Wohlfühlmusik mit „Vaterunser“
Till Brönner und Dieter Ilg bieten in der Inselhalle sehr entspannten Jazz
LINDAU - Als „Band ohne Harmonie“hat der Trompeter und Flügelhornist Till Brönner sein Duo mit dem Kontrabassisten Dieter Ilg dem Publikum in der Lindauer Inselhalle vorgestellt. Er hatte damit unrecht, denn die Harmonie, die die beiden hochversierten Musiker mit ihrer Musik bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt in Lindau ausstrahlten, war so ausgeprägt, dass die Klänge von „Nightfall“, so der Name der aktuellen Tour und der gemeinsam eingespielten Platte, durchaus im Wellnessbereich eines Fünf-Sterne-Hotels auf die Gäste rieseln könnten und keinen würde es stören.
Damit stehen wir an einem Wegscheid: Wo soll die musikalische Reise eigentlich hingehen? Beide kommen aus dem Jazz, beherrschen ihre Instrumente und können noch richtig gut damit umgehen, zumindest lassen sie das eindrücklich bei den einzigen Jazz-Standards des Abends, „Body and Soul“und der CharlieParker-Komposition „Au Privave“aufblitzen. Da benötigen sie auch keine Lightshow, klar strahlen die Scheinwerfer auf die beiden Musiker, klar und sicher bewegen die sich durch die Harmonien, die ja eigentlich gar nicht da sind.
Ziemlich kurzer Abend
Jazz-Standards, so unterrichtet Brönner sein Publikum, seien wie das „Vaterunser“, jeder kenne es, doch wenn vier Schauspieler es rezitieren würden, kämen vier ganz unterschiedliche Dinge raus. Da hat er in gewisser Weise nicht unrecht, vielleicht ist das aber auch die Rechtfertigung, über weite Strecken des ziemlich kurzen Abends fernab der Jazzgefilde umherzuflanieren, denn einen Abend lang „Vaterunser“gibt es ja nicht mal in der Kirche.
Apropos Kirche, darin wurzelt eine Gemeinsamkeit der ansonsten unterschiedlichen Musiker. Beide waren Ministranten, wie Dieter Ilg erzählt, nachdem er schließlich doch gegen Ende das Mikrofon in die Hand nimmt und die Zugabe launig ankündigt. Das aber sei schon die einzige Gemeinsamkeit, denn laut Ilg verbrachte Brönner seine Ministrantenzeit in einer höheren Schule, während er selber Ministrant in einem Frauenkloster gewesen sei. Er stellte sich da die Frage, was schlimmer sei, vor 800 Mädchenaugen aus dem Heiligen Buch vorzulesen, dabei einen Rock anzuhaben oder als Bassist in Lindau zu spielen. Die Antwort darauf blieb er schuldig, dafür spielten sie eine eigene Version des Kirchenliedes „Ach bleib mit Deiner Gnade“, das in den Gesangbüchern beider Konfessionen zu finden sei, „bis auf eine Strophe“. Hier, wie auch bei vielen anderen Stücken, wuchs die „Band ohne Harmonie“zu einem Duo aus dreien, denn jede Menge elektronischer Spielereien durften da mitmischen, auch wurden wieder die Lichtregler eifrig bemüht.
Das Konzert lässt einen schon etwas ratlos zurück. Da stehen zwei auf der Riesenbühne der Inselhalle, die musikalisch hervorragend miteinander auf höchstem Niveau können. Aber was machen sie? Sie versuchen den ganzen Abend, ihre musikalischen Qualitäten unter einem Teppich von Schönklang zu verstecken, besser gesagt, in einem Nebel aus schönen Klängen das Publikum einzulullen, was ihnen absolut gelingt. Der Wellness-Sound kam jedenfalls bei den meisten Zuhörern sehr gut an. Auch optisch unterstrich der Nebelwerfer nach der Pause, dass heute keine wirklich griffige musikalische Kost zu erwarten ist, bis auf die erwähnten beiden Jazznummern. Auf jeden Fall schaffte es die Musik, das Publikum so zu befrieden, dass es in den endlos langen Schlangen am Getränkeausschank in der Pause und an der Garderobe nach Ende des Konzerts friedlich blieb. Und das ist ja auch schon ein Gewinn.