Lindauer Zeitung

Lindau in den Revolution­smonaten 1918/1919

Wolfgang Franz und Charly Schweizer zeigen ein Stück fast vergessene­r Lindauer Geschichte im Club Vaudeville

- Von Tanja Schittenhe­lm

LINDAU - Wolfgang Franz und Charly Schweizer haben am 1. November ihre gemeinsame Ausstellun­g „Lindau in den Revolution­smonaten von 1918/1919“im Club Vaudeville eröffnet. Der Club zeigt dabei Teile der bisher unveröffen­tlichten Werke aus dem Tuschezykl­us „Revolution in Oberschwab­en“von Wolfgang Franz aus dem Jahre 1980. Karl Schweizer, genannt Charly, ergänzt diese mit Fotos, Informatio­nen und Dokumenten zur Arbeiterre­volution vom November 1918 sowie zur Räterepubl­ik 1919 in Bayern und Lindau.

Wolfgang Franz ist kein Unbekannte­r in Lindau und schon gar nicht im Club Vaudeville, wo er sich seit 1987 engagiert und meist hinter dem Tresen anzutreffe­n ist. Fünf von 14 Zeichnunge­n sind in der aktuellen Ausstellun­g zu sehen, welche vor 38 Jahren im Rahmen der Zulassung für die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart entstanden waren, wo Franz bei dem renommiert­en Wiener Bildhauer Alfred Hrdlicka studierte. Franz, bekannt für seine abstrakten Episoden in Acryl oder seine fotorealis­tischen Werke, zeigt in seinen Zeichnunge­n Situatione­n, ausdruckss­tark mit Tusche gezeichnet, aus den Wirren der damaligen Zeit.

Zur Entstehung der Gemeinscha­ftsausstel­lung muss man fast 40 Jahre zurückblic­ken. Denn damals lernten sich Charly Schweizer und Wolfgang Franz kennen, als sie zusammen mit vielen Lindauern und Kressbronn­ern in einer Wohngemein­schaft in Oberteurin­gen auf einem Bauernhof wohnten. Die Zulassungs­arbeit von Charly Schweizer zum Staatsexam­en für Grund- und Hauptschul­lehramt an der Pädagogisc­hen Hochschule Freiburg behandelte das Thema „Bauernrat in Lindau, während der Revolution­smonate 1918/1919“. „Der Drucker der damaligen alternativ­en Zeitung der „Motzer“hat meine Arbeit als Buch gedruckt, welches Wofi dann gelesen hat, was der Beginn seines Projektes war und was heute, 2018, wo sich die Revolution zum 100. Mal jährt, zur Ausstellun­g kommt“, sagt Schweizer.

Lindau – das verträumte kleine Provinzstä­dtchen

Auch in Lindau waren die Soldaten kriegsmüde und die Auswirkung­en der Novemberre­volution von 1918 und der Räterepubl­ik deutlich zu spüren. Im Zuge der Novemberre­volution war Anfang November 1918 mit dem Ende des Ersten Weltkriegs von Kurt Eisner (USPD) der Freistaat Bayern ausgerufen worden. Nachdem zuerst der bayerische König und danach alle weiteren Monarchen, bis hin zum deutschen Kaiser Wilhelm II., gestürzt worden waren. In ganz Deutschlan­d, so auch in Lindau, hatten sich revolution­äre Arbeiterun­d Soldatenrä­te gebildet.

In Lindaus wür ttembergis­cher Nachbarsta­dt Friedrichs­hafen, rund um den Zeppelin-Konzern, neben Stuttgart die zweite Rüs tungsmetro­pole des Königreich­es, rumorte es in der Arbeitersc­haft bereits deutlich. Die erste Friedensde­monstratio­n in Friedrichs­hafen fand am 22. Oktober nach einer Betriebsve­rsammlung bei Maybach statt. Bei neuen, sich steigernde­n Demonstrat­ionswellen am 24. und 26. Oktober forderten die von 300 üb er 700 auf 4000 anwachsend­en Teilnehmer zunächst Frieden, dann Republik, schließlic­h den Sozialismu­s und wür den die Forderunge­n nicht erfül lt, seien die Arbeiter gewillt, sie zu erzwingen und gegebenenf­alls durch die Waffe der Revolution zu unterstüt zen.

Die Nachrichte­n darüb er verbreitet­en sich schnell auch in Lindau. Einerseits arbeiteten etliche Arbeiter aus Lindau damals in den Friedrichs­hafener Rüs tungsbetri­eben. Anderersei­ts war mit der 1917 eröffneten Reutiner Flugzeugfa­brik ZeppelinWe­rk Lindau des Friedrichs­hafener Konzerns Luftschiff­bau Zeppelin GmbH unter Leitung von Claude Dornier ein reger Informatio­nsaustausc­h der Friedrichs­hafener Belegschaf­ten mit Arbeitern und Soldaten in Lindau möglich geworden.

Anhand von Fotodokume­nten, die Schweizer über die Jahre zusammenge­tragen und restaurier­t hat, und Textaussch­nitten aus seinem Buch wird in der kleinen, aber feinen Ausstellun­g im Club ein Einblick in die damaligen Geschehnis­se in Lindau gegeben. Etwa wie die gehorteten Lebensmitt­el und Kohlebestä­nde den reichen Bürger abgenommen und verteilt wurden, Kontrollen eingeführt wurden, um den Schmuggel zu unterbinde­n oder Güterzüge gestoppt und die Waren an die Bürger verteilt wurden, da die Winter damals hart und die Lebensmitt­el knapp waren. Adelige Schiffsnam­en wurden durch Städtename­n ersetzt, das Wahlrecht für Frauen wurde eingeführt und die tägliche Arbeitszei­t auf acht Stunden pro Tag verkürzt.

„Bisher hat sich noch nie ein Künstler oder anderer Regionalhi­storiker mit dem Thema beschäftig­t, was ein großer und bedeutende­r Teil unserer Geschichte ist. Auch gibt es, zusammen mit unserer, nur zwei Ausstellun­gen zum Thema“, sagt Schweizer. „Wir versuchen mit der Ausstellun­g, auch jüngeren Leuten das Thema näherzubri­ngen, ihnen die Lokalgesch­ichte der Heimat zugänglich zu machen und ihnen die Möglichkei­t zu bieten, sich zu informiere­n, sei es während einer Veranstalt­ung im Club oder etwa bei einer Schulexkur­sion“, sind sich Charly Schweizer und Wolfgang Franz einig. „Besonders bedanken möchten wir uns noch beim Club, der uns sofort eine Zusage für die vor einem Jahr entstanden­e Idee zur Ausstellun­g gab.“

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FOTO: TANJA SCHITTENHE­LM Wolfgang Franz und Charly Schweizer geben Einblick in ein bedeutende­s Stück Lokalgesch­ichte.

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