Lindauer Zeitung

Schülerinn­en zeigen Zivilcoura­ge

Als viele Erwachsene nur zuschauen, stoppen Jugendlich­e einige Schläger.

- Von Gabriel Bock

LINDAU - Mangelnde Zivilcoura­ge und Ignoranz werfen drei Schülerinn­en einigen Lindauern vor. Als die jungen Frauen in eine Schlägerei eingriffen, half niemand.

Am späten Samstagabe­nd, nach dem Jahrmarkt, sitzen Emma Käser, Ellena Schaugg und Ramona Walser auf einer Dachterras­se an der Gasse „In der Grub“in Lindau. Gegen 23 Uhr hören die 17 und 18 Jahre alten Schülerinn­en plötzlich einen lauten Hilfeschre­i. „Wir haben in die Gasse geschaut und gesehen, dass dort, vor der Bar Mojito, ein Mann auf dem Boden liegt und drei oder vier andere auf ihn eintreten. Der am Boden hat nur noch versucht seinen Kopf zu schützen“, erzählt Emma Käser.

Sofort rufen sie, und fordern die Schläger auf aufzuhören. Als die nicht reagieren, rennen die Schülerinn­en die Treppe hinunter auf die Straße und auf das Geschehen zu. Sie sehen, dass dort sogar zwei Männer verprügelt werden, der jüngere steht noch. Ellena Schaugg erzählt: „Dann kamen plötzlich vier Männer von hinter uns die Gasse entlang. Die sind auf die Prügelnden zugerannt. Wir waren schon erleichter­t, weil jemand eingreift, da haben die vier auch angefangen, auf den am Boden einzutrete­n.“Den jüngeren drängen die insgesamt sieben Schläger in den Eingang des Restaurant­s „Wissingers im Schlechter­bräu“und schlagen dort auf ihn ein. Die Polizei stellt später fest, dass es sich um einen 47jährigen Vater und seinen 20-jährigen Sohn gehandelt hat.

Die drei Schülerinn­en versuchen weiter, die Schläger zum Aufhören zu bewegen. Sie schreien sie an. Angst, sagen sie, hätten sie keine gehabt. „Wir haben gar nicht darüber nachgedach­t, dass wir selber angegriffe­n werden könnten, sondern wollten, dass die aufhören“, berichtet Ramona Walser. Was derweil passiert, schockt die drei jungen Frauen viel eher. „Es hat einfach niemand geholfen. Mehrere Menschen sind vorbei gelaufen, aber außer interessie­rten Blicken kam da von keinem was. Die Anlieger von Gegenüber haben aus dem ersten Stock geschaut, aber auch die haben nichts gemacht, sondern einfach nur geguckt“, erzählt Ramona Walser.

Die Schülerinn­en rufen jetzt auch die Polizei. „Immerhin hat mir dann jemand aus dem ersten Stock die Hausnummer gesagt“, sagt Walser. Schließlic­h sprechen die Mädchen einzelne Täter direkt an und fordern, dass sie aufhören. Walser erzählt: „Die sind plötzlich wie aus einer Trance erwacht und dann sofort weggerannt.“

Selbst als die Täter weg sind, hilft niemand

Zurück bleiben die beiden blutüberst­römten Opfer. Der Sohn sei zeitweise bewusstlos in der Gasse gelegen, der Vater habe neben ihm gekniet und seinen Kopf gehalten. Doch auch jetzt habe immer noch keiner geholfen. „Der Kellner eines benachbart­en Restaurant­s stand in seiner Tür nur wenige Meter entfernt und hat zugesehen. Als wir ihn um ein Glas Wasser für die Verletzten gebeten haben, hat er uns weitergesc­hickt ins Mojito“, ärgert sich Emma Käser. Auch sonst habe niemand gefragt, ob er helfen könne, selbst als die Schläger schon lange weg gewesen seien.

Erst als Polizei und Krankenwag­en vor Ort gewesen seien, hätten sich Zeugen aus dem Mojito gemeldet. Die hätten beteuert, dass die Schlägerei in der Bar begonnen habe und die beiden Verletzen dem Barkeeper hätten helfen wollen, erzählen Käser, Schaugg und Walser.

Hassan Oulleni, der Eigentümer des Mojito hat die Situation anders erlebt. Er sagt: „Kurz vor 23 Uhr sind mehrere Gäste gekommen, von denen aber einer so betrunken war, dass mein Kellner ihn hinauswerf­en musste. Dabei gab es aber keine Handgreifl­ichkeiten. Das nächste was ich mitbekomme­n habe, war, dass jemand nach Wasser für Verletzte gefragt hat. Das haben wir natürlich welches ausgegeben.“Von der Schlägerei habe er erst dann erfahren. Für die beiden Opfer ist die Sache glimpflich ausgegange­n, sie konnten nach einer Behandlung am Rettungswa­gen nach Hause gehen.

„Als wir den ersten Schrei gehört haben, waren wir sechs Häuser entfernt, das müssen noch andere gehört haben“, meint Schaugg. Die Lindauer Polizei hat an dem Abend mindestens zwei Notrufe von unterschie­dlichen Anrufern erhalten. „Ein Anruf kam offenbar aus einem nahen griechisch­en Restaurant“, sagt Polizist Jörg Preilowski. Er meint: „Es war richtig, die Täter durch Schreien und den Hinweis auf die Polizei zu verscheuch­en. Aber das birgt natürlich auch Gefahren, daher muss man das nicht machen. Was aber jeder tun sollte, ist, die Polizei zu rufen.“

Für die drei jungen Frauen sind die Ignoranz und das fehlende Mitgefühl ein Armutszeug­nis. Ellena Schaugg sagt: „Dass niemand Zivilcoura­ge gezeigt hat, schockiert uns und macht uns wütend. Klar will sich niemand in Gefahr bringen, aber danach den Verletzen helfen sollte man.“

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ARCHIVFOTO: DPA
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FOTO: GBO Vor diesen Häusern in der Altstadt ereignet sich die Prügelei am Samstagabe­nd.

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