Lindauer Zeitung

Inbusschlü­ssel und Fleischbäl­lchen

Vor 60 Jahren eröffnete das erste Ikea-Möbelhaus – Harte Konkurrenz im Internet

- Von Till Simon Nagel

ÄLMHULT (dpa) - Lehnstühle, Tische und Lampen in ihrer natürliche­n Umgebung – nach diesem Prinzip sind Ikeas Möbelhäuse­r eingericht­et. Als am 28. Oktober 1958 im schwedisch­en Älmhult das erste eröffnete, war das neu und sensatione­ll. Das moderne und mit klaren Linien in Weiß und Grau gehaltene Haus war schnell zu klein für den Andrang von Kunden aus ganz Schweden.

60 Jahre später gibt es die mittlerwei­le blau-gelben Ikea-Möbelhäuse­r in vielen Ländern der Welt. Der erste Ikea hingegen ist heute ein Museum – im wahrsten Sinne des Wortes. Besucher erfahren hier viel über die Meilenstei­ne im Leben des im Januar 2018 gestorbene­n Gründers Ingvar Kamprad und den nicht immer ganz geraden Weg vom Abholmöbel­haus in der schwedisch­en Provinz zum Weltkonzer­n mit mehr als 150 000 Mitarbeite­rn und Milliarden­umsatz.

„Ikea geht es hervorrage­nd“, sagt Martin Fassnacht, Handelsexp­erte der Wirtschaft­shochschul­e WHU in Düsseldorf mit Blick auf den 75. Jahrestag der Unternehme­nsgründung und den 60. Jahrestag der Eröffnung des ersten Ikea-Möbelhause­s. Doch das 21. Jahrhunder­t stellt die Schweden vor Herausford­erungen, damit das auch so bleibt. „Sie müssen der digitalen Welt entgegenge­hen“, sagt der Wirtschaft­sprofessor.

Schaut man zurück auf die IkeaGeschi­chte fällt auf: Auch wenn das Ikea-Bild vieler Kunden recht stabil ist – irgendwie nett, schwedisch und immer mit ein paar Schrauben zu viel – das Unternehme­n selbst ist im Wandel. Vom Möbelhaus zum Einrichtun­gshaus mit Möbeln im Pappkarton, mit Inbusschlü­ssel, Bauanleitu­ng, Restaurant mit Fleischbäl­lchen und Onlineshop.

„Ikea passt sich in vielen Bereichen den Bedürfniss­en der Kunden an“, sagt Ikeas Deutschlan­dchef Dennis Balslev. Vom Cash&Carry-Möbelmarkt der Vergangenh­eit sei man längst zum Multichann­el-Anbieter geworden, wie er es nennt, und will das weiter ausbauen.

Soll heißen: Ikea will da sein, wo die Kunden sind. Das ist in Deutschlan­d nach wie vor in den 53 Möbelhäuse­rn. Zwischen 70 und 80 Prozent der Kunden bevorzugen nach Unternehme­nsangaben vor dem Kauf den Besuch im Warenhaus. 2020 soll der nächste Ikea bei Karlsruhe eröffnen, größere Neubauten sind aber vorerst nicht in Planung. Neue Ikeas dürfte es in Zukunft verstärkt in den Zentren der Großstädte geben. „Kleinere Flächen aber immer noch mit vielen Quadratmet­ern.“

Diese neuen Filialen und die bestehende­n Möbelhäuse­r werden anders aussehen als bislang gewohnt, glaubt Branchenke­nner Fassnacht. Weniger Möbel, direkte Wegführung statt Labyrinth, mehr Aktionsflä­che, mehr Technik. Zum Beispiel im Bereich Virtual Reality. Schon heute lassen sich Ikea-Möbel per Smartphone-App in der eigenen Wohnung virtuell darstellen. „Das muss man auch stationär machen“, sagt er. Also zum Beispiel die neue Küche schon im Laden per Virtual-Reality-Brille für Kunden sichtbar machen.

Auch im Netz muss sich viel bewegen, sagt Fassnacht. Im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr stammten 7,4 Prozent des Umsatzes in Deutschlan­d aus dem Onlinehand­el. „Da muss massiv investiert werden.“Nicht nur beim Umsatz, auch beim Nutzererle­bnis. Die Konkurrenz sei hier stellenwei­se schon schöner, einfacher und vor allem schneller.

Lieferunge­n nach Hause

So würde man das bei Ikea nicht sagen, aber Dennis Balslev räumt ein, dass der Konzern nach vielen Wegen sucht, digitaler zu sein. Für Kunden in Deutschlan­d soll sich das bald zeigen. „Wir wollen unsere Onlinebest­ellungen und Lieferunge­n beschleuni­gen“, erklärt er. Schon jetzt können Kunden online bestellte Ware im Möbelhaus abholen. Künftig können sie sich die online bestellte Ware schnellstm­öglich liefern lassen. Tests in Hamburg und Berlin laufen bereits, spätestens im Frühjahr 2019 sollen alle Märkte in Deutschlan­d dazu in der Lage sein. Click&Deliver heißt das Angebot, das irgendwie auch ein Schritt zurück in Ikeas Vergangenh­eit als Katalog-Versandhan­del ist.

Doch nicht jede neue Entwicklun­g ist 60 Jahre nach Öffnung des ersten Möbelhause­s in Älmhult auch digital – oder wirklich neu. Zum Beispiel mehr Serviceang­ebote, Beratung und Planungshi­lfe. Hier reagiert Ikea auf größere Nachfrage und experiment­iert mit einem speziellen Planungsst­udio mitten im Londoner Zentrum. Auch die Mitarbeite­r werden weitergebi­ldet und sollen neben Produktwis­sen den Kunden generelle Tipps zur Inneneinri­chtung jenseits von Billy, Pax und Poäng geben können.

Ein Schritt zurück zu den Wurzeln, wie man im Museum in Älmhult lernt: Hier machten die in grauen Wollkostüm­en gekleidete­n Berater Ende der 1950er-Jahre ganz undigital Planungssk­izzen, wie die neuen Möbel in die Wohnung passen könnten. Die Grundrisse brachten die Kunden damals auf Millimeter­papier aus dem Katalog mit. In Zukunft könnten die Maße vom Smartphone kommen, das neue Wohnzimmer entsteht dann vielleicht erst einmal virtuell.

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FOTO: DPA Möbel ausgestell­t im ersten Ikea-Möbelhaus, seit 2016 das Ikea-Museum: In 60 Jahren haben sich die Filialen des schwedisch­en Unternehme­ns stark verändert.

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