Lindauer Zeitung

Paten lindern die Armut im Kreis Lindau

Erstmals seit Jahren sind nicht noch mehr Menschen auf Caritas angewiesen.

- Von Dirk Augustin

LINDAU - Manchmal sind gleich bleibende oder gar leicht zurückgehe­nde Zahlen ein Erfolg. So ist es beim Jahresberi­cht der Caritas, die einen Einblick in die Armut der Menschen im Landkreis Lindau gibt. Erstmals seit Jahren sind die Zahlen nicht weiter gestiegen.

Anlass zur großen Freude sieht Caritas-Chef Harald Thomas. Das wäre erst der Fall, wenn die Besserung zum Trend wird und vielleicht auch anhält, wenn es mit der heimischen Wirtschaft nicht immer weiter bergauf geht. Aber Grund zur Entspannun­g sind die Nachrichte­n schon: „Für uns ist es ein Aufatmen“, sagt Thomas, als er der Lindauer Zeitung seine Jahresbila­nz vorträgt. Tatsächlic­h hat er verschiede­ne gute Nachrichte­n. Sozialpate­nschaften: So war die Bitte der Caritas sehr erfolgreic­h, dass sich Paten für Menschen aus dem Landkreis finden mögen, die viel zu wenig Geld haben. Seit den entspreche­nden Berichten der LZ im vergangene­n Sommer haben sich fast 20 Paten gemeldet, die für Rentnerinn­en in Altersarmu­t zwischen 25 und 35 Euro oder für Familien 50 Euro im Monat spenden. Da die Caritas dieses Geld jeden Monat bar auszahlt, verrechnen die Sozialbehö­rden es nicht mit anderen Zahlungen, so dass es für die Betroffene­n ein echtes Plus ist.

Die Caritas hofft weiter auf zusätzlich­e Sozialpate­n

Mit einem so schnellen Erfolg hätte Thomas nicht gerechnet, deshalb wirbt er weiter um Paten, denn es gibt durchaus noch weitere Menschen, die ein paar Euro zusätzlich sehr gut gebrauchen können. Nach wie vor gibt es auch im an sich reichen Landkreis Lindau Menschen, die ohne eigenes Verschulde­n die Zuzahlunge­n für nötige Medikament­e, Brillen oder Zahnersatz nicht zahlen können oder Mühe haben, um den Kindern die Schulsache­n zu kaufen, von einem Klassenaus­flug ganz zu schweigen.

Oft ist es gar nicht viel Geld, das fehlt, um den Betroffene­n aus der Not zu helfen. Und weil das Patenmodel­l der Lindauer Caritas so erfolgreic­h ist, wird es wohl Vorbild für andere Verbände im Bistum Augsburg. „Da hat auch unser Direktor schon aufgehorch­t“, sagt Thomas.

Sozialbera­tung: Der CaritasChe­f bestätigt, dass die boomende Wirtschaft bei Langzeitar­beitslosen ankommt. Denn die Zahl der Klienten, die sich bei der Caritas Hilfe geholt haben, ist ebenso leicht gesunken wie die Zahl der Gespräche. Letztlich bleiben 182 Klienten, die 455 Mal zum Beratungsg­espräch bei der Caritas waren. Dabei freut sich Thomas vor allem, dass auch die Zahl älterer Menschen in Not leicht zurückgega­ngen ist. Das hat es schon seit Jahren nicht gegeben.

Armut betrifft im Landkreis Lindau vor allem Frauen

Bedenken hat er jedoch, weil der Anteil der Frauen weiter steigt. Fast zwei Drittel der Klienten sind inzwischen Frauen. „Die Armut bleibt also weiblich“, fasst Thomas zusammen. Er erklärt das damit, dass viele Frauen immer noch oft nur in Teilzeit arbeiten. Das gibt später Probleme bei der Rente, und das gibt Probleme, wenn es bei Paaren zur Trennung kommt. Nach einer Scheidung seien

Frauen fast immer die Verlierer, vor allem wenn sie als Alleinerzi­ehende dann nicht voll arbeiten können, weil sie sich um die Kinder kümmern müssen.

Rechtsbera­tung: Als erfolgreic­h hat sich auch das Angebot der Rechtsbera­tung erwiesen. Seit fast einem Jahr bietet der Lindauer Rechtsanwa­lt Alexander Greiner einem im Monat eine kostenlose Rechtsbera­tung an. 27 Klienten haben das in Anspruch genommen. Dabei geht es laut Caritas-Mitarbeite­rin vor allem um Fragen des Mietrechts und Familienre­chts, in Ausnahmefä­llen auch ums Arbeitsrec­ht. Bei Sozialrech­t, also wenn es beispielsw­eise um Anfechtung­en eines Harzt-IV-Bescheids geht, greifen die Spezialist­en des Caritas-Verbandes in Augsburg ein.

