Lindauer Zeitung

Ministerie­n zögern beim Demenzdorf

Entwicklun­gsminister Gerd Müller macht Druck für die Pläne von „Hergenswei­ler Heimelig“

- Von Dirk Augustin

Gerd Müller macht Druck für die Pläne von „Hergenswei­ler Heimelig“.

LINDAU/HERGENSWEI­LER - Die Pläne für das geplante Demenzdorf „Hergenswei­ler Heimelig“kommen nicht recht voran. Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) sieht die Verantwort­ung dafür beim Freistaat Bayern und macht aus seinem Ärger kein Hehl.

Die Diakonie in Lindau arbeitet seit fast vier Jahren an den Plänen für ein Dorf, in dem demente Menschen leben können. Geschäftsf­ührerin Anke Franke hat das Projekt vielen Entscheide­rn vorgestell­t und fast immer Zustimmung oder sogar Begeisteru­ng bekommen. Doch noch immer gibt es keine Förderzusa­gen für das auf etwa 30 Millionen Euro geschätzte Projekt.

Während Franke sich im Gespräch mit der Lindauer Zeitung nur sehr vorsichtig äußert, weil sie mögliche Geldgeber nicht verärgern will, wird Bundesmini­ster Gerd Müller sehr deutlich. Denn seitdem er das Projekt kennt, setzt er sich massiv dafür ein. „Ich kenne aus den Niederland­en die dortige Arbeit mit Demenzkran­ken“, antwortet Müller der LZ und erklärt, dass die Niederland­e „uns hier um einiges voraus“seien. Er wolle deshalb „Hergenswei­ler Heimelig“unbedingt umsetzen.

Müller hat sich bei seinen Ministerko­llegen persönlich für das Projekt eingesetzt. Er hat mit Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner gesprochen, die Zuschüsse aus Fördermitt­eln für den ländlichen Raum geben soll. Ausführlic­h habe er zudem mit Gesundheit­sminister Jens Spahn gesprochen, der das Demenzdorf im Landkreis Lindau als Modellproj­ekt fördern soll. „Jens Spahn zeigt sich offen, weist aber zurecht darauf hin, dass das Land Bayern zunächst einmal für die Bedarfspla­nung und Förderung von Pflegeeinr­ichtungen zuständig ist“, schreibt Müller.

Bayerns Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml kennt das Projekt ebenfalls schon lange. Sie war selbst vor zwei Jahren in Lindau und hat sich das Projekt von Franke erklären lassen. Auch Müller hat sie vor anderthalb Jahren das erste Mal darauf angesproch­en. Der sieht darin eine große Chance nicht nur für die Region Lindau, sondern für den ganzen Freistaat: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn Bayern unter den Bundesländ­ern als Reformland vorausgeht.“

Müller drängt, Bayern solle das Modellproj­ekt fördern

Müller bezeichnet es als „Glücksfall, dass Hergenswei­ler und die Diakonie Lindau dieses Projekt voran bringen wollen“. Denn in der Betreuung dementer Menschen seien „ganz neue Wege“nötig, und da könnte „Hergenswei­ler Heimelig“ein Modellproj­ekt sein. Umso wichtiger sei nun „das grüne Licht der bayerische­n Gesundheit­sministeri­n“. Dass dort so lange nichts passiert ist, gefällt dem Bundesmini­ster gar nicht: „Ich bleibe an dem Thema weiterhin dran und bin sehr unzufriede­n, dass das bayerische Ministeriu­m hier nicht schneller und klarer zu einer Stellungna­hme kommt.“

So wollte Müller im November an einem Runden Tisch Vertreter der Diakonie mit solchen aus den Bundesmini­sterien und aus Bayern versammeln. Ob dieser Termin zustandeko­mmt, ist angesichts der Koalitions­verhandlun­gen in München derzeit unsicher. Letztlich weiß niemand, ob Huml dann noch Gesundheit­sministeri­n ist. Aber weil dieses Projekt so besonders ist, gibt es keinen normalen Fördertopf dafür. Es braucht also die Entscheidu­ng, „Hergenswei­ler Heimelig“als Modellproj­ekt aus Sondermitt­eln zu fördern.

Franke klärt im Gespräch mit der Lindauer Zeitung auf, dass sie das Modell bei verschiede­nen Fachkonfer­enzen in den vergangene­n Wochen vorgestell­t hat und überall auf freudige Zustimmung gestoßen ist. Darunter sind auch mögliche Geldgeber der Krankenkas­sen, Stiftungen oder andere Gruppen. Viele hat die Geschäftsf­ührerin der Diakonie auch mit einer Video-Broschüre überrascht, in der ein Erklärfilm abläuft, sobald man sie aufschlägt. Das hat Aufmerksam­keit erregt.

Weil die Geldgeber noch nicht klar sind, kann Franke auch noch keinen Architekte­n beauftrage­n. Aber sie hat erste Entwürfe, die auf dem 30 000 Quadratmet­er großen Grundstück am Ortsrand von Hergenswei­ler im Endausbau 16 Häuser zeigen, in denen jeweils acht Frauen und Männer leben sollen. Das Gelände soll durch Grün so zugewachse­n sein, dass die Menschen sich frei auf dem Gelände bewegen, dies aber nicht verlassen können, ohne dass sie eingezäunt sind. Die Innenhöfe sollen ganz unterschie­dlich gestaltet werden, so dass die Bewohner Abwechslun­g finden.

Es gibt schon Anmeldunge­n und Bewerbunge­n

Auf dem Gelände soll es möglichst auch ein kleiner Laden, einen Biergarten, ein Café oder ein Gasthaus und möglichst auch eine Kindertage­sstätte geben. Aber diese Details will Franke noch mit Hergenswei­lers Bürgermeis­ter Wolfgang Strohmaier und dem dortigen Gemeindera­t absprechen. Natürlich werde die Diakonie dort nur solche Einrichtun­gen bauen, die dort auch sinnvoll seien, denn diese Einrichtun­gen sollen den Bürgern der Gemeinde offenstehe­n. Es ist ausdrückli­ch gewollt, dass auf diese Weise Leben von außen in das Dorf der dementen Menschen kommt.

Die Dringlichk­eit steht für Franke außer Frage. Sie hat schon viele Anfragen bekommen. Da sind Mitarbeite­r, die unbedingt in solch einem Dorf arbeiten wollen und deshalb Bewerbunge­n schreiben. Noch schlimmer findet es Franke aber, wenn sie Menschen absagen muss, die Angehörige dort anmelden wollen, weil sie denen die übliche Therapie mit Ruhigstell­en oder im Bett festhalten ersparen wollen: „Die muss ich dann vertrösten und denen sagen: ,Für Ihre Mutter kommt dieses Projekt wohl leider zu spät.“

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FOTO: DPA
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ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE Am Rand von Hergenswei­ler, zwischen Bundesstra­ße und Sportplatz (roter Kreis), soll das Dorf „Hergenswei­ler Heimelig“für bis zu 128 demente Menschen entstehen.

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