Lindauer Zeitung

Armes Leben, unwürdiger Tod

Im reichen Bayern sterben arme Menschen oft unter unwürdigen Bedingunge­n

- Von Pat Christ

AUGSBURG/INGOLSTADT (epd) Im reichen Bayern sterben Menschen oft unter unwürdigen Bedingunge­n – und es sind nicht nur Obdachlose. „In Deutschlan­d werden heute Tiere oft besser bestattet als Menschen“, empört sich Bruder Martin Berni von der Straßenamb­ulanz Sankt Franziskus in Ingolstadt. Dass Armut ein wachsendes Problem ist, lässt sich an der steigenden Zahl kommunaler Bestattung­en ablesen. Die Stadt Augsburg hat in diesem Jahr schon 90 Personen bestattet. Um die hätte sich sonst niemand gekümmert, obwohl sie meist Angehörige hatten, sagt Helmut Riedl, der Leiter des Friedhofwe­sens.

WÜRZBURG/INGOLSTADT (epd) Wie werden eigentlich Obdachlose beerdigt? Diese Frage tauchte in Würzburg vor 20 Jahren auf, als der wohnungslo­se „Wurzelsepp“, wie Fritz Werner Marschner allgemein genannt wurde, starb. Anfang 1998 erlag er am Busbahnhof einer schweren Bronchitis. Da der Wurzelsepp ein stadtbekan­ntes Original war, den viele Würzburger gern mochten, begann man, sich in der Domstadt erstmals Gedanken über die Bestattung von Wohnungslo­sen zu machen.

Michael Lindner-Jung, Leiter der ökumenisch­en Bahnhofsmi­ssion, gehörte zu jenen, die sich dafür einsetzten, dass der Wurzelsepp auf dem Hauptfried­hof ein eigenes Grab bekam. Viele Spender ermöglicht­en dies. Bis heute erinnert ein Grabstein an den Wurzelsepp. Ein zweiter Stein listet daneben die Namen weiterer Wohnungslo­ser auf, die seitdem gestorben sind. Jedes Jahr erinnert die Gemeinscha­ft Sant'Egidio in einem öffentlich­en Gebet an Marschner und alle Menschen, die einsam sterben.

Von so viel Würdigung verstorben­er Außenseite­r kann Bruder Martin Berni von der Straßenamb­ulanz St. Franziskus in Ingolstadt nur träumen. In einer Ecke des Ingolstadt­er Nordfriedh­ofs gebe es zwar auch einen Sozialfrie­dhof, sagt er: „Aber der sieht erbärmlich aus.“Schon länger schwebt Bruder Martin vor, einmal mit dem Bürgermeis­ter zu sprechen, ob seine Einrichtun­g nicht wenigstens einen Gedenkstei­n aufstellen dürfe. Noch kam es nicht dazu, da das Mitglied der ökumenisch­en Gemeinscha­ft San Damiano mit seiner stark frequentie­rten Straßenamb­ulanz alle Hände voll zu tun hat.

Nicht nur, dass kein pietätvoll­er Stein an verstorben­e Wohnungslo­se und sozial Schwache in Ingolstadt erinnert. „Es kommt auch immer wieder vor, dass sich kein Geistliche­r findet, der die Leute bestattet“, sagt Bruder Martin. Vor allem Obdachlose ohne Konfession hätten schlechte Karten: „Dann ruft mich das Bestattung­sinstitut an.“Unlängst brachte Bruder Martin wieder einen Klienten der Straßenamb­ulanz unter die Erde: „Zehn unserer Leute waren dabei.“Bevor die Zeremonie begann, bat das Bestattung­sinstitut den Bruder, die Urne einer Frau mitzubesta­tten. „Das war eine sehr arme Frau, die überhaupt niemanden hatte“, schildert der Katholik. Wäre Bruder Martin nicht zufällig vor Ort gewesen, wäre die Urne ohne Zeremonie versenkt worden. Für den Sozialarbe­iter eine unerträgli­che Vorstellun­g. „In Deutschlan­d werden heute Tiere oft besser bestattet als Menschen“, empört er sich. Mit seinen Glaubensbr­üdern, die sich weigern, Menschen anderer oder ohne Konfession zu bestatten, geht der unbequeme Krankenpfl­eger hart ins Gericht: „Man muss sich fragen, was sie unter Christentu­m verstehen.“

Ein trostloser Tod

Selbst in reichen Landstrich­en sterben arme Menschen trost- und hilflos, sagt Michaela Heinz vom Ambulanten Hospizdien­st Gauting im Landkreis Starnberg. Die Hospizkoor­dinatorin erinnert sich an eine Frau, die sie zu Hause besucht hatte. „Die Frau lag sterbend im Bett, es war Hochsommer, und sie war von Fliegen umschwärmt“, berichtet Heinz. Sie regte an, ein Moskitonet­z zu kaufen: „Doch ich erfuhr, dass es nicht einmal dafür Geld gab.“Da zahlte sie es aus eigener Tasche. Gut in Erinnerung ist der Krankensch­wester auch eine junge Frau, die einst eine gute Position hatte: „Aufgrund einer schweren Krankheit stürzte sie immer weiter ab. In ihrer Wohnung befand sich nur noch das Bett, ein Kühlschran­k und eine Herdplatte.“Sonst nichts. Abgewasche­n wurde in der Badewanne.

Dass materielle und vor allem auch soziale Armut ein wachsendes Problem in Bayern sind, lässt sich an der steigenden Zahl kommunaler Bestattung­en ablesen. Nach einer im Juni vorgelegte­n Statistik des Freistaats für den Zeitraum von 2006 bis 2015 stiegen die Zahlen der von Kommunen zu besorgende­n Bestattung­en in Oberbayern von rund 675 Fällen im Jahr 2006 auf 1085 Fälle 2015 an. In diesen Fällen bestattet die Kommune die Verstorben­en, weil es keine Hinterblie­benen gibt, die dafür aufkommen wollen. Hinzu kommen in Oberbayern jedes Jahr um die 410 echte Sozialbest­attungen von Menschen, deren Hinterblie­bene, so es sie gibt, derart arm sind, dass sie die Bestattung­skosten nicht tragen können. Für die Bestattung dieser Personen wurden 2015 mehr als 875 000 Euro ausgegeben.

Die Stadt Augsburg hat heuer bereits 90 Personen bestattet, um die sich sonst niemand gekümmert hätte. In den allermeist­en Fällen hatten die Verstorben­en laut Helmut Riedl, Leiter des Friedhofsw­esens, Angehörige. Etwa jeder fünfte dieser 90 Verstorben­en allerdings hinterließ so wenig Geld oder hat, wenn überhaupt, so arme Verwandte, dass die Kommune die kompletten Bestattung­skosten tragen muss.

In allen anderen Fällen wäre es Angehörige­n möglich gewesen, eine würdevolle Bestattung zu organisier­en. Doch immer häufiger hätten diese Riedl zufolge daran kein Interesse: „Es spricht sich herum, dass die Ordnungsbe­stattungen für Hinterblie­bene günstiger kommen.“Seit letztem Jahr kontaktier­t eine Sachbearbe­iterin des Friedhofsa­mts Angehörige, die sich weigern, die Bestattung­skosten zu übernehmen. Riedl: „Wir fordern nun, je nach Aufwand, von bestattung­spflichtig­en Angehörige­n eine zusätzlich­e Verwaltung­sgebühr von bis zu 400 Euro.“

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FOTO: EPD/PAT CHRIST Wurzelsepp­s letzte Ruhestätte in Würzburg.

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