Mit Rotters Landtagsabschied endet eine Ära
Landtagsabgeordneter überzeugt: Ohne Horst Seehofer gäbe es heute keine erneuerte Inselhalle
LINDAU (lz) - 28 Jahre lang hat Eberhard Rotter den Landkreis Lindau im Bayerischen Landtag vertreten. Jetzt ist der Westallgäuer aus dem Landesparlament ausgeschieden: Nach fast drei Jahrzehnten endet seine Zeit als Berufspolitiker. Im Interview mit Peter Mittermeier erklärt der bisherige Landtagsabgeordnete, was er für seine größten Erfolge hält, woher seine Leidenschaft für die Bahn rührt, was er von SchwarzGrün in Bayern hält und warum er im Fußball den Blauen die Daumen drückt.
Was haben Sie am Wahlabend empfunden. War Wehmut dabei?
Eberhard Rotter: Natürlich war auch etwas Wehmut dabei. Etwas anderes wäre nach einer so langen Zeit auch nicht normal. Allerdings ist das Ergebnis nicht gerade so ausgefallen, dass ich sage, schade, dass ich in dieser Legislaturperiode nicht mehr dabei bin.
Worauf freuen Sie sich nach Ihrem Abschied aus dem Landtag am meisten?
Rotter: Wieder Herr über den eigenen Terminkalender zu sein, vor allem an den Wochenenden. Gerade an Samstagen sind manchmal sechs Termine zusammengekommen.
Das ist aber auch eine Form von Selbstverpflichtung. Nicht jeder Abgeordnete ist auf so vielen Terminen.
Rotter: Wenn du das Mandat ernst nimmst, musst du den Kontakt halten – zu den Bürgern, aber auch zu den Vereinen und Verbänden. Das war mir immer wichtig. Sowohl für den Landkreis als auch für das südliche Oberallgäu, vor allem von 2008 bis 2013, als es dort keinen Listenabgeordneten gab.
Auf welchen Veranstaltungen werden Bürger Sie häufiger sehen?
Rotter: Eher mal im Konzert und im Theater oder im Schwimmbad. Kultur habe ich zwar hin und wieder dienstlich genossen, werde das aber jetzt vermehrt können. Ab und zu werde ich sicher auch zu einem Fußballspiel gehen. Und ich kann Freunde und die Verwandtschaft stärker pflegen als bisher.
In Zusammenhang mit Fußball taucht in Bayern unvermeidlich die Frage auf: Sind Sie ein Roter, also Bayern-Fan, oder ein Blauer, also eher Anhänger des TSV 1860 München?
Rotter: Ich war ein überzeugter 60er-Fan. Das rührt noch aus meiner Jugendzeit. Damals war 1860 unter anderem Deutscher Meister. Die Begeisterung hat sich zwar über die Jahre etwas abgeschliffen, der Verein liegt mir aber noch am Herzen. Jetzt freut es mich natürlich auch, wenn sich der FC Augsburg erfolgreich in der Bundesliga behauptet. Da bin ich Lokalpatriot.
Sie sind seit Jahrzehnten auch in der Kommunalpolitik aktiv. Werden Sie 2020 weitermachen?
Rotter: Ja, wenn ich gesund bleibe, will ich noch einmal kandidieren, sowohl für den Kreistag als auch den Gemeinderat. Ich will mich ja nicht von allem verabschieden, sondern nur aus der beruflichen Landespolitik. Grundsätzlich ist es natürlich wichtig, bei der Wahl eine altersmäßig ausgeglichene Liste zu haben.
Sie haben über 28 Jahre hinweg regelmäßig Bürgersprechstunden angeboten. Wissen Sie, wie viele Bürger in der Zeit gekommen sind?
Rotter: Ich habe nicht genau Buch geführt. Es waren aber über 1100 Sprechstunden an vier Orten. Da sind bestimmt 2500 Bürger gekommen, manchmal nur um sich auszusprechen. Ich konnte weiß Gott nicht in allen Fällen helfen. Oft ging es um kommunale oder Bundesangelegenheiten. Da kannst du Tipps geben oder Ansprechpartner vermitteln. Wenn es um Ländersachen ging, habe ich mich aber selber darum gekümmert.
