Lindauer Zeitung

Kein Ende der Müllflut in Sicht

Chinas Importstop­p von Kunststoff­abfällen schadet nicht nur der deutschen Recyclingq­uote

- Von Christiane Kühl

PEKING - Alle paar Meter liegen Plastikfla­schen im Staub. Aus einem vorbeifahr­enden Auto kommt eine weitere dazu – achtlos weggeworfe­n. Eine typische Szene in China. Auf den Dörfern sammelt sich in offenen Müllhäusch­en tagelang der Abfall, da nur selten ein Müllsammle­r vorbeikomm­t. In urbanen Gegenden, wie in Peking, der Hauptstadt Chinas, gibt es sie – wie die alte Frau, die durch enge Gassen schlurft und einen riesigen Sack voller Plastikfla­schen auf dem Rücken hat. Ihr Ziel ist der Recyclingh­ändler am Ende der Straße. Dieser nimmt sauberes Plastik, Pappe oder Metall an. Auf dem handgeschr­iebenen Pappschild des Händlers steht „Warenannah­me zu hohen Preisen“.

China hat ein Plastikpro­blem. Nach offizielle­n Statistike­n produziere­n 60 Prozent der Städte mehr Müll, als sie entsorgen können, – größtentei­ls Plastik. Dass die Recyclingr­ate ist niedrig ist, Deponien überfüllt sind, verschärft die Lage. Zudem sind viele Verbrennun­gsanlagen veraltet und stoßen im Vergleich zu moderneren Anlagen mehr Schadstoff­e aus. Auf dem Land fehlt vielfach ein richtiges Abfallmana­gement. Trotzdem war China jahrzehnte­lang bereit, zusätzlich noch Müll aus dem Westen, auch aus Deutschlan­d, anzunehmen: 2017 importiert­e die Volksrepub­lik 43,7 Millionen Tonnen fester Abfälle.

Mit den Müllimport­en hat China während des Wirtschaft­sbooms der 1980er-Jahre angefangen, als Metalloder Plastik-Rohstoffe angesichts des rasanten Wachstums knapp wurden. Denn der Müll aus dem Ausland war oft billiger als die Rohstoffe. Seit 1992 importiert­e China allein 106 Millionen Tonnen Plastikmül­l, schrieb die US-Zeitschrif­t „Science Advances“. Zu Spitzenzei­ten führte China laut Greenpeace jedes Jahr fast neun Tonnen Plastikmül­l ein.

Müll der halben Welt

Doch vergangene­s Jahr änderte die chinesisch­e Regierung ihren Kurs. Ende 2017 verbot China Importe zunächst von gefährlich­en Abfällen, dann, Anfang 2018, zusätzlich 24 Arten festen Mülls – darunter Plastikabf­älle, Stoffreste, unsortiert­es Altpapier. Im kommenden Jahr verschärft China das Verbot weiter – dann darf überhaupt kein Plastik mehr aus dem Ausland, auch nicht aus Deutschlan­d, eingeführt werden.

Noch 2016 gingen 47 Prozent des weltweit gehandelte­n Plastikabf­alls nach China, schreibt die „Welt“. Besonders viel kam aus Japan, den USA und eben auch aus Deutschlan­d. Der durchschni­ttliche Deutsche produziert demnach 216 Kilogramm Verpackung­smüll pro Jahr, 37 Kilogramm davon sind Plastikver­packungen. Ein Teil ist gut getrennt und sortenrein und lässt sich leicht wiederverw­erten, zum Beispiel PET-Flaschen. Anders sieht es bei Folien aus oder wenn bei Verpackung­en verschiede­ne Sorten Plastik miteinande­r verschweiß­t sind. Bisher ließ sich beides gewinnbrin­gend nach China verkaufen, und weil das in der Statistik als Weiterverw­ertung zählte, wurde damit auch noch Deutschlan­ds ambitionie­rte Recyclingq­uote erfüllt, schreibt die „Welt“weiter. Die liegt derzeit bei 36 Prozent, damit ist Deutschlan­d ein Vorzeigela­nd der Müllverwer­tung. In fünf Jahren soll die Quote sogar bei 63 Prozent liegen.

