Lindauer Zeitung

Als Held fühlt er sich nicht

Füssener Soldat rettet elfjährige­n Buben vor dem Verbluten

- Von Birgit Schindele

FÜSSEN - Als Held fühlt sich Tim Stieding nicht. Der Hauptfeldw­ebel aus Füssen hat einem elfjährige­n Bub das Leben gerettet. Der Unfall ereignete sich zwar bereits Anfang Oktober, doch die Geschichte ist erst jetzt bekannt geworden: Die Mutter des gestürzten Leonard Försch hat den Ersthelfer über soziale Medien gesucht. Sie kannte seinen Namen nicht. Denn an diesem Tag hielt Stieding am Unfallort an, half, übergab den Jungen dem Notarzt und fuhr danach heim.

Es war ein schöner, sonniger Herbsttag, erinnert sich Berufssold­at Tim Stieding. Er war auf dem Nachhausew­eg, als er bei der Kirche St. Coloman in Schwangau eine Gruppe Radfahrer entdeckte. „Einer lag am Boden“, sagt er. Der 33-Jährige hielt an. Etwas abseits auf dem Radweg stand Melanie Försch, die Mutter des Gestürzten, mit dem Handy in der Hand. Das Problem: Die Urlauberin aus Frankfurt wusste nicht, wo sie sich befindet. „Rechts waren Kühe, links das Schloss Neuschwans­tein“, sagt Försch. Die Familie mache zwar seit zehn Jahren Urlaub in Schwangau, aber in dem Moment wusste sie nicht, welche Straße sie dem Rettungsdi­enst sagen soll. „Und dann stand der Helfer plötzlich vor mir.“

Er nahm das Handy, gab den Unfallort durch. Die Hose des Elfjährige­n war blutdurcht­ränkt. Beim Sturz hatte sich die Handbremse des Fahrrades in dessen Oberschenk­el gebohrt. Die dortige Arterie war verletzt. „Mein Mann hat noch versucht, mit seinem Gewicht und seinen Händen den Blutverlus­t zu stoppen“, sagt die 39-Jährige. Doch ohne Erfolg. Instinktiv griff der Berufssold­at in seine rechte Hosentasch­e: „Da hat jeder Soldat ein Verbandspä­ckchen drin“, sagt er. An diesem Tag habe er glückliche­rweise eine „Israeli-Bandage“dabei gehabt – eine Bandage mit eingebaute­m Druckverba­nd. Als der Ersthelfer sich zu dem Jungen beugte und den Verband anlegte, führte er die Handgriffe ganz automatisc­h aus. „Das ist schlichtwe­g Training“, sagt er. Soldaten üben regelmäßig, Verletzung­en zu versorgen. Neben dem gestürzten Buben stand dessen kleiner Bruder Linus. Der Siebenjähr­ige weinte. Um ihn zu beruhigen, schenkte Stieding ihm das Wappen seiner Einheit–das vierteGe birg saufklärun­gs bataillon 230 inFüssen. Der gebürtige Thüringer ist selbst Vater.

Gefühlt dauerte es eine Ewigkeit, bis der Notarzt kam. Tatsächlic­h vergingen zehn Minuten. „In der Zeit hat er Leonard mit ganz lieben Worten bei Bewusstsei­n gehalten“, sagt Försch. Ihm Geschichte­n erzählt und mit ihm über Fußball geredet. Am Schluss war der Junge kaum noch ansprechba­r.

Der Krankenwag­en kam: „Als Mutter springst du direkt mit rein“, sagt Frösch. Sie glaubt, sie habe noch „Vielen Dank“gerufen. Sicher weiß sie es nicht mehr.

In der Klinik musste Leonard operiert werden. Das dauerte eine Stunde. Mittlerwei­le ist die Familie wieder zurück in Frankfurt. „Leonard schläft viel und erholt sich.“Vorgestern wurden die Fäden gezogen. Doch verheilt ist die Wunde noch nicht. Der Elfjährige läuft auf Krücken, er darf sein Bein noch nicht belasten. Wie der Unfall passierte, weiß der Leonard nicht mehr. Auch die Mutter kann es nicht genau sagen. Sie weiß nur, dass sie an diesem Tag mit ihm geschimpft hat, als er auf dem Radweg in Schlangenl­inien fuhr. „Er ist übermütig gefahren und hat dabei wahrschein­lich den Lenker verrissen“, sagt die Mutter.

Sie ist froh, dass sie Tim Stieding tatsächlic­h über ihren Aufruf gefunden hat. Sie wollte sich unbedingt persönlich bei ihm bedanken. „Leonard hat sich noch nicht getraut.“Im November besucht die Familie ihren Retter in Füssen. Stieding fühlt sich zwar nicht als Held – Linus aber sieht das anders: „Er will jetzt Soldat werden.“

 ?? FOTO: CHRISTOPH KÖLLE ?? Ein Wappen wie dieses führte die Familie eines gestürzten Buben zu dem Mann, der ihren Sohn erstversor­gt hat: Tim Stieding.
FOTO: CHRISTOPH KÖLLE Ein Wappen wie dieses führte die Familie eines gestürzten Buben zu dem Mann, der ihren Sohn erstversor­gt hat: Tim Stieding.

Newspapers in German

Newspapers from Germany