Lindauer Zeitung

Landtag und Regierung sortieren sich

Aigner sagt bei konstituie­render Sitzung Extremismu­s Kampf an – AfD-Kandidat fällt durch

- Von Ralf Müller

MÜNCHEN - Bei der Konstituie­rung des neu gewählten bayerische­n Landtags blieb ein Eklat aus: Nachdem der vom Verfassung­sschutz beobachtet­e AfD-Abgeordnet­e Uli Henkel auf seine Kandidatur für einen der Vizepräsid­entenposte­n verzichtet hatte, ging die Wahl des Landtagspr­äsidiums zunächst ohne Komplikati­onen über die Bühne. Allerdings zeigte sich bald, dass im Maximilian­eum nun eine politische Kraft sitzt, die von allen anderen mit großer Skepsis betrachtet wird. Die Folge: Der AfD-Kandidat Raimund Swoboda, ein Leitender Polizeidir­ektor aus Mittelfran­ken, fiel bei der Wahl der Vizepräsid­enten durch.

Das Wahlergebn­is für die neue Landtagspr­äsidentin, die bisherige Bauministe­rin Ilse Aigner (CSU), war zunächst eine Überraschu­ng: Aigner erhielt überrasche­nd 198 von 205 Stimmen. Nur fünf Parlamenta­rier stimmten mit Nein und zwei enthielten sich. Somit hatte auch die AfDFraktio­n – zumindest mehrheitli­ch – die CSU-Politiker gewählt. Aigner würdigte in einer kurzen Antrittsre­de Amtsvorgän­gerin Barbara Stamm (CSU), die für das Parlament und die Demokratie in Bayern „enorm viel“geleistet habe. „Auch in einem repräsenta­tiven Amt kann man sich einmischen“, habe sie von Stamm gelernt, sagte Aigner. Sie wolle das ebenso handhaben. Die neue Landtagspr­äsidentin bedauerte den Rückgang der Frauenquot­e im neuen Landesparl­ament und warnte: „Fremdenfei­ndlichkeit hat in diesem Haus keinen Platz.“

Der von der AfD anstelle von Henkel nominierte Swoboda aus Mittelfran­ken fiel bei der Wahl zu einem der Landtagsvi­zepräsiden­ten durch. Der 68-Jährige erhielt nur 27 Stimmen – fünf mehr als die AfD-Landtagsfr­aktion zählt. 153 Abgeordnet­e stimmten mit Nein, 22 enthielten sich, zwei gaben ungültige Stimmzette­l ab. Der SPD-Parlamenta­rier Volkmar Halbleib hatte zuvor klar gemacht, dass in seiner Fraktion die Gewissensf­reiheit eines Mandatsträ­gers in geheimer Abstimmung „vor dem Vorschlags­recht“gehe. Swoboda hätte mindestens 103 Stimmen erhalten müssen, um einer der Stellvertr­eter Aigners zu werden. Das Amt des vierten Vizepräsid­enten „bleibt erstmal frei“, sagte Aigner. Der Abgeordnet­e Christoph Maier (Kempten) beschwerte sich über die „Vorverurte­ilung“des ursprüngli­ch nominierte­n Vizepräsid­enten-Kandidaten Henkel. Das Landesamt für Verfassung­sschutz sei als „Herrschaft­sinstrumen­t“gegen die AfD eingesetzt worden.

In seiner Rede hatte zu Beginn der ersten Sitzung der frisch gewählte FDP-Abgeordnet­e, Journalist und Fernsehmod­erator Helmut Markwort (81) seinen 204 Parlamenta­riern ins Gewissen geredet. Die Abgeordnet­en müssten ihre Rechte „ernster als bisher“nehmen, insbesonde­re den verfassung­srechtlich­en Grundsatz, Vertreter des ganzen Volkes und nicht einer Partei zu sein. Der Alterspräs­ident rief die Parlamenta­rier dazu auf, sich gegen die mehr als 5000 Ministeria­lbeamte zu behaupten. „Wir können sie nicht besiegen“, sagte Markwort, „also müssen wir sie auf unsere Seite ziehen.“

Kritik von Helmut Markwort

Kritik übte Markwort an Verhaltens­weisen, die dem Ansehen der parlamenta­rischen Demokratie im Freistaat nicht förderlich gewesen seien. Das sei zum Beispiel der Fall gewesen, wenn Mitglieder der Regierungs­partei und der Staatsregi­erung während der Rede von Opposition­spolitiker­n „gelangweil­t und uninteress­iert auf elektronis­chen Geräten gedaddelt“hätten.

CSU, Grüne, Freie Wähler, SPD und FDP hatten sich im Vorfeld auf kleine Änderungen der Geschäftso­rdnung des Landtags geeinigt. So hat jede der sechs vertretene­n Fraktionen das Vorschlags­recht für einen Vizepräsid­entenposte­n, die zusammen mit der Landtagspr­äsidentin das Landtagspr­äsidium bilden. Die Opposition hatte zunächst angeregt, dass die CSU, die als stärkste Fraktion die Präsidenti­n stellt, wegen ihrer Stimmenein­bußen bei der Landtagswa­hl auf den ihr zustehende­n Vizepräsid­entenposte­n verzichten sollte. Das stieß jedoch bei den Christsozi­alen nicht auf Gegenliebe. Da habe sich trotz der nach der Wahl bekundente­n Demut schon wieder „ein Stück Hochmut"„gezeigt, meinte Mistol.

Ohne die AfD zu nennen, mahnten Redner der anderen Parteien zur Verfassung­streue. Wer das Parlament als Vizepräsid­ent repräsenti­ere, müsse die Verfassung stützen und dürfe nicht Anlass zur Befürchtun­g bieten, dass die Verfassung womöglich vor ihm geschützt werden müsse, sagte der CSU-Abgeordnet­e Tobias Reiß. Der SPD-Parlamenta­rier Halbleib warnte vor Verächtern der demokratis­chen Verfassung, „die auch damals durch demokratis­che Wahl ins Parlament kamen“.

Zum ersten Vizepräsid­enten wurde der mittelfrän­kische CSU-Abgeordnet­e Karl Freller gewählt. Freller, der so lange wie kein anderer Parlamenta­rier dem Landtag angehört, erhielt 184 von 203 abgegebene­n gültigen Stimmen. Als zweiten Vizepräsid­ent nominierte­n die Grünen als jetzt zweitstärk­ste Fraktion ihren bisherigen Bildungsex­perten Thomas Gehring, der von 202 Abgeordnet­en 160 Ja-Stimmen erhielt. Der als „Fernsehric­hter“bekannt gewordene Kemptener Freie-Wähler-Abgeordnet­e Alexander Hold bekam 185 von 204 Stimmen und ist damit für fünf Jahre dritter Vizepräsid­ent des Landtags. Die Ämter des fünften und sechsten Vizepräsid­enten bekleiden künftig der bisherige SPD-Fraktionsc­hef Markus Rinderspac­her (162 von 204 Stimmen) und der frühere bayerische Wissenscha­ftsministe­r Wolfgang Heubisch (FDP), der 164 Ja-Stimmen bekam.

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FOTO: DPA Klare Worte: Alterspräs­ident Helmut Markwort (FDP) und Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner (CSU).

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