Können Sie einen Fall nennen, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Rotter: Ja. Eine siebenköpfige Familie aus dem Kosovo, die vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat geflohen war. Sie war hier bestens integriert. Um dauerhaft Deutsche werden zu können, hätten sie aus ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit entlassen werden müssen. Sie konnten diese Papiere unmöglich beibringen. Der Kosovo war damals noch Teil Serbiens. Serbien hat das aber nicht interessiert. In vielen Gesprächen über Jahre hinweg haben wir das Problem lösen können. Auch Gerhard Eck, Staatssekretär im Innenministerium, hat sich in München Zeit für ein Gespräch mit der Familie genommen.
Was war der größte Erfolg im Landkreis, an dem Sie mitgewirkt haben?
Rotter: Es ist schwierig, einen hervorzuheben. Die deutlichen Verbesserungen im Verkehrsbereich gehö- ren sicher dazu. Der Auerser-Kreisel war einer der ersten neu gebauten Kreisverkehre auf einer Bundesstraße in Bayern. Geplant war dort erst eine Ampel, um die gefährliche Kreuzung zu entschärfen. Bei einem Ortstermin hat der damalige Staatssekretär Alfred Sauter gesagt, wie wäre es, wenn wir hier einen Kreisverkehr bauen. Später kamen die Kreisel in Scheidegg und Simmerberg dazu. In den letzten Jahren gab es auch Erfolge bei den Geh- und Radwegen, teils in guter Zusammenarbeit mit den Kommunen, wenn ich an den Weg zwischen Ebratshofen und Harbatshofen denke. Es hilft, wenn du die entscheidenden Leute vor Ort bringst. Und ich hatte immer ein hervorragendes Verhältnis zum Staatlichen Bauamt.
Manche Dinge dauern aber gerade beim Thema Verkehr sehr lange...
Rotter: Grundsätzlich musst du bei Verkehrsprojekten hartnäckig sein und du brauchst einen langen Atem. Mitunter dauern Vorhaben Jahrzehnte, wie bei dem Geh- und Radweg Niederstaufen–Schlachters. Das liegt allerdings nicht nur am Staat. Manchmal wechseln Bürgermeister oder Gemeinderäte, in anderen Fällen bekommst du kein Grundstück oder das Geld fehlt. Ganz wichtig ist es, die Schubladen mit Plänen voll zu haben. Immer wieder tun sich Töpfe mit Geld auf, dann musst du schnell sein.
Viele Bürgermeister und Kommunen aus dem Landkreis sind bei Ihnen aufgeschlagen, wenn es um Zuschüsse für einzelne Projekte ging. Welches waren aus Ihrer Sicht die erfolgreichsten Vorhaben, die Sie mit angeschoben haben?
Rotter: Das waren die größten Einzelprojekte in den Kommunen, die Förderung für die Kulturfabrik in Lindenberg, getoppt noch von der Inselhalle in Lindau. Wenn die der viel gescholtene Horst Seehofer nicht zu seiner Sache gemacht hätte, wäre es nicht gegangen. Das sind aber nur die beiden größten Vorhaben, generell ist in der Städtebauförderung im Landkreis viel geschehen. Als Abgeordneter war ich auf zwei Seiten aktiv: Als Leiter der Arbeitsgruppe Städte- und Wohnungsbau der CSU-Fraktion habe ich geschaut, dass der Freistaat entsprechende Mittel im Haushalt zur Verfügung stellt und vor Ort geholfen, sie zu beantragen.
Ein Abgeordneter muss das ganze Land im Blick haben, gleichzeitig erwarten die Bürger und Kommunen ihres Stimmkreises, dass er sich für sie einsetzt. Lässt sich das vereinbaren?
Rotter: Als Abgeordneter kannst du schon an den eigenen Stimmkreis auch denken. Wenn etwas richtig und sinnvoll war, habe ich mich aber überall eingesetzt. Grundsätzlich ist es so, dass ein Problem, das viele angeht, leichter zu lösen ist, als eins, das nur wenige betrifft. Beispiel Feuerwehr. Jeder hat ein Interesse daran, dass sie gut ausgestattet ist, was Häuser und Fahrzeuge angeht. Bei einem Boot, das die Feuerwehr am bayerischen Bodensee braucht, ist das schon schwieriger. Da sieht man die Notwendigkeit in anderen Landesteilen vielleicht weniger.
