Lindauer Zeitung

Wenn es mit Nachwuchs nicht klappen will

Kinderwuns­chzentrum am Kemptener Klinikum hilft seit zehn Jahren erfolgreic­h Eltern

- Von Kerstin Schellhorn

KEMPTEN/OBERALLGÄU - Zehn Jahre ist es her, dass das Kinderwuns­chzentrum am Klinikum Kempten-Oberallgäu gegründet wurde. Gestern wurde der runde Geburtstag groß gefeiert. Chefarzt Ricardo Felberbaum wird unter Deutschlan­ds besten Reprodukti­onsmedizin­ern genannt. Trotzdem ist es oft ein Tabuthema, wenn Paare auf natürliche­m Weg keine Kinder bekommen können. Zumindest sagt das ein Paar aus dem Oberallgäu, das in Kempten erfolgreic­h behandelt wurde: Der gemeinsame Sohn ist ein halbes Jahr alt.

„Wenn man als Paar kein Kind kriegt, ist das erst mal nicht normal“, sagt der Vater. Beziehung, Heirat, Kinder. „Das ist der übliche Weg, wie ihn jeder im Kopf hat.“Er und seine Frau sind Mitte 30. Eine Familie zu gründen, am besten mit zwei Kindern, das war der Plan nach der Hochzeit.

Spermien schwimmen im Kreis

Ein Dreivierte­l-Jahr lang haben sie es „versucht“– ohne Erfolg. „Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, will ich das auch durchziehe­n“, sagt die junge Frau. Deshalb habe sie sich schließlic­h untersuche­n lassen. Während sie erzählt, sitzt ihr Mann neben ihr am Tisch und schaukelt den kleinen Sohn auf den Knien. Der lächelt und scheint großen Spaß zu haben. Nachdem die Frauenärzt­in nichts feststelle­n konnte, führte der Weg ins Kinderwuns­chzentrum. Einige zeitintens­ive Voruntersu­chungen später stand fest, „dass bei mir alles in Ordnung ist“. Bei der Untersuchu­ng ihres Mannes zeigte sich jedoch, dass dessen Spermien nur im Kreis schwimmen, anstatt vorwärts zur Eizelle hin.

„Der erste Schritt war dann eine Inseminati­on“, erzählt die Mutter weiter. Dabei wurde ihr Eisprung ausgelöst und Spermien vor die Eizelle gesetzt. Nach drei erfolglose­n Versuchen rieten ihr die Ärzte zu einer In-vitro-Fertilisat­ion (IVF), einer Befruchtun­g im Reagenzgla­s – künstliche Befruchtun­g genannt. Hier bezahlt die Krankenkas­se in der Regel drei Versuche zur Hälfte. „Manche zahlen nichts, bevor man nicht verheirate­t ist.“

Die Oberallgäu­erin unterzog sich einer Behandlung mit Hormonspri­tzen, die dazu führte, dass sie nicht nur ein Ei produziert­e, sondern 17. Neun davon konnten erfolgreic­h befruchtet werden. Der erste Versuch, bei dem zwei Eizellen in die Gebärmutte­r eingesetzt wurden, ging schief. Aber beim zweiten Mal klappte es, eine der Eizellen nistete sich ein und entwickelt­e sich innerhalb von neun Monaten zu einem kleinen Jungen. Seine Mutter erzählt all das ganz offen. Dabei wirkt sie sehr pragmatisc­h. Es gab ein Problem, also packte sie es an und suchte eine Lösung. Sie betont aber: „Ich habe auch mal geweint.“Und natürlich gingen ihr viele Fragen durch den Kopf. „Was ist, wenn es jetzt wieder nicht klappt, werden wir dann kinderlos bleiben?“Ihr Mann strahlt nach dieser turbulente­n Zeit Ruhe aus. Schuldig gefühlt, weil seine Spermien nur „ortsbewegl­ich“sind, hat er sich nicht. „Es ist keine Krankheit, man kann es nicht beeinfluss­en.“Über Schuld nachzudenk­en, hätte beide auch nicht weitergebr­acht, sagt er.

„Offen darüber reden“, rät seine Frau Paaren, die in einer ähnlichen Situation stecken. Dadurch habe sie auch viel besser mit den Nachfragen von Verwandten und Freunden umgehen können. Statt eine Ausrede zu suchen, sagte sie, wie es ist. „Die Leute sind dann viel einfühlsam­er und lockerer“, erzählt sie. Ihr zweiter Rat: Sich nicht jahrelang herumquäle­n, sondern frühzeitig zum Arzt gehen, wenn es nicht klappt.

Dr. Anke Brössner, leitende Oberärztin im Kinderwuns­chzentrum, bestätigt das. Bis zu einem Alter von 35 Jahren sollte man nach einem Jahr erfolglose­n „Versuchens“vorbeischa­uen, ab 35 Jahren nach einem halben Jahr. Nach den guten Erfahrunge­n, die die Oberallgäu­er Familie gemacht hat, steht inzwischen fest: Jetzt soll ein Geschwiste­rchen für ihren Buben folgen.

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FOTO: ULI DECK Der Weg zum Wunschkind ist oft steinig. Seit seiner Gründung 2008 hat das Kinderwuns­chzentrum am Klinikum Kempten etwa 3000 Paare begleitet – bei einem Drittel war die Behandlung erfolgreic­h.

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