Paten lindern die Armut im Kreis Lindau
Erstmals seit Jahren sind nicht noch mehr Menschen auf Caritas angewiesen.
LINDAU - Manchmal sind gleich bleibende oder gar leicht zurückgehende Zahlen ein Erfolg. So ist es beim Jahresbericht der Caritas, die einen Einblick in die Armut der Menschen im Landkreis Lindau gibt. Erstmals seit Jahren sind die Zahlen nicht weiter gestiegen.
Anlass zur großen Freude sieht Caritas-Chef Harald Thomas. Das wäre erst der Fall, wenn die Besserung zum Trend wird und vielleicht auch anhält, wenn es mit der heimischen Wirtschaft nicht immer weiter bergauf geht. Aber Grund zur Entspannung sind die Nachrichten schon: „Für uns ist es ein Aufatmen“, sagt Thomas, als er der Lindauer Zeitung seine Jahresbilanz vorträgt. Tatsächlich hat er verschiedene gute Nachrichten. Sozialpatenschaften: So war die Bitte der Caritas sehr erfolgreich, dass sich Paten für Menschen aus dem Landkreis finden mögen, die viel zu wenig Geld haben. Seit den entsprechenden Berichten der LZ im vergangenen Sommer haben sich fast 20 Paten gemeldet, die für Rentnerinnen in Altersarmut zwischen 25 und 35 Euro oder für Familien 50 Euro im Monat spenden. Da die Caritas dieses Geld jeden Monat bar auszahlt, verrechnen die Sozialbehörden es nicht mit anderen Zahlungen, so dass es für die Betroffenen ein echtes Plus ist.
Die Caritas hofft weiter auf zusätzliche Sozialpaten
Mit einem so schnellen Erfolg hätte Thomas nicht gerechnet, deshalb wirbt er weiter um Paten, denn es gibt durchaus noch weitere Menschen, die ein paar Euro zusätzlich sehr gut gebrauchen können. Nach wie vor gibt es auch im an sich reichen Landkreis Lindau Menschen, die ohne eigenes Verschulden die Zuzahlungen für nötige Medikamente, Brillen oder Zahnersatz nicht zahlen können oder Mühe haben, um den Kindern die Schulsachen zu kaufen, von einem Klassenausflug ganz zu schweigen.
Oft ist es gar nicht viel Geld, das fehlt, um den Betroffenen aus der Not zu helfen. Und weil das Patenmodell der Lindauer Caritas so erfolgreich ist, wird es wohl Vorbild für andere Verbände im Bistum Augsburg. „Da hat auch unser Direktor schon aufgehorcht“, sagt Thomas.
Sozialberatung: Der CaritasChef bestätigt, dass die boomende Wirtschaft bei Langzeitarbeitslosen ankommt. Denn die Zahl der Klienten, die sich bei der Caritas Hilfe geholt haben, ist ebenso leicht gesunken wie die Zahl der Gespräche. Letztlich bleiben 182 Klienten, die 455 Mal zum Beratungsgespräch bei der Caritas waren. Dabei freut sich Thomas vor allem, dass auch die Zahl älterer Menschen in Not leicht zurückgegangen ist. Das hat es schon seit Jahren nicht gegeben.
Armut betrifft im Landkreis Lindau vor allem Frauen
Bedenken hat er jedoch, weil der Anteil der Frauen weiter steigt. Fast zwei Drittel der Klienten sind inzwischen Frauen. „Die Armut bleibt also weiblich“, fasst Thomas zusammen. Er erklärt das damit, dass viele Frauen immer noch oft nur in Teilzeit arbeiten. Das gibt später Probleme bei der Rente, und das gibt Probleme, wenn es bei Paaren zur Trennung kommt. Nach einer Scheidung seien
Frauen fast immer die Verlierer, vor allem wenn sie als Alleinerziehende dann nicht voll arbeiten können, weil sie sich um die Kinder kümmern müssen.
