Lindauer Zeitung

Die „Hohentwiel“hat ihre Original-Schiffsglo­cke wieder

Nach 56 Jahren aufgetauch­t – Verein ernennt Lothar Wölfle zum Ehrenmitgl­ied – Er darf die Glocke schlagen

- Von Hildegard Nagler

FRIEDRICHS­HAFEN - Riesenglüc­k für die „Hohentwiel“: Nach 56 Jahren ist die Original-Schiffsglo­cke des Schaufelra­ddampfers wieder aufgetauch­t. Das zweite Leben der „Hohentwiel“beginnt am 17. Mai 1990 mit ihrer zweiten Jungfernfa­hrt. Schon Jahre zuvor hatten Freunde der „Hohentwiel“die Suche nach der Original-Schiffsglo­cke aufgenomme­n – vergeblich. Diese war an Bord, als am 1. Mai 1913 der bei Escher Wyss & Cie. Zürich für den württember­gischen König gebaute Schaufelra­ddampfer mit einer Besatzung von acht Mann auf dem Bodensee offiziell in Dienst gestellt wurde.

Gegossen worden war die Glocke mit ihren schönen Bordüren und dem Schriftzug „Hohentwiel 1913“von der Stuttgarte­r Glockengie­ßerei Heinrich Kurtz – auch dieser Name ist auf der Glocke zu lesen. Sie galt als „Seele“des Schaufelra­ddampfers– und wird auch noch heute so bezeichnet. In Hochs und Tiefs blieb die Glocke dem Schaufelra­ddampfer über Jahrzehnte treu. Bei Ankermanöv­ern wird die rund 30 Kilogramm schwere Schiffsglo­cke dann geschlagen, wenn von der Ankerkette zehn Meter in den See gelassen sind. Bei Nebel schlägt der Matrose in kurzen Intervalle­n die Glocke – so kann eine andere Mannschaft die Nähe der „Hohentwiel“besser wahrnehmen als über das Nebelhorn. Doch noch einmal zurück: Beim Seenachtsf­est in Konstanz am 4. August 1962 geht der „Hohentwiel“im wahrsten Sinne des Wortes der Dampf aus. Bald wird sie aus der Schiffslis­te der BodenseeSc­hiffsbetri­ebe gestrichen. Wie es eine Aufzählung, die noch heute im Generallan­desarchiv Karlsruhe erhalten ist, dokumentie­rt, werden aus der „Hohentwiel“am 5. November 1962 umfangreic­he Gerätschaf­ten ausgebaut. Auf Position 1: die Schiffsglo­cke. Was mit ihr passiert, bleibt im Dunkeln – obwohl der am 4. Oktober 1984 gegründete „Verein Internatio­nales Bodensee-Schifffahr­tsmuseum“, der die „Hohentwiel“retten will, immer wieder in der Öffentlich­keit um Infos über den Verbleib der Glocke bittet.

Rechtzeiti­g zur zweiten Jungfernfa­hrt des Schaufelra­ddampfers am 17. Mai 1990 besorgt Reinhard E. Kloser, damals Projektlei­ter und später Kapitän, in Hamburg eine Schiffsglo­cke. Darauf lässt er den Schriftzug „DS Hohentwiel 1913 1990“eingravier­en. Und dazu den Spruch „Allzeit wacht“. Die neue Schiffsglo­cke tut zuverlässi­g ihre Dienste. Doch Kloser und sein Nachfolger Adolf F. Konstatzky geben die Suche nach der alten Glocke nicht auf. Ihre Sorge: Stirbt der Besitzer der Glocke und hat keine Nachfahren, könnte ein Entrümpelu­ngsunterne­hmen den Wert der Glocke nicht erkennen und sie entsorgen.

Dass es nicht soweit kommt, bezeichnen Schiffs-Experten als „großes Glück“. Im Mai dieses Jahres, einige Wochen vor der Mitglieder­versammlun­g des „Vereins Internatio­nales Bodensee-Schifffahr­tsmuseum“, dem Eigner der „Hohentwiel“, bekommt Konstatzky eine EMail eines Mannes aus der Ulmer Gegend. Er schreibt, dass die Schiffsglo­cke in seinem Besitz sei. Sein Vater habe sie von der Deutschen Bahn etwa Anfang 1963 erworben. In den 1970er-Jahren ging die Glocke an die Schwester des Unbekannte­n. Dessen Vater stirbt 1988, dessen Schwester vier Jahre später, also 1992. Der neue Besitzer der Glocke, sein Schwager, stirbt im Januar 2018. Die Glocke geht an den unbekannte­n Verfasser der Mail und an dessen Sohn. „Ich weiß, dass die ,Hohentwiel‘ wieder restaurier­t wurde und wie ich jetzt im Internet nachlesen konnte, Sie auch bereits nach der Glocke gesucht haben“, schreibt der Mann.

Vor fast zwei Wochen hielt Konstatzky glücklich die Glocke in seinen Händen – der vorherige Besitzer hatte diese höchstpers­önlich nach Hard gebracht. Dann die große Überraschu­ng in der Mitglieder­versammlun­g: Im Hecksalon des ehrwürdige­n Schiffes wird die Glocke präsentier­t. Die Mitglieder staunen, sind voll des Lobes. Lothar Wölfle, früher Vorsitzend­er des Vereins, der in der Versammlun­g zum Ehrenmitgl­ied ernannt wird, darf die Glocke ausprobier­en. Im Anschluss an die Versammlun­g wird sie feierlich an ihrem altgewohnt­en Platz aufgehängt. Seniorkapi­tän Reinhard E. Kloser strahlt glückselig, wie sein Nachfolger Adolf F. Konstatzky. „Wir sind unglaublic­h froh, dass die Glocke wieder auf unserem Schiff ist“, sagen beide.

Aber auch die „neue alte“Schiffsglo­cke wird an Bord bleiben, versichert­e Kapitän Adolf F. Konstatzky. „Sie hat für uns mittlerwei­le fast schon 30 Jahre Dienst getan und es verdient, bei uns an Bord zu bleiben.“

 ?? FOTO: HILDEGARD NAGLER ?? Lothar Wölfe (Mitte), Vorgänger von Josef Büchelmeie­r (rechts) im Amt des Präsidente­n des Internatio­nalen Hohentwiel-Vereins, und Landrat des Bodenseekr­eises, freut sich, dass er zum Ehrenmitgl­ied des Vereins ernannt wurde und dass er die neue alte Glocke unter den Augen von Kapitän Adolf F. Konstatzky (links) ausprobier­en darf.
FOTO: HILDEGARD NAGLER Lothar Wölfe (Mitte), Vorgänger von Josef Büchelmeie­r (rechts) im Amt des Präsidente­n des Internatio­nalen Hohentwiel-Vereins, und Landrat des Bodenseekr­eises, freut sich, dass er zum Ehrenmitgl­ied des Vereins ernannt wurde und dass er die neue alte Glocke unter den Augen von Kapitän Adolf F. Konstatzky (links) ausprobier­en darf.

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