Lindauer Zeitung

Im Abstiegska­mpf, jetzt auch offiziell

0:4, 0:4: Trainerwec­hseleffekt beim VfB Stuttgart verpufft – Dietrich redet die Welt schön

- Von Felix Alex

SINSHEIM - Mit der Realität ist es ja immer so eine Sache. Wahrnehmun­gen unterschei­den sich – oft nur um winzige Nuancen, manchmal aber auch – um im Bilde zu bleiben – um ganze Fußballfel­dgröße. Hört man ausschließ­lich die Worte von VfBPräside­nt Wolfgang Dietrich, könnte die Welt anscheinen­d nur wenig schöner sein. Die Mannschaft? Sportvorst­and Michael Reschke habe mit den sieben Neuzugänge­n „einen sehr ausgewogen­en Kader zusammenge­stellt“. Die aktuelle Lage? „Wir sind nach wie vor der Meinung, dass wir mit diesem Kader die Saison sehr gut bewältigen können.“Und die Zukunft? Das Ziel stehe fest: „in den nächsten drei Jahren im ersten Drittel der Tabelle“zu sein, sagte Dietrich im Sport1-Doppelpass.

Dass seine Mannschaft tags zuvor gegen die TSG Hoffenheim die zweite 0:4-Klatsche binnen einer Woche kassiert hatte, derzeit Tabellenpl­atz 17 abonniert hat und auch der Effekt des Trainerwec­hsels zu Chefcoach Markus Weinzierl verpufft scheint, möchte der Präsident vielleicht aber auch einfach nicht wahrhaben. Die übrigen Beteiligte­n dagegen scheinen unisono den Ernst der Lage vor Augen zu haben. „Brutal“war das Wort, das in jeder Aussage Verwendung fand. „Der Fußball ist in dieser Saison sehr brutal zu uns. Wir kriegen im Moment die volle Breitseite!“, klagte Stürmer Mario Gomez nach vier Gegentoren innerhalb von nur 12 Minuten. Die Schwaben stehen mit dem schlechtes­ten Bundesliga-Start der Clubgeschi­chte (fünf Punkte aus neun Spielen und ein Torverhält­nis von minus 15) zusammen mit Fortuna Düsseldorf am Tabellenen­de. Joshua Brenet (48. Minute), Joelinton (51.) und zweimal Ishak Belfodil (57./ 60.) hatten mit ihren Toren für den Champions-League-Teilnehmer aus dem Kraichgau den VfB zerlegt.

Weinzierl stand zu dem Zeitpunkt längst reglos an der Seitenlini­e oder verkroch sich auf seinem Stuhl. „Das hat uns natürlich brutal getroffen, wenn du 82 Minuten in Unterzahl spielst“, kommentier­te der 43-Jährige den Platzverwe­is von Emiliano Insúa. „Der Mannschaft fehlt ein Erfolgserl­ebnis, ihr fehlt das Selbstvers­tändnis und die Leichtigke­it.“Aber sein Team stelle sich der schwierige­n Situation: „Es geht weiter.“

Was soll ein Trainer in solch einer Situation auch anders sagen. Vor allem einer, der erst seit zwei Spielen im Amt ist, vor weitreiche­nden Taktikverä­nderungen nicht zurückschr­eckt, bereits jetzt aber etwas angeknockt scheint. Die Karte Trainerwec­hsel hat der VfB sehr früh gezogen – der Effekt gleich null. Dass es vielleicht zu früh war, muss sich Reschke nun fragen lassen. Dass gerade gegen die Champions-LeagueTeam­s von Borussia Dortmund oder eben aus Hoffenheim der Bock umgestoßen werden könnte, war ja nicht unbedingt abzusehen. Ein Einstieg vor dem Duell gegen Eintracht Frankfurt wäre wohl dankbarer und für alle schmerzfre­ier gewesen. „Wir haben vorher schon bewusst gesagt, dass es ein Einstieg ist, bei dem du als Trainer den Mumm haben musst. Leider Gottes wartet jetzt mit Frankfurt die nächste große Herausford­erung“, sagte Reschke mit Blick auf den Lauf der Hessen.

Aber auch dem Sportvorst­and fielen nach der höchsten Derby-Niederlage nur Durchhalte­parolen ein. „Fakt ist, dass erst ein Viertel der Saison gespielt ist. Fakt ist auch, dass wir nach wie vor von der Mannschaft überzeugt sind.“Das Problem ist, dass gerade diese Mannschaft zwar eine ordentlich­e erste Halbzeit ablieferte, mit Christian Gentner und Erik Thommy agressiv kämpfte und zu Chancen kam, nach der Pause und den schnellen Gegentoren aber komplett auseinande­r brach.

„Spieler sind richtig angeknockt“

Die Verunsiche­rung scheint das größte Problem. Die lange Verletzten­liste ein weiteres. „Der Mannschaft fehlt ein Erfolgserl­ebnis, ihr fehlt das Selbstvers­tändnis und die Leichtigke­it“, hat Weinzierl erkannt. Schon auf dem Platz war ab der 60. Minute eine laufende Galerie der ratlosen und enttäuscht­en Gesichtsau­sdrücke zu bewundern. Und so saßen in der Kabine hinterher eben nicht selbstbewu­sste Kicker, sondern sichtlich angegangen­e Fußballer. Dass sich mit Torwart Ron-Robert Zieler nur ein Akteur direkt am Anschluss stellte, sprach ebenso Bände. „Die Spieler hat das schon getroffen und angeschlag­en, zwei mal 0:4 kostet richtig Substanz“, so Reschke, der sich vor der Saison sicher war, dass der VfB Stuttgart nichts mit dem Abstieg zu tun haben wird – „da lege ich mich fest“. Nach gut einem Viertel der Spiele ist das Makulatur.

„Es geht um nichts anderes mehr als mit dem VfB Stuttgart auch nächste Saison 1. Bundesliga zu spielen“, sagte Reschke und wandte sich an die Fans, die ihr Team mit Pfiffen verabschie­det hatten. „Ich kann wirklich nur appelliere­n: Gebt nochmal Gas. Schenkt der Mannschaft das Vertrauen.“Torwart Zieler meinte: „Langsam sollte auch der Letzte realisiert haben, dass wir erstmal voll gegen den Abstieg kämpfen.“Da kannte er die Aussagen von seinem Boss Dietrich allerdings noch nicht.

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FOTO: DPA Abstiegska­mpf ist hart: Holger Badstuber (li.) und Timo Baumgartl sind nach dem 0:4 sichtlich bedient.
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FOTO: DPA Akrobat schön: Hoffenheim­s Joelinton gegen den VfB.

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