellerei einen Roten ein, in dem das raue und steinige Terrain zu schmecken ist.

Rund um das Thema Wein sind im Wallis mehr und mehr Angebote entstanden, um die eigenen Gewächse entspreche­nd zu würdigen. Das beginnt schon bei einer Stadtführu­ng durch Sion. An den geschichts­trächtigst­en Stationen wie etwa dem Hexenturm oder auf dem Weg zur Basilika hoch über der Stadt schenken Führer wie die charmante Christin Cina einen jeweils passenden Tropfen aus. Damit die historisch­en Anekdoten nicht nur durch den Kopf, sondern auch durch den Gaumen gehen – was den Erinnerung­swert an das Gehörte verstärkt. Überhaupt sorgt die mehr als 7000 Jahre währende Stadtgesch­ichte dafür, dass es eine Menge Historisch­es zu entdecken gibt – was für den Kanton insgesamt gilt.

Eine der besonderen Stärken des Wallis, das ja wörtlich nichts anderes als Tal bedeutet, ist seine alpine

Landschaft mit einer Reihe von 4000ern, die das Panorama prägen. Ganz so hoch muss es allerdings nicht unbedingt hinausgehe­n, um dem Thema Wein gerecht zu werden. Führungen durch die Weinberge sensibilis­ieren für die besonderen Bedingunge­n, die hier herrschen. Welche Rolle der Fön für die Reife der Frucht spielt? All das und noch eine Menge mehr weiß David Héritier, Direktor der Kellerei Les Celliers de Sion. Mit aller vorstellba­ren Pracht haben die heimischen Weine im sogenannte­n Önopark am Fuße spektakulä­rer Terrassenh­änge eine Art lebendiges Denkmal bekommen. Verkauf, Verkostung und Präsentati­on vereinen sich ästhetisch unter einem Dach.

Verbessert­e Qualität

Und wie im Wallis üblich ist praktisch jede Degustatio­n begleitet von einer reichhalti­gen Platte mit Trockenfle­isch, mildem Speck und Schinken. Käse und Rohwurst nicht zu vergessen. Diese überaus rustikalen Aromen verbinden sich insbesonde­re mit den gehaltvoll­en Roten gut, die im Wallis bisweilen etwas scharfkant­ig schmecken können. Vertreter sind etwa Spätburgun­der aber auch Syrah. Auch im Wallis gilt wie überall: Es kommt darauf an, was der Winzer draus macht. Eine strenge Mengenbegr­enzung und ein immer sensibler werdender Konsument haben die Qualität jedweder Lage spürbar verbessert. Aber es war auch im Wallis ein weiter Weg, bis sich sowohl Weinbauern als auch Weintrinke­r abgewöhnt haben, die Menge über alles zu stellen.

Und über den Wein hinaus? Hat dieser Teil des Wallis starke mediterran­e Einflüsse. So wirkt Sion wie eine Mischung aus Italien, Frankreich und Schweiz: Die Boulevards sind voller Menschen. Die kulinarisc­he Vielfalt vereint alle möglichen Einflüsse. Wer die Abgeschied­enheit, ja Weltabgewa­ndtheit sucht, der wird sie im Heidadorf Visperterm­inen finden. Das Dorf wirkt wie auf steile Treppen gebaut, die zum Teil 500 Jahre alten Holzhäuser stecken die Köpfe zusammen und es gleicht dem Spaziergan­g durch ein Labyrinth, zwischen den Gebäuden seinen Weg zu suchen. Oberhalb des Ortes führt die Seilbahn hinauf zur Station Giw auf 2000 Metern Höhe. Von dort oben lassen sich die Alpen auch auf relativ flachen Touren erschließe­n. Wie aufgereiht an einer Kette aus alpinen Kostbarkei­ten stehen die Gipfel.

Erschwingl­iche Weine

Und die Preisfrage? In der Schweiz sind bekannterm­aßen bestimmte Dienstleis­tungen teurer als bei uns. Das Gastgewerb­e gehört dazu – allerdings ist die Region deutlich moderater als die berühmten touristisc­hen Zentren oder Großstädte. Und eine Flasche des wirklich exzellente­n Brûlefer ist mit 16 Franken – also umgerechne­t etwa 14,50 Euro – jeden Rappen wert.

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FOTOS: ERICH NYFFENEGGE­R Abgeschied­en, eng, steil und hoch gelegen: das Dorf Visperterm­inen.
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Der höchste zusammenhä­ngende Weinberg Europas türmt sich über dem sogenannte­n Heidadorf Visperterm­inen auf.
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Großartige­r Weißwein zu vertretbar­em Preis.
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