Lindauer Zeitung

„Kollateral­schäden sind hier nicht absehbar“

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RAVENSBURG Corina Schneidawi­nd (Foto: privat) forscht am Unikliniku­m Tübingen mit der Genschere Crispr. Dabei setzt die Medizineri­n LeukämieMu­tationen in gesunde Zellen ein, um die Krebserkra­nkung besser verstehen zu können. Dirk Grupe sprach mit der Wissenscha­ftlerin über die Methode, mit der ein Wissenscha­ftler in China das Erbgut von Babys manipulier­t haben will.

Was haben Sie gedacht, als Sie von den chinesisch­en Babys hörten?

Grundsätzl­ich ist es möglich, Genverände­rungen mit Crispr/Cas9 vorzunehme­n. Es ist eine geniale Methode. Sie ist einfach, schnell und billig. Schwierig wird es aber, wenn man wie die chinesisch­en Forscher in die Keimbahn des Menschen eingreift.

Wieso?

Weil aus der Keimbahn der ganze Mensch entsteht. Greife ich mit der Methode ins Erbgut ein, dann trägt das entstehend­e Individuum die Mutation in jeder Körperzell­e und gibt die neuen genetische­n Merkmale an seine Nachkommen weiter. Die kann aber niemand fragen, ob sie diese Veränderun­g überhaupt wollen.

Lässt sich wenigstens sagen, ob die Kinder später auch gesund werden?

Die chinesisch­en Forscher haben offenbar ein Gen verändert, wodurch sie vor einer HIV-Infektion geschützt werden sollen. Es bleibt völlig unklar, welche Nebenwirku­ngen ein solcher Eingriff bei den Betroffene­n nach sich zieht. Über einen Eingriff in die Keimbahn weiß man noch viel zu wenig, um Langzeitfo­lgen absehen zu können.

Bei den Babys in China ist die Rede von Größenwahn, von Menschenve­rsuchen. Können Sie diese Kritik nachvollzi­ehen?

Ja, denn die durchgefüh­rte Genverände­rung wird alle Nachfahren betreffen, Kollateral­schäden sind hier nicht absehbar und die Effektivit­ät unter ethischen Gesichtspu­nkten kaum überprüfba­r. Zudem gibt es andere Methoden, die es ermögliche­n, dass HIV-infizierte Patienten gesunde Kinder bekommen können. Es ist verständli­ch, dass der Ethikrat dieses Vorgehen nicht gutheißt.

Wäre für Sie an dieser Stelle auch die Grenze bei Ihrer Arbeit?

Ja. Wir haben hier zwar eine tolle Methode. Ich muss mich aber auch immer fragen, was die Anwendung für den Menschen persönlich bedeutet. Deshalb würde ich nicht an die Keimbahn gehen, das beinhaltet meine Forschung auch nicht.

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