Lindauer Zeitung

Noch einmal davongekom­men

CDU setzt auf Fortführun­g von Schwarz-Grün oder Jamaika mit Bouffier – Nahles will Gnadenfris­t für GroKo

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Bei der Prognose um 18 Uhr ist es ziemlich still im AdenauerHa­us in Berlin. Rund zehn Prozent weniger für die Hessen-CDU, das ist nicht toll. Und trotzdem kommt eine Minute später Freude auf: Als die Sitze ausgerechn­et werden und es so aussieht, als ob das schwarz-grüne Bündnis in Hessen fortgesetz­t werden kann. Das heißt, CDU-Ministerpr­äsident Volker Bouffier bleibt im Amt.

Verliert Bouffier, dann wackelt CDU-Chefin Angela Merkel, hieß es im Vorfeld der Wahlen. Nun scheint Bouffier weitermach­en zu können, aber mit mehr als zehn Prozent weniger. „Das ist ein Weckruf nach Berlin“, sagt er.

Eine große Mitverantw­ortung der Bundespoli­tik für das Ergebnis in Hessen räumen in Berlin sowohl die CDU als auch die SPD ein. „Wie kommen wir wieder zu alter Stärke, das ist doch die Kernfrage“, sagt Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU). Er galt, bevor er Gesundheit­sminister wurde, als einer der entschiede­nsten Kritiker Merkels innerhalb der Union. „Eine reine Personalde­batte greift zu kurz“, sagt Spahn jetzt. Doch bis zum Bundespart­eitag müssten die Konsequenz­en klar sein.

Keine Merkel-Debatte

Die Merkel-Debatte soll nicht ausufern. CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r antwortet vorsichtig, Merkel habe erklärt, dass sie auf dem Bundespart­eitag der CDU in Hamburg erneut als Vorsitzend­e antrete. Und es gebe keine anderen Signale. Bis jetzt. Aber KrampKarre­nbauer sagt auch, der CDU sei schon seit der Bundestags­wahl klar, dass Veränderun­gen nötig sind.

„Wenn Sie Wut haben, schreiben Sie mir einen Brief“, hat Angela Merkel kurz vor der Wahl die unzufriede­nen Wähler in Hessen geradezu angefleht, nicht Volker Bouffier für die Bundespoli­tik abzustrafe­n. Nun ist er mit einem blauen Auge davongekom­men. Gilt das auch für die Parteivors­itzende?

Es gibt immer mehr Christdemo­kraten, denen die Ära der Kanzlerin schon zu lange dauert. Auch das Votum der Unionsfrak­tion für den neuen Vorsitzend­en Ralph Brinkhaus war ein Signal an Merkel.

Doch die Wahl in Hessen galt nicht nur als Prüfstein für die CDUChefin, sondern auch für die SPDVorsitz­ende Andrea Nahles.

Die Sozialdemo­kraten müssen herbe Verluste hinnehmen. Vizekanzle­r Olaf Scholz hatte schon vor der Wahl betont, er rechne damit, dass die Große Koalition bestehen bleibe. Und dass Merkel bleibe und die SPD weiterhin gute Arbeit in der Koalition leiste. Doch die Unruhe in der Partei ist groß.

Mitglieder­entscheid gefordert

Viele Sozialdemo­kraten drängen immer energische­r, über den Verbleib in der Großen Koalition abzustimme­n. Nach dem Absturz seiner Partei bei der hessischen Landtagswa­hl fordert jetzt auch Berlins Fraktionsc­hef Raed Saleh einen neuen Mitglieder­entscheid über die Große Koalition. „Die Menschen haben die Schnauze voll von der Großen Koalition im Bund und den Streiterei­en.“

Andrea Nahles will diesen Unmut abfedern, sie setzt auf eine Art weitere Gnadenfris­t für die Regierung. Die Koalition in Berlin müsse nun einen klaren, verbindlic­hen Fahrplan vorlegen für eine Politik im Interesse der Bürgerinne­n und Bürger, so Nahles. „An der Umsetzung dieses Fahrplans bis zur vereinbart­en Halbzeitbi­lanz können wir dann klar ablesen, ob wir in dieser Regierung noch richtig aufgehoben sind.“Zu beiden Punkten, den Koalitions­zielen und der Ausrichtun­g der SPD, will sie am Montag zusammen mit SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil dem Parteivors­tand einen Vorschlag vorlegen.

CDU-Generalsek­retärin KrampKarre­nbauer hatte in der vergangene­n Woche vor Neuwahlen gewarnt, falls die Große Koalition beendet werde. Das war eine Warnung in Richtung SPD, welche die rheinlandp­fälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer scharf kritisiert­e. Das sei „ein dreistes Ablenkungs­manöver von den Grabenkämp­fen in der eigenen Partei“.

Angst vor Neuwahlen

„Neuwahlen wären gegenwärti­g für die SPD eine Katastroph­e“, sagt der Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratis­ierung am Wissenscha­ftszentrum Berlin, Wolfgang Merkel. Schließlic­h könnte die SPD von den Grünen als zweitstärk­ste Kraft abgelöst werden. „Nach allen Trends, die wir sehen, würde das die Grünen weiter nach oben ziehen, wahrschein­lich auch die AfD. Und die SPD weiter nach unten.“

Die Grünen galten von vornherein als Überfliege­r der Wahl und konnten das erhoffte Ergebnis erreichen. „Hessen ist so grün wie nie“, freute sich der Geschäftsf­ührer Michael Kellner.

Die FDP hat etwas zugelegt und ist zufrieden. Es war aber am Abend unklar, ob sie zur Regierungs­bildung in Hessen gebraucht wird. Parteichef Christian Lindner betont, dass seine Partei zur Übernahme von Regierungs­verantwort­ung bereit sei.

Die Linken haben leicht zugelegt, hatten sich aber ein besseres Ergebnis gewünscht. Der Linken-Bundesvors­itzende Bernd Riexinger wirft der SPD vor, mit allen Mitteln den Ausstieg aus der Koalition vermeiden zu wollen. Eine Erneuerung sei mit der CDU aber nicht möglich.

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FOTO: DPA CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r muss starke Verluste ihrer Partei in Hessen erklären – und räumt ein, Veränderun­gen in der Union seien nötig.

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