Mit Alternativen gegen die Ungerechtigkeit
Der Ökonom Wolfgang Kessler spricht in der Inselhalle über humanes Wirtschaften
LINDAU - Der Wirtschaft geht es so gut wie nie zuvor, die Gewinne steigen, Steuereinnahmen ebenfalls und das Geschäftsklima ist exzellent. Trotzdem machen sich Neid und Intoleranz breit. Viele haben das Gefühl, abgehängt zu werden und fürchten um ihre Existenz. Die Frage, wie das sein kann, hat der Journalist und Ökonom Wolfgang Kessler bei einem Vortrag in der Inselhalle erörtert.
Er beobachtet, dass trotz einer sich sehr gut entwickelnden Wirtschaft und exzellenten Zahlen mehr Ängste, Sorgen und Nöte als früher in der Bevölkerung bestehen. Kessler sagt: „Immer mehr Menschen vertrauen der Politik nicht mehr, wenn es um die wichtigen Fragen unserer Zeit geht.“Das sei so, wenn es um Gerechtigkeit geht. Dafür sieht er auch einen ganz klaren Grund. Er meint: „Zehn Prozent der Bevölkerung besitzen mehr als 66 Prozent des Vermögens in Deutschland. Viele verdienen nicht mit.“Für ihn sind die Bedingungen in der Wirtschaft nicht mehr human.
Besonders die Finanzmarktindustrie sei vollkommen abstrus. „Die machen Geschäfte, die den Wert aller Waren auf der Welt um ein Vielfaches übersteigen. Selbst als Experte verstehe ich oft nicht mehr, was da abgeht“, sagt Kessler. Besonders deutlich wird das, wenn er auf die Unterschiede bei der Digitalisierung hinweist. Während die Arbeitsplätze von vielen durch Roboter bedroht seien, würden an den Börsen in einer Millisekunde mehr als 80 000 Wertpapiere gehandelt. Das sei für den normalen Menschen nicht mehr begreifbar.
Auch international beobachtet Kessler viele Probleme und zeichnet ein düsteres Bild. Er sagt: „Das Motto der Welt ist: wie im Westen so auf Erden. Alles orientiert sich immer nur an mehr Wachstum und mehr Mobilität. Und natürlich haben die Länder im Osten und Süden das Recht, uns nachzueifern. Die Folgen von diesem globalen Streben sind der Klimawandel, Kriege um Ressourcen und Migration.“Angst, Intoleranz und Nationalismus seien wiederum die Folge dieser Entwicklungen. Dass viele Menschen deshalb sehr pessimistisch in die Zukunft schauen, versteht Kessler sehr gut.
Handeln müssen Politik, Wirtschaft und der Einzelne
Allerdings meint er: „Es lohnt sich dennoch, Lust auf die Zukunft zu haben. Wir müssen Alternativen finden und durchsetzen.“Von denen stellt Kessler gleich mehrere vor. Er erzählt von der Stadt Basel, die von allen Unternehmen und allen Bürgern eine Abgabe auf den Strompreis verlangt. Diese zahlt sie einmal pro Jahr zu gleichen Teilen allen Abgabenzahlern wieder aus, Unternehmen bekommen ihre Anteile pro Arbeitsplatz. Wer Strom spart, zahlt weniger, erhält aber die gleiche Prämie wie der, der viel braucht. „Damit haben die Menschen einen Anreiz Strom zu sparen“, sagt Kessler.
Er findet auch eine Änderung im Verhalten von Banken wichtig: „Ein tolles Beispiel ist die GLS-Bank. Die spekuliert nicht mit dem Geld ihrer Kunden und vergibt auch keine Kredite an Umweltsünder oder Waffenhändler, sondern unterstützt wertvolle Projekte für die Gesellschaft. Ein Wechsel der Bank durch Einzelne kann schon viel bewirken.“Damit kommt Kessler zu seinem wichtigsten Punkt. Er sagt: „Natürlich muss jeder von uns selbst prüfen, was er tun kann, aber ohne, das sich die Politik ändert, ohne dass sich das Geschäftsgebahren ändert, geht es auch nicht.“