Der alte Mann und die neuen Tricks
Mark Knopflers neuntes Soloalbum „Down The Road Wherever“ist ebenso abwechslungsreich wie großartig geworden
RAVENSBURG – Es wird dieser Tage viel diskutiert über die Engländer, über die Briten um korrekt zu sein. Doch vor lauter Ärger über den Brexit vergisst so mancher Kontinentaleuropäer vielleicht, dass es wunderbare Dinge gibt, die in ihrer ureigenen Art nur aus dem Vereinigten Königreich kommen können: Tee vor allem, Whiskey natürlich, Königinnen in Kutschen, strömender Regen, undurchdringlicher Dauernebel – und unwiderstehliche Musik. Platten von Mark Knopfler zählen zweifelsohne dazu. Zwar gibt es stets Country-, Blues- und Bluegrass-Einflüsse, doch irgendwie glückt es dem ehemaligen Dire-Straits-Kopf stets so zu klingen, als würde man wahlweise im Pub sitzen oder durch irgendeinen entlegenen Landstrich in Northumberland oder Yorkshire spazieren. Knopfler kann noch so viel Americana reinpacken, es tönt immer sehr britisch. Auch auf seinem neunten Soloalbum „Down The Road Wherever“(Universal) ist auf den nun 69Jährigen Verlass.
Wobei dies eine glatte Untertreibung ist: Für all jene, die nicht mehr darauf hoffen, dass er noch einmal so rockig wie auf dem Dire-Straits-Mega-Millionen-Seller „Brothers in Arms“aus den 80er-Jahren daherkommt, ist das Album eine wahre Freude. Den Vorwurf, der Ausnahmegitarrist klinge – bei aller unbestrittenen Qualität – ohne seine frühere Band immer gleich und allzu tiefenentspannt, muss er sich dieses Mal ausnahmsweise nicht gefallen lassen.
Natürlich sind jene folkigen, ruhigen Töne vertreten, die seine Alben ausmachen und von denen vor allem auf den beiden Vorgängeralben „Tracker“und „Privateering“doch allzu viele zu finden waren. Lieder, die viele wegen ihrer Unaufgeregtheit und der unnachahmlichen Slide-Gitarre lieben, die andere jedoch als Pfeifenraucher-Altherren-Sofa-Musik abkanzeln. Jene Kritiker wird der im schottischen Glasgow geborene Knopfler – Sohn eines ungarisch-jüdischen Einwanderers und einer Engländerin – wahrscheinlich auch mit dieser Platte nicht mehr überzeugen. Trotzdem sind zwei der ruhigen Stücke –„Trapper Man“und vor allem das abschließende „Matchstick Man“– außergewöhnlich gut geraten.
Doch es gibt eben auch Erstaunliches zu hören: Jazz etwa beim sentimentalen „When You Leave“. „Slow Learner“überrascht mit Klavier und Trompete – und aus dem Pub wird eine extrem coole Bar. Die Funkgitarren und Bläsersätze lassen „Nobody Does That“beinahe schon soulig klingen. Das mit Abstand beste Stück heißt „Back on the Dancefloor“und kokettiert damit, tanzbar zu sein. Es sind neue, unerwartete Einflüsse. Knopfler muss selbst darüber schmunzeln. „Offenbar ist es möglich, einem alten Hund wie mir noch neue Tricks beizubringen“, sagt er dazu. Er ist schon lange eben nicht mehr Teil einer Band und macht nur noch, was er will. Warum auch nicht? Der Mann hat bislang 120 Millionen Tonträger verkauft. Ohnehin bleibt alles unverkennbar, dank seiner Stimme und seinem Gitarrenspiel. Zudem liefert er auch einen Midtempo-Rocker allererster Güte ab: „God on You Son“– so gut gelaunt und ironisch klang Knopfler wirklich zuletzt zu Dire-Straits-Zeiten.
Apropos Dire Straits: Vor 40 Jahren, im Oktober 1978, wurde das gleichnamige Debütalbum der Band mitsamt des unverwüstlichen Klassikers „Sultans of Swing“veröffentlicht. Im Gegensatz zu seinen Millionen Fans mag Knopfler die alten Sachen nicht mehr auflegen. Auf Tour spielt er die Songs zwar, aber nur dem Publikum zuliebe. Er lebe nicht in der Vergangenheit und mache einfach lieber neue Musik. Mit dem Material von früher auf Nostalgie-Tour zu gehen, überlässt Knopfler „den alten Skeletten“.
EU als tolle Idee
Apropos Alter. Zum Brexit hat er auch seine eigene Meinung. BrexitMenschen seien eben älter, sagt Knopfler im Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“, sie „sind Dinosaurier“. Die EU zu verlassen, davon hält Mark Knopfler eher wenig. „Die UN war eine tolle Idee, doch die Realität sieht oft enttäuschend aus. Gleiches gilt für die EU in Brüssel. Aber nur, weil das Modell fehlerhaft ist, bedeutet das nicht, dass man es ganz abschaffen sollte.“Wie gesagt: Man kann sehr britisch klingen und dennoch Einflüsse aus aller Welt vereinen.