Rechtsberatung: Als erfolgreich hat sich auch das Angebot der Rechtsberatung erwiesen. Seit fast einem Jahr bietet der Lindauer Rechtsanwalt Alexander Greiner einem im Monat eine kostenlose Rechtsberatung an. 27 Klienten haben das in Anspruch genommen. Dabei geht es laut Caritas-Mitarbeiterin vor allem um Fragen des Mietrechts und Familienrechts, in Ausnahmefällen auch ums Arbeitsrecht. Bei Sozialrecht, also wenn es beispielsweise um Anfechtungen eines Harzt-IV-Bescheids geht, greifen die Spezialisten des Caritas-Verbandes in Augsburg ein.
Tafelläden: Unverändert ist die Zahl der Ausweise für die Tafelläden: etwa 325 in Lindau, etwa 225 in Lindenberg. Wegen der zurückgehenden Flüchtlingszahlen konnte die Caritas die Beschränkungen zurücknehmen, so dass wieder jeder Kunde täglich zum Einkaufen kommen darf. So sind die Zahlen der Besucher in den Tafelläden wieder deutlich auf den Stand von 2015 gestiegen: fast 11 000 Käufer in Lindau, knapp 7000 in Lindenberg. Auffällig ist auch, dass ein Drittel der Berechtigten den Tafelausweis niemals nutzt. Die Menschen hätten Hemmungen, durch einen Einkauf ihre Not einzugestehen, erklärt Thomas. Diese Schwellenangst gebe es schon immer und überall. Mittagstische: Als erfolgreich und deshalb nötig sieht Thomas auch die Mittagstische an, welche die Caritas jeden Winter in Lindau und Lindenberg anbietet. Dabei überrascht ihn das Interesse im Westallgäu: „Lindenberg hat Lindau inzwischen überholt.“Mehr als hundert Menschen holen sich insgesamt jeden Samstag ein kostengünstiges Mittagessen, das sie dann in Gemeinschaft verzehren. „Das ist immer ein Treffpunkt“, denn da sitze fast nie jemand allein. Kurberatung: Stabil sind die Zahlen bei den Kurberatungen: Knapp 70 Menschen haben sich in mehr als 200 Gesprächen beraten lassen. Oft ging es darum, um nach einer Ablehnung des Erstantrags
Harald Thomas
durch die Kassen doch noch eine Kur zu bekommen. Von 51 Anträgen wurden letztlich 45 bewilligt. So hat die Caritas in 35 Fällen zu Mutter- oder Vater-Kind-Kuren verholfen, an denen 43 Kinder teilgenommen haben. In zwölf Fällen ging es um Mütteroder Väter-Kuren, in fünf Fällen um Kinderkuren. Bei neun Frauen hat die Caritas zu einem Zuschuss des Müttergenesungswerkes verholfen.
Betreuungsverein: Beim Betreuungsverein hofft Thomas, dass Bundestag und Bundesrat nach 14 Jahren endlich die Vergütung anheben. Denn derzeit zahlt die Caritas bei den 57 Betreuungen drauf, was sich der Verband auf die Dauer nicht leisten könne. Andere Verbände haben deshalb diesen Dienst bereits aufgegeben, Thomas hofft aber auf ein Einsehen der Gesetzgeber. Ein erster Gesetzesentwurf stimmt ihn zuversichtlich, auch wenn die dort genannten Beträge nach wie vor nicht ausreichend seien: „Es wäre immer noch nicht kostendeckend.“Zudem hält er es für problematisch, dass die Betreuung von Menschen, die in Heimen leben, besser vergütet werden soll als die solcher Menschen mit eigener Wohnung. Denn das würde wohl dazu führen, dass Betreuer aus eigenem Interesse Menschen in Heimen drängen würden. Doch das hält Lindaus Caritas-Chef für überhaupt nicht sinnvoll. Caritas-Verein: Intern ist Thomas froh über den reibungslosen Wechsel an der Spitze des Vereins. Wie berichtet, hat Hermine Schediwy nach 20 Jahren den Vorsitz an Helmut Pietsch übergeben. Aus Sicht von Thomas ist der als Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender des Caritas-Rates der „ideale Nachfolger“. Denn so sei eine reibungslose Fortsetzung der Caritas-Arbeit gesichert: „Es gibt in der Arbeit keinen Bruch, denn er kennt die Arbeit, und er kennt die Mitarbeiter.“
„Die Armut bleibt also weiblich.“