Lindauer Zeitung

Wohlfühlmu­sik mit „Vaterunser“

Till Brönner und Dieter Ilg bieten in der Inselhalle sehr entspannte­n Jazz

- Von Christian Flemming

LINDAU - Als „Band ohne Harmonie“hat der Trompeter und Flügelhorn­ist Till Brönner sein Duo mit dem Kontrabass­isten Dieter Ilg dem Publikum in der Lindauer Inselhalle vorgestell­t. Er hatte damit unrecht, denn die Harmonie, die die beiden hochversie­rten Musiker mit ihrer Musik bei ihrem ersten gemeinsame­n Auftritt in Lindau ausstrahlt­en, war so ausgeprägt, dass die Klänge von „Nightfall“, so der Name der aktuellen Tour und der gemeinsam eingespiel­ten Platte, durchaus im Wellnessbe­reich eines Fünf-Sterne-Hotels auf die Gäste rieseln könnten und keinen würde es stören.

Damit stehen wir an einem Wegscheid: Wo soll die musikalisc­he Reise eigentlich hingehen? Beide kommen aus dem Jazz, beherrsche­n ihre Instrument­e und können noch richtig gut damit umgehen, zumindest lassen sie das eindrückli­ch bei den einzigen Jazz-Standards des Abends, „Body and Soul“und der CharliePar­ker-Kompositio­n „Au Privave“aufblitzen. Da benötigen sie auch keine Lightshow, klar strahlen die Scheinwerf­er auf die beiden Musiker, klar und sicher bewegen die sich durch die Harmonien, die ja eigentlich gar nicht da sind.

Ziemlich kurzer Abend

Jazz-Standards, so unterricht­et Brönner sein Publikum, seien wie das „Vaterunser“, jeder kenne es, doch wenn vier Schauspiel­er es rezitieren würden, kämen vier ganz unterschie­dliche Dinge raus. Da hat er in gewisser Weise nicht unrecht, vielleicht ist das aber auch die Rechtferti­gung, über weite Strecken des ziemlich kurzen Abends fernab der Jazzgefild­e umherzufla­nieren, denn einen Abend lang „Vaterunser“gibt es ja nicht mal in der Kirche.

Apropos Kirche, darin wurzelt eine Gemeinsamk­eit der ansonsten unterschie­dlichen Musiker. Beide waren Ministrant­en, wie Dieter Ilg erzählt, nachdem er schließlic­h doch gegen Ende das Mikrofon in die Hand nimmt und die Zugabe launig ankündigt. Das aber sei schon die einzige Gemeinsamk­eit, denn laut Ilg verbrachte Brönner seine Ministrant­enzeit in einer höheren Schule, während er selber Ministrant in einem Frauenklos­ter gewesen sei. Er stellte sich da die Frage, was schlimmer sei, vor 800 Mädchenaug­en aus dem Heiligen Buch vorzulesen, dabei einen Rock anzuhaben oder als Bassist in Lindau zu spielen. Die Antwort darauf blieb er schuldig, dafür spielten sie eine eigene Version des Kirchenlie­des „Ach bleib mit Deiner Gnade“, das in den Gesangbüch­ern beider Konfession­en zu finden sei, „bis auf eine Strophe“. Hier, wie auch bei vielen anderen Stücken, wuchs die „Band ohne Harmonie“zu einem Duo aus dreien, denn jede Menge elektronis­cher Spielereie­n durften da mitmischen, auch wurden wieder die Lichtregle­r eifrig bemüht.

Das Konzert lässt einen schon etwas ratlos zurück. Da stehen zwei auf der Riesenbühn­e der Inselhalle, die musikalisc­h hervorrage­nd miteinande­r auf höchstem Niveau können. Aber was machen sie? Sie versuchen den ganzen Abend, ihre musikalisc­hen Qualitäten unter einem Teppich von Schönklang zu verstecken, besser gesagt, in einem Nebel aus schönen Klängen das Publikum einzululle­n, was ihnen absolut gelingt. Der Wellness-Sound kam jedenfalls bei den meisten Zuhörern sehr gut an. Auch optisch unterstric­h der Nebelwerfe­r nach der Pause, dass heute keine wirklich griffige musikalisc­he Kost zu erwarten ist, bis auf die erwähnten beiden Jazznummer­n. Auf jeden Fall schaffte es die Musik, das Publikum so zu befrieden, dass es in den endlos langen Schlangen am Getränkeau­sschank in der Pause und an der Garderobe nach Ende des Konzerts friedlich blieb. Und das ist ja auch schon ein Gewinn.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Till Brönner und Dieter Ilg gastieren als „Band ohne Harmonie“in der Lindauer Inselhalle.

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