Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander
Fregattenkapitän Marco Thiele berichtet über die Einsätze der Bundesmarine und die Herausforderungen für Soldaten und Politik
WEISSENSBERG - Die Deutsche Marine ist schlecht ausgestattet. Und obwohl die Herausforderungen an diese Streitmacht wegen der besonderen sicherheitspolitischen Situation Deutschlands innerhalb Europas immer mehr werden, wird es nach Jahrzehnten der Abrüstung noch Jahre dauern, bis sie den politischen Anforderungen tatsächlich entsprechen kann. Trotzdem ist die Bundesmarine Teil zahlreicher Einsätze auf den Meeren der Welt. Welche das sind und worin die Problematik besteht, das erklärte Fragattenkapitän Marco Thiele den Mitgliedern der „Kameradschaft Ehemalige, Reservisten und Hinterbliebene“(ERH) im Deutschen Bundeswehr Verband in Lindau und deren befreundeten Verbänden.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei der deutschen Bundeswehr auseinander. Das wurde einmal mehr bei dem Bericht über die deutsche Marine klar, den Marco Thiele den Kameraden der ERH erstattete. Der Fregattenkapitän, der im Marine-Kommando in Glücksburg tätig ist, hatte bereits im vergangenen Jahr über die prekäre personelle und materielle Situation der Bundesmarine aufgeklärt und damit ein Problem angesprochen, noch bevor es durch alle Medien ging. Mit seinem diesjährigen Vortrag gab er einen Einblick in die aktuellen Einsätze.
Das Fazit nahm Stabsfeldwebel der Reserve und Vorsitzender der ERH-Kameradschaft Lindau, Joachim Wiese, in seiner Einführung in den Abend schon einmal vorweg, als er feststellte: „Die Aufgaben wachsen stetig, aber personell und materiell gibt es keine Verbesserungen und der Verteidigungshaushalt ist noch immer auf Sparflamme.“
Besondere Belastung für Marinesoldaten
In seinem Vortrag machte Thiele klar, dass die Marine der kleinste Bereich der Bundeswehr sei. Trotzdem habe sie eine Vielzahl von Aufträgen zu stemmen und habe mit rund 16 000 Leuten prozentual die meisten Soldaten im Einsatz. Demgegenüber steht jedoch das, was Thiele als „besondere Herausforderung“für die Soldaten bezeichnete. Dies seien zum Beispiel die monatelangen Einsätze auf See, fernab von Familie und Freunden, die die Soldaten belasten. Diesen Punkt kritisierte Thiele, der auch Vorsitzender der Marine im Bundesvorstand des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV) ist und damit die sozialen Interessen seiner Mitglieder vertritt, besonders. Etwa, als er die Situation beschrieb, dass die Soldaten trotz Einsatzplänen nicht wüssten, wann genau sie für Monate auf See geschickt würden. Seiner Meinung nach läge das daran, dass die Planungen deutlich zu kurzfristig gemacht würden und die Einsatzänderungsquote bei 60 bis 70 Prozent läge. Erschwerend für die Soldaten auf See sei zudem, dass sie nicht ohne Weiteres mit ihren Familien kommunizieren könnten, weil die Technik an Bord fehle.
Zu den weiteren Herausforderungen zählte Thiele zudem die Belastungen, denen die Marinesoldaten ausgesetzt seien. Dazu gehörten die beengte Lebenssituation der Kameraden auf den Schiffen ebenso wie jene psychische Belastung, die der Anblick der Tausenden Flüchtlingsschicksale mit sich brächte. Hinzu käme noch die „mangelhafte und unzureichende“Ausstattung. „Es ist nicht so, dass wir uns die Schwimmwesten teilen müssen, aber man greift sich schon oft an den Kopf“, sagte er und nannte als Beispiel, dass die Marine zwar sechs U-Boote besitze, keines davon aber seit Jahren fahre. Neben dem ständigen Einsatz in „Standing NATO Maritime Groups“und Manövern, wie derzeit in Norwegen, wo 10 000 deutsche Soldaten beteiligt seien, ist die Marine aktuell an vier Einsätzen beteiligt. Bei der „Operation Atalanta“am Horn von Afrika, wo seit 2008 bis zu 600 Soldaten die Piraterie bekämpfen und sowohl Handelsschiffe als auch die Schiffe, die für das Welternährungsprogramm unterwegs sind, schützen. Allerdings geschehe dies derzeit mit nur einem Seefernaufklärungsflugzeug und einer logistischen Unterstützungseinheit, wie Thiele erklärte – für ihn völlig unverständlich. Die Bundesregierung habe letztes Jahr Schürfrechte erworben, „aber die Marine hat keine Kapazitäten, diese zu schützen“.
Der Fregattenkapitän kritisierte zudem, dass trotz allen Erfolges bei dem Unifil-Einsatz vor der Küste Libanons ausreichend einsatzbereite Einheiten fehlten. Beim EU-Einsatz Eunavfor Med „Operation Sophia“im Mittelmeer sollte die teure Marine trotz Erfolgen besser durch zivile Schiffe zur Rettung der Flüchtlinge eingesetzt werden.
Außerdem müsse bei allen Einsätzen und insbesondere beim Einsatz „Sea Guardian“für die Sicherheit im Mittelmeer der Zweck überprüft werden. Denn seiner Meinung nach gebe es kein Wissen über die „Marschroute“der Missionen, also wohin sie führen sollen und wann sie beendet würden. „Es gibt keinen Desired-End-State“, sagte er, also kein angestrebtes Endresultat. „Was wollen wir erreichen, warum schicken wir unsere Soldaten da hin? Diese Fragen kriegen Sie nie vernünftig beantwortet und das ist, was uns seit Jahren stört“, sagte Thiele und forderte ein Handeln vonseiten der Politik.
„Es ist nicht so, dass wir uns die Schwimmwesten teilen müssen, aber man greift sich schon oft an den Kopf.“
Marco Thiele