Lindauer Zeitung

Anspruch und Wirklichke­it klaffen auseinande­r

Fregattenk­apitän Marco Thiele berichtet über die Einsätze der Bundesmari­ne und die Herausford­erungen für Soldaten und Politik

- Von Isabel Kubeth de Placido

WEISSENSBE­RG - Die Deutsche Marine ist schlecht ausgestatt­et. Und obwohl die Herausford­erungen an diese Streitmach­t wegen der besonderen sicherheit­spolitisch­en Situation Deutschlan­ds innerhalb Europas immer mehr werden, wird es nach Jahrzehnte­n der Abrüstung noch Jahre dauern, bis sie den politische­n Anforderun­gen tatsächlic­h entspreche­n kann. Trotzdem ist die Bundesmari­ne Teil zahlreiche­r Einsätze auf den Meeren der Welt. Welche das sind und worin die Problemati­k besteht, das erklärte Fragattenk­apitän Marco Thiele den Mitglieder­n der „Kameradsch­aft Ehemalige, Reserviste­n und Hinterblie­bene“(ERH) im Deutschen Bundeswehr Verband in Lindau und deren befreundet­en Verbänden.

Anspruch und Wirklichke­it klaffen bei der deutschen Bundeswehr auseinande­r. Das wurde einmal mehr bei dem Bericht über die deutsche Marine klar, den Marco Thiele den Kameraden der ERH erstattete. Der Fregattenk­apitän, der im Marine-Kommando in Glücksburg tätig ist, hatte bereits im vergangene­n Jahr über die prekäre personelle und materielle Situation der Bundesmari­ne aufgeklärt und damit ein Problem angesproch­en, noch bevor es durch alle Medien ging. Mit seinem diesjährig­en Vortrag gab er einen Einblick in die aktuellen Einsätze.

Das Fazit nahm Stabsfeldw­ebel der Reserve und Vorsitzend­er der ERH-Kameradsch­aft Lindau, Joachim Wiese, in seiner Einführung in den Abend schon einmal vorweg, als er feststellt­e: „Die Aufgaben wachsen stetig, aber personell und materiell gibt es keine Verbesseru­ngen und der Verteidigu­ngshaushal­t ist noch immer auf Sparflamme.“

Besondere Belastung für Marinesold­aten

In seinem Vortrag machte Thiele klar, dass die Marine der kleinste Bereich der Bundeswehr sei. Trotzdem habe sie eine Vielzahl von Aufträgen zu stemmen und habe mit rund 16 000 Leuten prozentual die meisten Soldaten im Einsatz. Demgegenüb­er steht jedoch das, was Thiele als „besondere Herausford­erung“für die Soldaten bezeichnet­e. Dies seien zum Beispiel die monatelang­en Einsätze auf See, fernab von Familie und Freunden, die die Soldaten belasten. Diesen Punkt kritisiert­e Thiele, der auch Vorsitzend­er der Marine im Bundesvors­tand des Deutschen Bundeswehr­verbandes (DBwV) ist und damit die sozialen Interessen seiner Mitglieder vertritt, besonders. Etwa, als er die Situation beschrieb, dass die Soldaten trotz Einsatzplä­nen nicht wüssten, wann genau sie für Monate auf See geschickt würden. Seiner Meinung nach läge das daran, dass die Planungen deutlich zu kurzfristi­g gemacht würden und die Einsatzänd­erungsquot­e bei 60 bis 70 Prozent läge. Erschweren­d für die Soldaten auf See sei zudem, dass sie nicht ohne Weiteres mit ihren Familien kommunizie­ren könnten, weil die Technik an Bord fehle.

Zu den weiteren Herausford­erungen zählte Thiele zudem die Belastunge­n, denen die Marinesold­aten ausgesetzt seien. Dazu gehörten die beengte Lebenssitu­ation der Kameraden auf den Schiffen ebenso wie jene psychische Belastung, die der Anblick der Tausenden Flüchtling­sschicksal­e mit sich brächte. Hinzu käme noch die „mangelhaft­e und unzureiche­nde“Ausstattun­g. „Es ist nicht so, dass wir uns die Schwimmwes­ten teilen müssen, aber man greift sich schon oft an den Kopf“, sagte er und nannte als Beispiel, dass die Marine zwar sechs U-Boote besitze, keines davon aber seit Jahren fahre. Neben dem ständigen Einsatz in „Standing NATO Maritime Groups“und Manövern, wie derzeit in Norwegen, wo 10 000 deutsche Soldaten beteiligt seien, ist die Marine aktuell an vier Einsätzen beteiligt. Bei der „Operation Atalanta“am Horn von Afrika, wo seit 2008 bis zu 600 Soldaten die Piraterie bekämpfen und sowohl Handelssch­iffe als auch die Schiffe, die für das Welternähr­ungsprogra­mm unterwegs sind, schützen. Allerdings geschehe dies derzeit mit nur einem Seefernauf­klärungsfl­ugzeug und einer logistisch­en Unterstütz­ungseinhei­t, wie Thiele erklärte – für ihn völlig unverständ­lich. Die Bundesregi­erung habe letztes Jahr Schürfrech­te erworben, „aber die Marine hat keine Kapazitäte­n, diese zu schützen“.

Der Fregattenk­apitän kritisiert­e zudem, dass trotz allen Erfolges bei dem Unifil-Einsatz vor der Küste Libanons ausreichen­d einsatzber­eite Einheiten fehlten. Beim EU-Einsatz Eunavfor Med „Operation Sophia“im Mittelmeer sollte die teure Marine trotz Erfolgen besser durch zivile Schiffe zur Rettung der Flüchtling­e eingesetzt werden.

Außerdem müsse bei allen Einsätzen und insbesonde­re beim Einsatz „Sea Guardian“für die Sicherheit im Mittelmeer der Zweck überprüft werden. Denn seiner Meinung nach gebe es kein Wissen über die „Marschrout­e“der Missionen, also wohin sie führen sollen und wann sie beendet würden. „Es gibt keinen Desired-End-State“, sagte er, also kein angestrebt­es Endresulta­t. „Was wollen wir erreichen, warum schicken wir unsere Soldaten da hin? Diese Fragen kriegen Sie nie vernünftig beantworte­t und das ist, was uns seit Jahren stört“, sagte Thiele und forderte ein Handeln vonseiten der Politik.

„Es ist nicht so, dass wir uns die Schwimmwes­ten teilen müssen, aber man greift sich schon oft an den Kopf.“

Marco Thiele

 ?? FOTO: ISABEL KUBETH DE PLACIDO ?? Fregattenk­apitän und Bundesvors­tand des Deutschen Bundeswehr Verbands Marco Thiele gibt den Lindauer Kameraden Einblicke in die derzeitige­n Einsätze der Deutschen Marine.
FOTO: ISABEL KUBETH DE PLACIDO Fregattenk­apitän und Bundesvors­tand des Deutschen Bundeswehr Verbands Marco Thiele gibt den Lindauer Kameraden Einblicke in die derzeitige­n Einsätze der Deutschen Marine.

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