Kostbare Seelennahrung
Ist das traditionsreiche Gebäck aus Oberschwaben und dem Allgäu in Gefahr? – Seit diesem Jahr ist die Seele aufgenommen in die „Arche des Geschmacks“
vor allem: Handarbeit, die in Zeiten billiger Massenproduktion keine Konjunktur hat.
Ein Besuch bei Bäckermeister Manfred Müller in Schmalegg bei Ravensburg zeigt zunächst eines: An der Nachfrage mangelt es nicht, die Seelen gehen weg wie die berühmten warmen Semmeln – beziehungsweise Wecken. Viel Zeit stecke schon drin in den Seelen, das betont auch Müller, und das sei auch nötig. Was naturgemäß auf den Preis schlägt: „Eine original schwäbische Seele für 40 Cent ist eine Utopie“, stellt er klar. Mindestens das Doppelte kostet sie derzeit in den Läden in der Region.
Das Entscheidende für den Handwerksbäcker ist der lange gereifte Teig. Die Zutaten sind schnell aufgezählt: Mehl, Wasser, Hefe und Salz. Schon am Abend vorher wird ein Vorteig angesetzt, der zehn bis zwölf Stunden gehen muss, damit sich die Aromen entwickeln können. Dann kommen noch mehr Mehl und Salz dazu, es entsteht ein sehr weicher Hauptteig – „so ähnlich wie ein Spätzleteig“. Der wird dann noch mal einige Stunden liegen gelassen, damit er sich stabilisieren kann. Und wenn er dann da liegt, ein riesiger, weicher, genetzter, also befeuchteter Teigfladen, dann gilt es zügig mit beiden Händen und viel Fingerspitzengefühl die typisch länglichen Teigstücke „auszubrechen“und auf den sehr heißen Ofenboden zu bringen, wo sie zehn bis zwölf Minuten backen. Dafür wird in der streng traditionellen Herstellungsart ein langer hölzerner Schieber benutzt, der sogenannte Seelenschießer. „Eine echte Seele muss geschossen werden“, betont Rehm. Laut Slow Food gibt es in den Landkreisen Ravensburg und Biberach derzeit noch etwa 15 Handwerksbäcker, die so arbeiten.
Müller ist da nicht ganz so dogmatisch. Er hat inzwischen umgestellt und arbeitet mit einer Backfolie, auf der etwa 40 Seelen auf einmal auf die heiße Ofenplatte geschoben werden. „Das macht es für den Bäcker ein bisschen bequemer“, sagt Müller, der seit 44 Jahren in der Backstube steht. Dem guten Geschmack tue das keinen Abbruch. Was nicht geht, schon rein technisch nicht, das ist eine gänzlich maschinelle Herstellung. Dafür sei der Teig einfach zu weich, erklärt der 59-Jährige. An der Seele erkenne man eben auch die Handschrift des Bäckers: „Jeder macht sie ein bisschen anders.“Auch die Mehlmischung darf im Übrigen variieren, manche Betriebe nehmen mehr Dinkelmehl, andere mehr Weizenmehl. Zusatzstoffe oder Backmittel? Bäckermeister Müller schüttelt den Kopf.
Anspruchsvoll ist sie also schon, die echte Seele, und auch ein wenig sensibel. Früher hieß es, sie solle das Elf-Uhr-Läuten nicht hören, das in der katholischen Tradition als Allerseelenläuten gilt und an die Toten erinnert. Ein Brauch, dem das Gebäck auch seinen Namen verdankt (siehe Kasten).
Das heißt: Sie sollte frisch gegessen werden. Und das sollte jeder tun, der verhindern will, dass das Totenglöckchen für die echte Seele läutet. Es gibt sicher größere Opfer.