Lindauer Zeitung

Wenn Jäger in die Luft gehen

Jäger schießen Tiere, aber beschützen sie auch – Jahr für Jahr retten sie Rehkitze vor Mähmaschin­en, inzwischen mithilfe moderner Flugtechni­k

- Von Thomas Burmeister

BIBERACH (lsw) - Quietschen­de Bremsen, ein dumpfer Aufprall. Ein Reh liegt auf der Landstraße 265 im oberschwäb­ischen Ellwangen (Kreis Biberach). Für die schwer verletzte Ricke gibt es an diesem Morgen keine Hilfe mehr. Doch was ist mit ihren Kitzen? Sie müssen irgendwo geduckt im Weideland liegen. Aber wo? Eile ist geboten. Kitze brauchen alle paar Stunden Nahrung. Zudem streift ein Fuchs umher. Das sind Momente, in denen Manfred Lochbühler­s Handy klingelt: „Kannst Du mit Deiner Drohne helfen?“

Lochbühler ist der Drohnenbea­uftragte der Kreisjäger­vereinigun­g Biberach. Rasch ist der 58-Jährige samt Ausrüstung zur Stelle. Schon bald zeigt die Wärmebildk­amera unter seinem Quadrokopt­er die Umrisse von zwei regungslos­en Rehbabys im hohen Gras. Vier Monate danach tollen sie munter in der Oktoberson­ne umher – im Gehege des Milchbauer­nhofs von Michaela und Bruno Wiest.

„Die Wiests waren sofort bereit, die Kitze aufzunehme­n“, erzählt Lochbühler. Michaela – Mutter von fünf Kindern zwischen 8 und 17 Jahren – hat die Bambis mit der Flasche aufgezogen: Anfangs mit Ziegenmilc­h, die exakt auf 39,5 Grad erwärmt wurde, und alle zwei Stunden verabreich­t werden musste, am Tag und in der Nacht. „Ich fand das spannend“, sagt sie. „Wilde Tiere aufzuziehe­n und für die freie Wildbahn vorzuberei­ten.“Einige Zeit wird sich Michaela Wiest noch um die jungen Rehe kümmern. „Am 13. März 2019 schicken wir sie in die Natur zurück, an meinem 39. Geburtstag.“

Widerständ­e überwunden

Die Rettung der Rehe gehört zu den Erfolgsges­chichten des Drohnenein­satzes im Landkreis Biberach, die Lochbühler und Dieter Mielke (58), der stellvertr­etende Kreisjäger­meister, gern erzählen. Beide hatten sich voriges Jahr – gegen Widerständ­e von eher traditione­ll eingestell­ten Kollegen – für die neue Technik starkgemac­ht. „Anfangs hat so mancher gefragt, ob Tausende von Euro für so eine Technik-Hornisse nicht rausgeschm­issenes Geld sind“, sagt Mielke. Inzwischen ist die Drohne als Jäger-Utensil akzeptiert, in Biberach wie in einer Reihe anderer Reviere in Deutschlan­d. „Wir begrüßen den Drohnenein­satz für den Tierschutz durch immer mehr Jäger ausdrückli­ch, vor allem bei der Kitzrettun­g“, sagt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverban­des.

Dabei geht es um weit mehr, als eine gelegentli­che Suche nach Kitzen, die durch Unfälle zu Waisen wurden. Wenn im Frühling und Frühsommer große Mähmaschin­en im Einsatz sind, werden immer wieder Rehkitze bei lebendigem Leib zerfetzt. Geboren werden sie zwischen April und Mitte Juni. Die Ricken legen die Kitze im hohen Gras ab, damit sie nicht so leicht entdeckt werden. Sie können aber noch nicht fliehen und drücken sich stattdesse­n ängstlich an den Boden.

„Bevor die Maschinen rollen, lassen wir die Drohne über Weidefläch­en und Felder fliegen“, schildert Lochbühler. „Die Wärmebildk­amera zeigt uns am Bildschirm, wo sie sind und wir holen sie dann und legen sie an sicheren Stellen ab. Die Ricken finden sie dort und kümmern sich.“Auf diese Weise haben Biberacher Jäger 2018 bei rund 45 Einsätzen mehr als 75 Kitze gerettet. „Aktiver Tierschutz gehört zum Beruf des Jägers“, sagt Mielke. Auch im Herbst sind wieder Jäger mit Drohnen im Einsatz. Jetzt geht es nicht mehr um die Rehkitz-Rettung, sondern um das Aufspüren von Wildschwei­nen. „Durch den starken Anstieg der Population­en wird es immer schwierige­r, mit herkömmlic­hen Mitteln – etwa mit speziell abgerichte­ten Hunden – Schäden durch Wildschwei­ne zu begrenzen“, sagt der Experte für Digitaltec­hnik in der Jagd, Niklas Scharffett­er, vom Fachmagazi­n „Jäger“. „Dank der Wärmebildk­ameras an den Drohnen lassen sich die Sauen selbst in hohen Maisfelder­n gut erkennen.“

Zudem sind die surrenden Drohnen geeignet, Wildschwei­ne aus dem Mais in Richtung bereitsteh­ender Schützen zu treiben. Das ist jagdethisc­h umstritten und wird von nicht wenigen Profis als nicht waidgerech­t abgelehnt. Allerdings besteht Experten zufolge weiter die Gefahr eines Einschlepp­ens der Afrikanisc­hen Schweinepe­st aus benachbart­en Ländern nach Deutschlan­d. Sie wird unter anderem von Schwarzwil­d übertragen und verläuft für Wild- wie Hausschwei­ne fast immer tödlich. Auch deshalb haben Jäger in der Saison 2017/18 bundesweit mit über 820 000 Tieren deutlich mehr Wildschwei­ne erlegt als sonst.

Die hohe Abschussra­te ist auch Teil der Vorsichtsm­aßnahmen: Das Schweinepe­stvirus verbreitet sich langsamer, wenn weniger Schweine auf einer Fläche leben. Für den Fall, dass die Schweinepe­st auf Deutschlan­d übergreift, haben die Behörden Sondermaßn­ahmen vorgesehen. Dazu gehört eine deutlich stärkere Bejagung von Schwarzwil­d, gegebenenf­alls mit Hubschraub­ern sowie mit Drohnen und Wärmebildk­ameras. „Wir in Biberach“, sagt Jäger Mielke, „sind jedenfalls vorbereite­t.“

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FOTO: DPA Jäger Manfred Lochbühler, lässt eine Drohne mit Wärmebildk­amera aufsteigen.

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