Schülerinnen zeigen Zivilcourage
Als viele Erwachsene nur zuschauen, stoppen Jugendliche einige Schläger.
LINDAU - Mangelnde Zivilcourage und Ignoranz werfen drei Schülerinnen einigen Lindauern vor. Als die jungen Frauen in eine Schlägerei eingriffen, half niemand.
Am späten Samstagabend, nach dem Jahrmarkt, sitzen Emma Käser, Ellena Schaugg und Ramona Walser auf einer Dachterrasse an der Gasse „In der Grub“in Lindau. Gegen 23 Uhr hören die 17 und 18 Jahre alten Schülerinnen plötzlich einen lauten Hilfeschrei. „Wir haben in die Gasse geschaut und gesehen, dass dort, vor der Bar Mojito, ein Mann auf dem Boden liegt und drei oder vier andere auf ihn eintreten. Der am Boden hat nur noch versucht seinen Kopf zu schützen“, erzählt Emma Käser.
Sofort rufen sie, und fordern die Schläger auf aufzuhören. Als die nicht reagieren, rennen die Schülerinnen die Treppe hinunter auf die Straße und auf das Geschehen zu. Sie sehen, dass dort sogar zwei Männer verprügelt werden, der jüngere steht noch. Ellena Schaugg erzählt: „Dann kamen plötzlich vier Männer von hinter uns die Gasse entlang. Die sind auf die Prügelnden zugerannt. Wir waren schon erleichtert, weil jemand eingreift, da haben die vier auch angefangen, auf den am Boden einzutreten.“Den jüngeren drängen die insgesamt sieben Schläger in den Eingang des Restaurants „Wissingers im Schlechterbräu“und schlagen dort auf ihn ein. Die Polizei stellt später fest, dass es sich um einen 47jährigen Vater und seinen 20-jährigen Sohn gehandelt hat.
Die drei Schülerinnen versuchen weiter, die Schläger zum Aufhören zu bewegen. Sie schreien sie an. Angst, sagen sie, hätten sie keine gehabt. „Wir haben gar nicht darüber nachgedacht, dass wir selber angegriffen werden könnten, sondern wollten, dass die aufhören“, berichtet Ramona Walser. Was derweil passiert, schockt die drei jungen Frauen viel eher. „Es hat einfach niemand geholfen. Mehrere Menschen sind vorbei gelaufen, aber außer interessierten Blicken kam da von keinem was. Die Anlieger von Gegenüber haben aus dem ersten Stock geschaut, aber auch die haben nichts gemacht, sondern einfach nur geguckt“, erzählt Ramona Walser.
Die Schülerinnen rufen jetzt auch die Polizei. „Immerhin hat mir dann jemand aus dem ersten Stock die Hausnummer gesagt“, sagt Walser. Schließlich sprechen die Mädchen einzelne Täter direkt an und fordern, dass sie aufhören. Walser erzählt: „Die sind plötzlich wie aus einer Trance erwacht und dann sofort weggerannt.“
Selbst als die Täter weg sind, hilft niemand
Zurück bleiben die beiden blutüberströmten Opfer. Der Sohn sei zeitweise bewusstlos in der Gasse gelegen, der Vater habe neben ihm gekniet und seinen Kopf gehalten. Doch auch jetzt habe immer noch keiner geholfen. „Der Kellner eines benachbarten Restaurants stand in seiner Tür nur wenige Meter entfernt und hat zugesehen. Als wir ihn um ein Glas Wasser für die Verletzten gebeten haben, hat er uns weitergeschickt ins Mojito“, ärgert sich Emma Käser. Auch sonst habe niemand gefragt, ob er helfen könne, selbst als die Schläger schon lange weg gewesen seien.
Erst als Polizei und Krankenwagen vor Ort gewesen seien, hätten sich Zeugen aus dem Mojito gemeldet. Die hätten beteuert, dass die Schlägerei in der Bar begonnen habe und die beiden Verletzen dem Barkeeper hätten helfen wollen, erzählen Käser, Schaugg und Walser.
Hassan Oulleni, der Eigentümer des Mojito hat die Situation anders erlebt. Er sagt: „Kurz vor 23 Uhr sind mehrere Gäste gekommen, von denen aber einer so betrunken war, dass mein Kellner ihn hinauswerfen musste. Dabei gab es aber keine Handgreiflichkeiten. Das nächste was ich mitbekommen habe, war, dass jemand nach Wasser für Verletzte gefragt hat. Das haben wir natürlich welches ausgegeben.“Von der Schlägerei habe er erst dann erfahren. Für die beiden Opfer ist die Sache glimpflich ausgegangen, sie konnten nach einer Behandlung am Rettungswagen nach Hause gehen.
„Als wir den ersten Schrei gehört haben, waren wir sechs Häuser entfernt, das müssen noch andere gehört haben“, meint Schaugg. Die Lindauer Polizei hat an dem Abend mindestens zwei Notrufe von unterschiedlichen Anrufern erhalten. „Ein Anruf kam offenbar aus einem nahen griechischen Restaurant“, sagt Polizist Jörg Preilowski. Er meint: „Es war richtig, die Täter durch Schreien und den Hinweis auf die Polizei zu verscheuchen. Aber das birgt natürlich auch Gefahren, daher muss man das nicht machen. Was aber jeder tun sollte, ist, die Polizei zu rufen.“
Für die drei jungen Frauen sind die Ignoranz und das fehlende Mitgefühl ein Armutszeugnis. Ellena Schaugg sagt: „Dass niemand Zivilcourage gezeigt hat, schockiert uns und macht uns wütend. Klar will sich niemand in Gefahr bringen, aber danach den Verletzen helfen sollte man.“