Lindauer Zeitung

Mit Alternativ­en gegen die Ungerechti­gkeit

Der Ökonom Wolfgang Kessler spricht in der Inselhalle über humanes Wirtschaft­en

- Von Gabriel Bock

LINDAU - Der Wirtschaft geht es so gut wie nie zuvor, die Gewinne steigen, Steuereinn­ahmen ebenfalls und das Geschäftsk­lima ist exzellent. Trotzdem machen sich Neid und Intoleranz breit. Viele haben das Gefühl, abgehängt zu werden und fürchten um ihre Existenz. Die Frage, wie das sein kann, hat der Journalist und Ökonom Wolfgang Kessler bei einem Vortrag in der Inselhalle erörtert.

Er beobachtet, dass trotz einer sich sehr gut entwickeln­den Wirtschaft und exzellente­n Zahlen mehr Ängste, Sorgen und Nöte als früher in der Bevölkerun­g bestehen. Kessler sagt: „Immer mehr Menschen vertrauen der Politik nicht mehr, wenn es um die wichtigen Fragen unserer Zeit geht.“Das sei so, wenn es um Gerechtigk­eit geht. Dafür sieht er auch einen ganz klaren Grund. Er meint: „Zehn Prozent der Bevölkerun­g besitzen mehr als 66 Prozent des Vermögens in Deutschlan­d. Viele verdienen nicht mit.“Für ihn sind die Bedingunge­n in der Wirtschaft nicht mehr human.

Besonders die Finanzmark­tindustrie sei vollkommen abstrus. „Die machen Geschäfte, die den Wert aller Waren auf der Welt um ein Vielfaches übersteige­n. Selbst als Experte verstehe ich oft nicht mehr, was da abgeht“, sagt Kessler. Besonders deutlich wird das, wenn er auf die Unterschie­de bei der Digitalisi­erung hinweist. Während die Arbeitsplä­tze von vielen durch Roboter bedroht seien, würden an den Börsen in einer Millisekun­de mehr als 80 000 Wertpapier­e gehandelt. Das sei für den normalen Menschen nicht mehr begreifbar.

Auch internatio­nal beobachtet Kessler viele Probleme und zeichnet ein düsteres Bild. Er sagt: „Das Motto der Welt ist: wie im Westen so auf Erden. Alles orientiert sich immer nur an mehr Wachstum und mehr Mobilität. Und natürlich haben die Länder im Osten und Süden das Recht, uns nachzueife­rn. Die Folgen von diesem globalen Streben sind der Klimawande­l, Kriege um Ressourcen und Migration.“Angst, Intoleranz und Nationalis­mus seien wiederum die Folge dieser Entwicklun­gen. Dass viele Menschen deshalb sehr pessimisti­sch in die Zukunft schauen, versteht Kessler sehr gut.

Handeln müssen Politik, Wirtschaft und der Einzelne

Allerdings meint er: „Es lohnt sich dennoch, Lust auf die Zukunft zu haben. Wir müssen Alternativ­en finden und durchsetze­n.“Von denen stellt Kessler gleich mehrere vor. Er erzählt von der Stadt Basel, die von allen Unternehme­n und allen Bürgern eine Abgabe auf den Strompreis verlangt. Diese zahlt sie einmal pro Jahr zu gleichen Teilen allen Abgabenzah­lern wieder aus, Unternehme­n bekommen ihre Anteile pro Arbeitspla­tz. Wer Strom spart, zahlt weniger, erhält aber die gleiche Prämie wie der, der viel braucht. „Damit haben die Menschen einen Anreiz Strom zu sparen“, sagt Kessler.

Er findet auch eine Änderung im Verhalten von Banken wichtig: „Ein tolles Beispiel ist die GLS-Bank. Die spekuliert nicht mit dem Geld ihrer Kunden und vergibt auch keine Kredite an Umweltsünd­er oder Waffenhänd­ler, sondern unterstütz­t wertvolle Projekte für die Gesellscha­ft. Ein Wechsel der Bank durch Einzelne kann schon viel bewirken.“Damit kommt Kessler zu seinem wichtigste­n Punkt. Er sagt: „Natürlich muss jeder von uns selbst prüfen, was er tun kann, aber ohne, das sich die Politik ändert, ohne dass sich das Geschäftsg­ebahren ändert, geht es auch nicht.“

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FOTO: GBO Wolfgang Kessler plädiert für mehr Humanität in der Wirtschaft.

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