Ton in der Großen Koalition wird rauer
CSU warnt SPD vor „Verteilungsorgie“– Fraktionschef Brinkhaus um Mäßigung bemüht
BERLIN - Vor dem Treffen des Koalitionsausschusses heute Abend in Berlin verschärft sich der Ton innerhalb der Großen Koalition. So hat CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt den Koalitionspartner SPD am Dienstag vor einer „Verteilungsorgie“im Rahmen ihrer neuen Sozialstaatsdebatte gewarnt. „Der eine oder andere scheint vom linken Affen gebissen zu sein“, ergänzte er. Er erwarte „eine deutliche Nähe zum Koalitionsvertrag“. Gleichzeitig lobte Dobrindt den Koalitionspartner CDU für die Vorschläge zur Migrationspolitik und nannte diese „mutig“.
Nach dem Werkstattgespräch zur Migration hatte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärt, Grenzschließungen seien bei einem erneuten Andrang von Flüchtlingen als „Ultima Ratio“nicht auszuschließen. Ihre Partei hatte sich zuvor auf einen härteren Kurs in der Asylpolitik festgelegt. CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor erklärte, es sei klar, „wer bei einer konsequenteren Migrationspolitik auf der Bremse steht: die SPD und die Grünen“.
Bei der Opposition stieß die neue Linie der Union auf Kritik. Die FDPMigrationspolitikerin Linda Teuteberg forderte einen nationalen Migrationsgipfel. Die grüne Innenpolitikerin Irene Mihalic warnte, die Union heize „ohne Not die Debatte zu Geflüchteten wieder an“. AfDFraktionschefin Alice Weidel bezeichnete das Werkstattgespräch hingegen als „Alibi-Veranstaltung“.
FDP-Parteichef Christian Lindner kritisierte das Gesamterscheinungsbild der Bundesregierung. Es gehe gar nicht mehr um konkretes Regierungshandeln, „sondern nur um die Aufarbeitung von Traumata und um die jeweilige Startposition für einen nächsten Bundestagswahlkampf “, sagte er am Dienstag in Berlin.
Dem traten Unionspolitiker entgegen. Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) und auch Dobrindt betonten mit Blick auf den Koalitionsausschuss, dass es sich um eine Sitzung im „Normalmodus“(Dobrindt) handle. Brinkhaus sagte weiter: „Das wird kein dramatischer Koalitionsausschuss werden, wo es einen großen Streit gibt.“Man werde das Arbeitsprogramm der kommenden Monate besprechen.
BERLIN - Mit ihren Vorschlägen zur Migration hat die CDU beim Werkstattgespräch klar gemacht, welchen Weg sie künftig gehen will: den der Härte. Die wichtigsten Punkte im Überblick – und wie wahrscheinlich es ist, dass sie umgesetzt werden.
Schutz der EU-Außengrenzen:
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll zu einer „operativen Grenzpolizei“ausgebaut und nach CDUVorstellung bereits im kommenden Jahr personell auf 10 000 Mitarbeiter aufgestockt werden. Bisher sind es 1500. Diese Personalaufstockung hatte ursprünglich auch die EUKommission geplant. Nach Protest der Mitgliedstaaten – die das Personal stellen müssen – wird das Datum wohl auf 2027 verschoben. Eine Entscheidung wird im März erwartet. Der Ausbau zu einer Grenzpolizei wird in Brüssel skeptisch gesehen, weil die EU-Länder nicht bereit sein dürften, Hoheitsrechte abzugeben.
Einheitliches Asylsystem und Datenabgleich in Europa:
Asylbewerber sollen künftig nur noch ein Anerkennungsverfahren in der EU durchlaufen dürfen, Daten europaweit abgeglichen werden. Bewerber, die keine Aussicht auf Asyl haben, sollen direkt an den EU-Außengrenzen in Transitzentren abgewiesen werden können. Die Vereinheitlichung des Datenzugriffs in Deutschland hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Ende Januar vorgestellt. Die EU plant für spätestens 2023 eine europäische Einreise-/ Ausreise-Erfassungsdatenbank. An einem einheitlichen europäischen Asylsystem basteln die 28 EU-Staaten hingegen bislang vergeblich.
Härteres Durchgreifen bei Abschiebungen:
Wer seine Identität bewusst verschleiert oder eine Gerichtsstrafe von 90 Tagessätzen erhält, dem soll die Abschiebung drohen. Zudem soll die Abschiebehaft ausgebaut und eine Sicherungshaft eingeführt werden, damit Abschiebepflichtige nicht abtauchen. Hier gibt es juristische und politische Fallstricke. Der Koalitionspartner SPD dürfte zu strikte Regelungen ablehnen. Zudem ist der Nachweis, ob jemand absichtlich seine Identität verschleiert, schwer zu führen. FDPFraktionsvize Stephan Thomae sieht „rechtsstaatliche Prinzipien missachtet“, wenn Straf- und Aufenthaltsrecht vermischt werden.
Beschleunigung von Verfahren, Einschränkung von Klagemöglichkeiten:
Bei Asylverfahren soll es in Zukunft nur noch eine einzige sogenannte Tatsacheninstanz geben. Wer gemäß der Dublin-Verordnung in ein anderes EU-Land zurückgebracht wird – weil dieses Land für sein Asylverfahren zuständig ist – der soll bei Wiedereinreise keinen Asylantrag mehr stellen können. Diese Asylbewerber sollen auch keine Sozialleistungen mehr erhalten. Die Zahl sicherer Herkunftsstaaten, in die Abschiebungen leichter möglich sind, wird erweitert. Klagen gegen diese Pläne wären abzusehen. Hier würden „zentrale Bestandteile des Rechtsstaats verworfen“, erklärt die grüne Innenpolitikerin Irene Mihalic. Den Rechtsweg für Asylbewerber massiv einzuschränken sei eine „schlimme Idee“. FDP-Kollege Thomae kritisiert: „Es ist verfassungsrechtlich unmöglich, Sozialleistungen komplett zu streichen.“Die Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten wird von grün mitregierten Ländern im Bundesrat blockiert.