Sie gelten als der Bahnfachmann in der bayerischen Politik. Woher kommt denn Ihre Vorliebe für den Zug?
Rotter: Das hat viel mit meinem Vater zu tun. Er wollte zur Bahn, durfte aber nicht. Als ich Kind war, hat er viel mit mir über das Thema gesprochen. Das Kursbuch war mit meine erste Lektüre. Als Noch-nicht-17Jähriger habe ich einen Schüleraustausch mit England organisiert. Vom Westallgäu aus ging es mit der Bahn in 24 Stunden nach England. Anfang/ Mitte der 70er-Jahre war ich Ferienarbeiter der Bahn. Damals gab es noch Bahnsteigschaffner, die Männer mit Mütze und Informationsschild daran. Ich habe für acht Gleise in Lindau die Tafeln mit der Zuganzeige umgesteckt, war Auskunft und Bahnhofspostbote. Später war ich 1975 und 1977 in den Semesterferien jeweils drei Monate als Liegewagenbetreuer in halb Europa unterwegs.
Die Bahn wird viel kritisiert. Dabei sind die Verbindungen heute deutlich besser als vor 30 Jahren, auch bei uns vor Ort. Stört Sie diese Kritik manchmal?
Rotter: Das ärgert mich manchmal, ja. Es hat echte Verbesserungen gegeben. Dafür habe ich lange gekämpft. Früher ging der letzte Zug in München um 17.57 Uhr nach Lindau ab, jetzt um 22.20 Uhr. Und wir haben ein stündliches Angebot. Das vergisst man heute. Und auch wenn es sehr lange gedauert hat: Wir haben die Neigezugtechnik, die Elektrifizierung hat begonnen.
Bahn ist ein kompliziertes Thema. Sie haben sich viele Jahre intensiv damit beschäftigt. Mit Ihrem Abschied geht viel Wissen verloren. Lässt sich das verhindern?
Rotter: Das bedauern viele. Aber das ist natürlich immer so, wenn jemand aus einem Amt ausscheidet. Ich bin gut vernetzt, und es ist ein Vertrauensverhältnis entstanden, zu den Bahnvertretern, den Zugbegleitern und in die Ministerien. Das ist auch das weinende Auge für mich bei meinem Abschied – das Thema Bahn hätte mich weiter interessiert. Es geht aber nur das komplette Mandat und auch nur für die vollen fünf Jahre. Allerdings bin ich ja weiter da und stehe auch für Fragen zur Verfügung.
In mehr und mehr Ländern wird Schwarz-Grün zumindest zu einer Option. Sehen Sie eine solche Koalition in Bayern in absehbarer Zeit?
Rotter: Ich bin generell dagegen, bestimmte Bündnisse auszuschließen. Wenn eine Volkspartei wie die CSU ihre Bindungskraft nicht verlieren will, muss sie mit allen reden können außer den Linken und der AfD. Nach der Bundestagswahl hatte ich viel Sympathie für Jamaika. Die Grünen waren da zu Kompromissen bereit. Was Bayern anbetrifft, bin ich zwiegespalten. Wir haben hier größere Differenzen mit den Grünen bei den Themen Migration und innere Sicherheit, aber auch im Bereich der Landwirtschaft. Schon bei den Verhandlungen zu Jamaika sind viele Bauern auf mich zugekommen und haben gesagt, eine Koalition mit den Grünen gehe nicht. Andererseits hätte ich es begrüßt, wenn nicht schon in der Wahlnacht gesagt worden wäre, es geht in die Richtung mit den Freien Wählern.
Sie sind Jurist und waren in den vergangenen 28 Jahren auch als Anwalt in einer Kanzlei in Lindenberg zugelassen. Werden Sie wieder als Rechtsanwalt tätig?
Rotter: Ja, aber nicht in erheblichem Umfang. Ich wollte immer die berufliche Unabhängigkeit behalten, deshalb bin ich in der Kanzlei geblieben.