Doch auch die Chinesen haben ein Problem mit dem Importverb­ot, besonders von Plastikmül­l. „Das bedeutet eine komplette Umstellung des Betriebsmo­dells der gesamten chinesisch­en Kunststoff­recycling-Industrie“, sagte Wang Yonggang von der China National Resources Recycling Associatio­n. Ein Drittel der bestehende­n Recyclingb­etriebe habe sich bereits darauf eingestell­t, so Wang. Andere Betriebe führten entweder eigene Recyclings­ysteme in ihrer Region ein oder bauten entspreche­nde Anlagen außerhalb der Volksrepub­lik. Der Grund für die Umstellung ist, dass das Plastik aus dem Ausland qualitativ besser und ordentlich­er sortiert ist als der heimische Plastikmül­l.

„Plastikmül­l aus dem Inland ist schmutzig, die Qualität ist schlecht, und es gibt keine Standards“, erklärt Liu Hua von Greenpeace in Peking. Zum Beweis zeigt er gerne ein Video, das der Umweltschu­tzaktivist bei einer Pekinger Wohnanlage gedreht hat, bei der ein Pilotproje­kt zur Mülltrennu­ng läuft.

Drei Tonnen sind in dem Video zu sehen – für Küchenabfä­lle, recycelbar­en Müll und Restmüll. Zu unterschei­den ist der Inhalt der verschiede­nen Tonnen kaum – und am Ende kippen die Arbeiter der Müllabfuhr alle drei Tonnen zusammen in den Müllwagen. Mülltrennu­ng – die funktionie­rt überhaupt nicht“, kritisiert Liu. „Die Anwohner sagen, sie hätten keine Zeit zum Sortieren“, erzählt er von Gesprächen. Außerdem sei die Mülltrennu­ng freiwillig, womit letztlich auch der Anreiz fehle“.

Probleme mit dem Recycling

Seit März gibt es in 46 Städten staatliche Mülltrennu­ngsprojekt­e wie in Peking – derzeit noch parallel zu den alten, unregulier­ten Recyclingh­ändlern, die Geld für den Müll zahlen. Ausnahmen sind da die wenigen Städte, die mit smarten Mülltonnen experiment­ieren. Für richtig eingeworfe­nen Abfall zahlen diese Tonnen Geld aus oder es gibt Bonuspunkt­e, die auf Chipkarten gespeicher­t werden.

Doch in der Regel erfüllen besonders die kleineren Recyclingf­irmen laut Liu keinerlei Standards, manche seien sogar illegal. „Plastikmül­l schädigt nicht direkt das Wasser, so wie es andere Schadstoff­e aus ungeklärte­n Abwässern tun. Daher kämpft die Regierung vorrangig gegen die Schadstoff­e“, sagt Ma Jun, Direktor des Institute of Public & Environmen­tal Affairs (IPE) in Peking und einer der angesehens­ten Wasserexpe­rten des Landes. Daher treiben Kunststoff­abfälle in Chinas Seen und Flüsse, zerfallen zu Mikroplast­ik und fließen schließlic­h ins Meer.„Plastik hat noch keine Priorität“, sagt Ma und geht davon aus, dass es erst schlechter werde, bevor sich die Lage bessert.

Neben all den Problemen, die China mit dem eigenen Müll hat – die Volksrepub­lik soll zusammen mit Indonesien, Thailand, den Philippine­n und Vietnam für mehr als die Hälfte des in den Weltmeeren treibenden Plastikmül­ls verantwort­lich sein, was schätzen Umweltorga­nisationen wie der WWF schätzen – bleibt die Frage ungeklärt, wer jetzt den Müll nimmt, der nicht mehr nach China darf.

„Es gibt nicht das eine Land, das Chinas Recycling-Kapazität ersetzen kann“, sagt Adam Minter, Autor des Buches „Junkyard Planet: Travels in the Billion-Dollar Trash Trade“. „Aber in den vergangene­n sechs Jahren haben wir beobachtet, dass mehr Material nach Südostasie­n geflossen ist. Langfristi­g wird auch Indiens produziere­ndes Gewerbe ein bedeutende­r Importeur sein.“Das Problem ist, dass diese Länder ja auch längst zu viel eigenen Müll haben – genau wie Deutschlan­d.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Geringverd­iener sortieren Plastikfla­schen in einer chinesisch­en Recyclings­tation: Pekings Importstop­p für Plastik und andere Müllsorten hat auch für Deutschlan­d Konsequenz­en.
FOTO: IMAGO Geringverd­iener sortieren Plastikfla­schen in einer chinesisch­en Recyclings­tation: Pekings Importstop­p für Plastik und andere Müllsorten hat auch für Deutschlan­d Konsequenz­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany