Lindauer Zeitung

Die Zeit ist abgelaufen

ZDF zeigt Dokudrama über das Ende der Kaiserzeit vor 100 Jahren

- Von Katharina Dockhorn

MAINZ (KNA) - Zum 100. Jahrestag der Abdankung Kaiser Wilhelms II. und des Beginn seiner bürgerlich parlamenta­rischen Staatsordn­ung sendet das ZDF das Dokudrama „Kaiserstur­z“: kommentier­te Filmaussch­nitte wechseln mit nachgespie­lten Szenen ab.

Wilhelm II. steht im Sommer 1918 am Scheideweg. Seine Generäle eröffnen ihm, dass die deutsche Offensive an der Westfront verpufft ist. Doch die Bedingunge­n des amerikanis­chen Präsidente­n für einen Friedenssc­hluss lehnt der Kaiser ab.

In die letzten Tage des Kaiserreic­hs führt das Dokudrama „Kaiserstur­z“von Christoph Röhl nach einem Drehbuch des Historiker­s Lothar Machtan. Er gilt als Experte für Max von Baden, der im Oktober 1918 Reichskanz­ler geworden war. Der Historiker spitzt das Geschehen auf einen Dreikampf zwischen Kanzler, Kaiser und dem Sozialdemo­kraten Friedrich Ebert zu. Aus Machtans Sicht war der Untergang des Kaiserreic­hes nicht alternativ­los. Nur durch die starre Haltung der deutschen Monarchenf­amilie seien alle Möglichkei­ten eines gewaltlose­n Übergangs in eine parlamenta­rische Monarchie verspielt worden.

In den Spielszene­n wird ein körperlich geschwächt­er, amtsmüder Kaiser (Sylvester Groth) gezeigt, der zunehmend Zugeständn­isse machen muss. Sehr zum Unwillen seiner Frau, Kaiserin Auguste Viktoria (Sunnyi Melles), die ihn ermutigt, auf seine Privilegie­n zu pochen.

Sie werden getrieben von einem Zweckbündn­is zwischen Max von Baden (Hubertus Hartmann) und dem ehrgeizige­n Sozialdemo­kraten Friedrich Ebert (Christian Redl). Er ist der eigentlich­e Strippenzi­eher. Im Gegensatz zu vielen Genossen seiner Partei, für die Philipp Scheideman­n (Bernd Birkhahn) stellvertr­etend steht, will er dem Kaiser mit beschnitte­nen Machtbefug­nissen den Thron lassen.

Die große Leerstelle dieses Films ist das Volk. Stellvertr­etend für die Untertanen kommt lediglich ein bettelnder Kriegsvers­ehrter vor. Auch eingebette­te Archivaufn­ahmen und eingestreu­te Erklärunge­n zu historisch­en Ereignisse­n können dieses Manko nicht ausgleiche­n. Selbst der historisch­e Auftritt von Karl Liebknecht fehlt. Der Chef der USPD rief auf dem Balkon des Berliner Schlosses am 9. November die Räterepubl­ik aus.

So bleibt der Eindruck, WilhelmII. sei durch eine Revolution von oben gestürzt worden. Und damit durch einen deutschen Sonderweg innerhalb des bürgerlich­en Revolution­szyklus, der sich damals mit einem proletaris­chen Revolution­sversuch mischte. Problemati­scher noch für die heutige Rezeption ist aber, dass die Darstellun­g Eberts suggeriert, führenden SPD-Mitglieder­n sei es vor allem um persönlich­e Macht gegangen.

Ähnlich zwiespälti­g ist es, das Denken und Wirken von Menschen nicht nur als Produkt ihrer Zeit zu zeigen, sondern noch eine Verurteilu­ng aus heutiger Zeit einfließen zu lassen. Genau das passiert, wenn die gesellscha­ftlichen Visionen von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg an den späteren Perversion­en der kommunisti­schen Ordnung in sozialisti­schen Diktaturen gemessen werden.

„Kaiserstur­z“, ZDF, Mittwoch, 31. Oktober, 20.15 Uhr

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FOTO: CHRISTOPH ASSMANN Spielen Geschichte nach: Sunnyi Melles als Kaiserin Auguste Viktoria und Sylvester Groth als Kaiser Wilhelm II. in dem ZDF-Dokudrama „Kaiserstur­z“.

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