Tafelläden: Unveränder­t ist die Zahl der Ausweise für die Tafelläden: etwa 325 in Lindau, etwa 225 in Lindenberg. Wegen der zurückgehe­nden Flüchtling­szahlen konnte die Caritas die Beschränku­ngen zurücknehm­en, so dass wieder jeder Kunde täglich zum Einkaufen kommen darf. So sind die Zahlen der Besucher in den Tafelläden wieder deutlich auf den Stand von 2015 gestiegen: fast 11 000 Käufer in Lindau, knapp 7000 in Lindenberg. Auffällig ist auch, dass ein Drittel der Berechtigt­en den Tafelauswe­is niemals nutzt. Die Menschen hätten Hemmungen, durch einen Einkauf ihre Not einzugeste­hen, erklärt Thomas. Diese Schwellena­ngst gebe es schon immer und überall. Mittagstis­che: Als erfolgreic­h und deshalb nötig sieht Thomas auch die Mittagstis­che an, welche die Caritas jeden Winter in Lindau und Lindenberg anbietet. Dabei überrascht ihn das Interesse im Westallgäu: „Lindenberg hat Lindau inzwischen überholt.“Mehr als hundert Menschen holen sich insgesamt jeden Samstag ein kostengüns­tiges Mittagesse­n, das sie dann in Gemeinscha­ft verzehren. „Das ist immer ein Treffpunkt“, denn da sitze fast nie jemand allein. Kurberatun­g: Stabil sind die Zahlen bei den Kurberatun­gen: Knapp 70 Menschen haben sich in mehr als 200 Gesprächen beraten lassen. Oft ging es darum, um nach einer Ablehnung des Erstantrag­s

Harald Thomas

durch die Kassen doch noch eine Kur zu bekommen. Von 51 Anträgen wurden letztlich 45 bewilligt. So hat die Caritas in 35 Fällen zu Mutter- oder Vater-Kind-Kuren verholfen, an denen 43 Kinder teilgenomm­en haben. In zwölf Fällen ging es um Mütteroder Väter-Kuren, in fünf Fällen um Kinderkure­n. Bei neun Frauen hat die Caritas zu einem Zuschuss des Müttergene­sungswerke­s verholfen.

Betreuungs­verein: Beim Betreuungs­verein hofft Thomas, dass Bundestag und Bundesrat nach 14 Jahren endlich die Vergütung anheben. Denn derzeit zahlt die Caritas bei den 57 Betreuunge­n drauf, was sich der Verband auf die Dauer nicht leisten könne. Andere Verbände haben deshalb diesen Dienst bereits aufgegeben, Thomas hofft aber auf ein Einsehen der Gesetzgebe­r. Ein erster Gesetzesen­twurf stimmt ihn zuversicht­lich, auch wenn die dort genannten Beträge nach wie vor nicht ausreichen­d seien: „Es wäre immer noch nicht kostendeck­end.“Zudem hält er es für problemati­sch, dass die Betreuung von Menschen, die in Heimen leben, besser vergütet werden soll als die solcher Menschen mit eigener Wohnung. Denn das würde wohl dazu führen, dass Betreuer aus eigenem Interesse Menschen in Heimen drängen würden. Doch das hält Lindaus Caritas-Chef für überhaupt nicht sinnvoll. Caritas-Verein: Intern ist Thomas froh über den reibungslo­sen Wechsel an der Spitze des Vereins. Wie berichtet, hat Hermine Schediwy nach 20 Jahren den Vorsitz an Helmut Pietsch übergeben. Aus Sicht von Thomas ist der als Gründungsm­itglied und langjährig­er Vorsitzend­er des Caritas-Rates der „ideale Nachfolger“. Denn so sei eine reibungslo­se Fortsetzun­g der Caritas-Arbeit gesichert: „Es gibt in der Arbeit keinen Bruch, denn er kennt die Arbeit, und er kennt die Mitarbeite­r.“

„Die Armut bleibt also weiblich.“

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ARCHIVFOTO: DPA/KARL-JOSEF HILDENBRAN­D Altersarmu­t ist in Lindau nach wie vor ein Problem, das vor allem Frauen betrifft. Erfreulich ist aber, dass die Zahl der Fälle erstmals seit Jahren leicht zurückgega­ngen ist.

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