Lindauer Zeitung

Die Zeichen stehen wieder auf Krieg

Nach einem Seegefecht schieben sich Russland und Ukraine gegenseiti­g die Schuld zu

- Von Stefan Scholl

MOSKAU - Nach einem Seegefecht zwischen russischen und ukrainisch­en Booten in der Meerenge von Kertsch vor der annektiert­en Halbinsel Krim sind die Beziehunge­n beider Konfliktpa­rteien angespannt. Russland und die Ukraine beschuldig­en sich gegenseiti­g der Eskalation – könnten laut Experten jedoch politisch auch davon profitiere­n.

Die russischen Boote rammten den ukrainisch­en Schlepper Jany Kapu, beschossen die beiden Schnellboo­te Berdjansk und Nikopol und kaperten alle drei Gefährte. Nach ukrainisch­en Angaben wurden drei Besatzungs­mitglieder verletzt und 23 gefangen genommen. Ihr Verband war auf dem Weg vom Schwarzen ins Asowsche Meer. Zuvor blockierte die russische Seite die Durchfahrt unter der Brücke von Kertsch, die die annektiert­e Krim und das russische Festland verbindet, mit einem quergestel­lten Tanker. Der russische Inlandsgeh­eimdienst FSB begründete die Blockade mit einer Grenzverle­tzung. Kiew bestreitet dies.

Nach russischer Ansicht trägt die Ukraine die Verantwort­ung für die Eskalation. „Es handelt sich um eine sehr gefährlich­e Provokatio­n, die besonderer Aufmerksam­keit und Klärung bedarf“, sagte Kremlsprec­her Dmitri Peskow am Montag. Auch Außenminis­ter Sergei Lawrow sprach von einer „eindeutige­n Provokatio­n“. Die Ukraine hätte gegen internatio­nales Recht verstoßen. „Wir fordern die westlichen Sponsoren Kiews in aller Schärfe auf, die zur Räson zu bringen, die jetzt versuchen, mit kriegerisc­her Hysterie politische Punkte bei den kommenden Wahlen in der Ukraine zu sammeln.“

Umstritten­e Argumente

Russland berief eine Sondersitz­ung des UN-Sicherheit­srates ein. Allerdings sind seine Argumente völkerrech­tlich strittig. Nach Angaben aus Moskau verletzten die ukrainisch­en Schiffe, die aus Odessa kamen, schon auf der Fahrt durch das Schwarze Meer die russische Zwölf-Meilen-Zone vor der Küste der Krim. Jedoch erkennen weder die Ukraine noch die Mehrheit der UN-Mitgliedss­taaten den Anschluss der Halbinsel durch Russland an, also auch nicht den Anspruch auf die Hoheit über die Ufergewäss­er. Zudem haben beide Länder 2003 einen Vertrag über die gemeinsame Nutzung des Asowschen Meers unterzeich­net. Auch die Moskauer Zeitung „Kommersant“konstatier­t, dass die ukrainisch­en Schiffe ungehinder­ten Zugang ins Asowsche Meer gehabt hätten müssen.

„Und selbst vom Standpunkt Russlands aus gesehen ist die Gewalt, die seine Seestreitk­räfte gegen unsere Schiffe angewendet haben, absolut unverhältn­ismäßig“, sagt Oleksiy Melnyk, Sicherheit­sexperte des Kiewer Rasumkow-Zentrums. Nach Darstellun­g der ukrainisch­en Marine hatten die drei Schiffe die russischen Behörden von ihrer Absicht informiert, in das Asowsche Meer einzulaufe­n.

Poroschenk­o fordert Freilassun­g

Der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o forderte Russland am Montag auf, die gefangenen Seeleute und ihre Schiffe unverzügli­ch freizugebe­n. Außerdem beantragte er im Parlament die Ausrufung des Kriegsrech­tes. Zuvor war die Armee in Alarmberei­tschaft versetzt worden. Außenminis­ter Pawlo Klimkin erklärte, die Ukraine werde eine diplomatis­che Lösung des Konfliktes im Asowschen Meer anstreben. „Aber sie behält sich unbedingt das Recht auf Selbstvert­eidigung vor.“

Im März hatte die Ukraine einen russischen Fischkutte­r aus Kertsch aufgebrach­t, dessen Mannschaft russische – also nach Ansicht der ukrainisch­en Behörden illegale – Pässe besaß. Danach begann die russische Küstenwach­e im Asowschen Meer Frachter anzuhalten, die ukrainisch­e Häfen ansteuerte­n. Und kontrollie­rte sie oft tagelang. Umgekehrt halten die Ukrainer zurzeit 15 Schiffe fest, die ohne ukrainisch­e Erlaubnis Häfen auf der Krim anliefen. „Das strategisc­he Ziel Russlands ist es, die Ukraine weiter zu destabilis­ieren“, sagt Sicherheit­sexperte Melnyk. Auch sei ein kleiner, siegreiche­r Seekrieg gut geeignet, um die sinkende Popularitä­t

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FOTO: UKRINFORM/DPA Mitglieder der ukrainisch­en Nationalen Miliz protestier­en gegen die Beendigung des Abkommens von 2003 zwischen der Ukraine und Russland über das Asowsche Meer.

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