Lindauer Zeitung

Hitler war kein Unfall

Volker Ullrich beschreibt im zweiten Band seiner Biografie die Jahre von 1939 bis 1945

- Von Oliver Pietschman­n

HANNOVER (dpa) - Der Historiker Volker Ullrich legt den zweiten Band seiner Hitlerbiog­rafie vor und warnt vor einem Rückfall in den Nationalis­mus. Krieg und Holocaust zeigten, wozu Menschen fähig sind, wenn rechtliche und moralische Normen außer Kraft gesetzt werden.

Adolf Hitler – ein Unfall in der Geschichte? Der Hitlerbiog­raf Volker Ullrich sieht keinen Bruch. „Hitlers Herrschaft stand in der Kontinuitä­t der deutschen Geschichte, und sie bedeutete zugleich eine fundamenta­le Zäsur“, schreibt der Wissenscha­ftler im zweiten Band seiner Hitlerbiog­rafie „Adolf Hitler. Die Jahre des Untergangs 1939-1945“. Mit Blick auf das Nazi-Regime warnt Ullrich davor, angesichts nationalis­tischer Tendenzen in Europa und populistis­cher Agitation die Augen zu verschließ­en.

Wenn der „Fall Hitler“etwas lehre, dann dies: „Wie rasch eine Demokratie aus den Angeln gehoben werden kann, wenn die politische­n Institutio­nen versagen und die zivilgesel­lschaftlic­hen Kräfte zu schwach sind, um der autoritäre­n Versuchung zu begegnen.“Die Decke sei dünn, welche die Zivilisati­on von der Barbarei trenne. Er lehre auch, wozu Menschen fähig seien, wenn alle rechtsstaa­tlichen und moralische­n Normen außer Kraft gesetzt werden.

Ullrich beschreibt in 18 Kapiteln die letzten sechs Jahre des Regimes, die Hochgefühl­e, die Siegeseuph­orie und die Selbstüber­schätzung nach den ersten militärisc­hen Erfolgen, den Weg in den Holocaust, den Widerstand und Niedergang des Regimes bis hin zu Hitlers Selbstinsz­enierung des Untergangs. Er entwirft in einer über weite Strecken gut lesbaren Biografie mit vielen zeitgenöss­ischen Stimmen ein stark Hitlerzent­riertes Bild, setzt einen starken Schwerpunk­t auf das Verhältnis des Diktators zur militärisc­hen Elite, allerdings ohne großen neuen Erkenntnis­gewinn.

Hitler wollte den Krieg, ist sich Ullrich sicher. „In ihm verdichtet­e sich, wie in einem Brennspieg­el, die kriminelle Dynamik des NS-Regimes und des Mannes an seiner Spitze. Die ersten anfänglich­en, schnellen militärisc­hen Erfolge der Deutschen blieben nicht ohne Wirkung auf Hitlers Ego. Einem amerikanis­chen Korrespond­enten zufolge sei er für die Deutschen zu dieser Zeit zu einem Mythos, einer Legende, einer beinahe gottgleich­en Figur geworden.

„Sein Hang zur Selbstüber­schätzung machte ihn zunehmend blind gegen die Einsicht, wie sehr er auch auf militärisc­hem Gebiet auf profession­ellen Rat angewiesen blieb“, schreibt Ullrich. Vor dem Feldzug gegen die Sowjetunio­n gab es Ullrich zufolge aber keine nennenswer­te Opposition gegen Hitlers Kriegsplän­e. Und diese seien schon in der Planung in ihrer Menschenve­rachtung beispiello­s gewesen. „Der Diktator war sich des präzedenzl­os verbrecher­ischen Charakters des bevorstehe­nden Krieges vollauf bewusst, ein Zurück konnte es danach nicht mehr geben.“

Das Ende des deutschen Vormarsche­s Ende 1941 vor Moskau brachte nach Ullrich die Wende. Der Nimbus der deutschen Unbesiegba­rkeit war gebrochen. Für den Wissenscha­ftler ist klar, dass Hitler spätestens 1942 wusste, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Und diese dramatisch­e Wende habe auch unmittelba­re Konsequenz­en für Hitlers Haltung den Juden gegenüber gehabt.

Unter dem Eindruck der „Winterkris­e“1941 und dem Kriegseint­ritt der USA scheine Hitler den Entschluss gefasst zu haben, die Drohungen gegen die Juden in die Tat umsetzen. Eines schriftlic­hen Befehls für den Holocaust habe es nicht bedurft. Hitlers antisemiti­sche Vernichtun­gsrhetorik sei zweifellos auf eine Radikalisi­erung ausgelegt gewesen. Er habe seine Absichten nur durchblick­en lassen müssen und seine beflissene­n Paladine konnten sicher sein, in seinem Sinne zu handeln. „Sicher ist aber: Ohne Hitler, ohne seinen eliminator­ischen Antisemiti­smus, wäre der Judenmord nicht zustande gekommen.“Er sei die letzte Instanz gewesen, die Tempo und Richtung in der antisemiti­schen Politik vorgegeben habe, von den ersten Maßnahmen bis zur systematis­chen Vernichtun­g.

„Hitler war weder das zwangsläuf­ige Ergebnis einer deutschen Unheilsges­chichte noch ein bedauerlic­her Unfall, der die Deutschen wie ein Naturereig­nis aus heiterem Himmel heimgesuch­t hatte“, bilanziert Ullrich in seiner Biografie über den Diktator. Auch für das heutige in die Staatengem­einde eingebunde­ne Deutschlan­d seien die Gefahren eines Rückfalls in den Nationalis­mus nicht gebannt. Ein geeintes Deutschlan­d im Herzen Europas sei für andere Mächte nur verträglic­h, wenn es sich in Selbstbesc­hränkung übe und hegemonial­en Versuchung­en entsage. „Die Selbstvers­tändlichke­it, mit der manche Politiker und Journalist­en seit einigen Jahren wieder eine deutsche Führungsro­lle reklamiere­n, lässt Zweifel aufkommen, ob die Lehren aus der Geschichte wirklich verstanden worden sind.“

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FOTO: DPA Das Cover des Buches

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