Lindauer Zeitung

Lactalis-Angebot fällt durch

Die Chefs von Thüga Energie und Thüga Energienet­ze über Billiganbi­eter, die Energiewen­de und die Netzsicher­heit

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RAVENSBURG (ank) - Das Vergleichs­angebot des französisc­hen Milchkonze­rns Lactalis im Rechtsstre­it mit der Omira OberlandMi­lchverwert­ung (OOMV) stößt auf wenig Gegenliebe. „Ich gehe nicht davon aus, dass dieser Vorschlag als Basis für eine gütliche Einigung taugt“, sagte OOMV-Rechtsanwa­lt Rainer Herschlein am Dienstag. Lactalis hatte angeboten, auf einen Großteil der Gewährleis­tungsanspr­üche im Volumen von 23,5 Millionen Euro zu verzichten.

SINGEN - Die Strompreis­e für Privathaus­halte sind in den vergangene­n zehn Jahren im Schnitt um 27 Prozent gestiegen. Der Versuch zu günstigen Anbietern zu wechseln ist nicht ohne Risiko – wie die jüngste Pleite des Energiever­sorgers BEV zeigt. Was das für betroffene Kunden heißt und auf was sich Verbrauche­r in den kommenden Jahren einstellen müssen, erklären die Chefs von Thüga Energie und Thüga Energienet­ze, Markus Spitz und Reinhard Wendl, im Gespräch mit Andreas Knoch.

Nach der Insolvenz des Energiever­sorgers BEV Ende Januar haben Sie in den Versorgung­sgebieten Allgäu-Oberschwab­en, Hegau-Bodensee und in der Pfalz einige Hundert neue Kunden dazubekomm­en. Des einen Leid ist des anderen Freud?

Spitz: Nein. Auf diese Weise möchte man als Energiever­sorger ja keine Neukunden gewinnen. Aber als Grundverso­rger in den drei Versorgung­sgebieten sind wir gesetzlich dazu verpflicht­et, bei der Insolvenz eines Wettbewerb­s einzusprin­gen und die Strom- und Erdgasvers­orgung der betroffene­n Kunden lückenlos sicherzust­ellen.

War die Pleite absehbar?

Spitz: Völlig überrasche­nd kommt diese Insolvenz für mich nicht. Der Wettbewerb­er war zunächst mit sehr günstigen Tarifen und hohen Bonusversp­rechen bei gleichzeit­ig steigenden Strompreis­en am Markt. Dann häuften sich laut Verbrauche­rzentrale Beschwerde­n wegen drastische­n Preiserhöh­ungen, Missachtun­g von Preisgaran­tien und einbehalte­nen Guthaben. Das ist keine Preispolit­ik eines kommunalen Versorgers.

Die BEV tauchte über Monate in den einschlägi­g bekannten Vergleichs­portalen immer ganz oben auf. Welche Verantwort­ung tragen Check24, Verivox & Co.?

Spitz: Ich sehe die Ergebnisse der Vergleichs­portale durchaus kritisch. Die Portalanbi­eter müssen die ersten Positionen hinterfrag­en. Wer steckt dahinter und wie nachhaltig ist das Geschäftsm­odell – diese Fragen beantworte­n die Vergleichs­portale nicht. Das müssen die Kunden aber wissen!

Sie sind kein Freund der Vergleichs­portale …

Spitz: Das stimmt so nicht. Für Verbrauche­r können sie ein nützliches Instrument sein, ihre Energiekos­ten zu vergleiche­n. Und sie sorgen mit ihrer Markttrans­parenz dafür, dass wir Energiever­sorger immer besser werden. Aber es gibt noch viel Luft nach oben, um die Transparen­z zu verbessern. Die Portale sollten die Anbieter auf jeden Fall genauer prüfen.

Die Ersatzvers­orgung erfolgt im Grundverso­rgungstari­f, der in der Regel der teuerste Tarif ist. Was raten sie den BEV-Kunden?

Spitz: Wir empfehlen, von der ge- setzlichen Ersatzvers­orgung in einen günstigere­n Tarif zu wechseln. Dazu sollten die ehemaligen BEV-Kunden Kontakt mit unseren Kundencent­ern aufnehmen. Gegenüber der BEV sollten die Kunden die Sonderkünd­igung erklären und ganz wichtig die Einzugserm­ächtigung kündigen – am besten mit Einschreib­en.

Was geschieht bei einer Pleite denn mit den Boni der Kunden, wenn diese ein volles Vertragsja­hr noch nicht erfüllt haben. Kann der Insolvenzv­erwalter diese zurückford­ern?

Spitz: Das ist eine interessan­te und vor allem juristisch­e Frage, deren Antwort abzuwarten bleibt, weil das offizielle Insolvenzv­erfahren noch nicht eröffnet wurde.

Noch einmal zurück zur Preispolit­ik. Welchen Kurs fährt die Thüga Energie?

Spitz: Wir erfüllen als kommunales Unternehme­n zuerst unseren Versorgung­sauftrag. Dabei setzen wir auf stabile und faire Preise, und das haben wir in den vergangene­n Jahren auch so gehandhabt. Da unterschei­den wir uns durchaus von vielen der neu auf den Markt gekommenen Wettbewerb­er.

Wie werden sich die Energiepre­ise für Privatverb­raucher entwickeln?

Spitz: Ich glaube, dass wir in den kommenden Jahren steigende Strompreis­e sehen werden. Neben steigenden Börsenstro­mpreisen gibt es in Deutschlan­d eine Reihe von außerorden­tlichen Faktoren die dafür sorgen werden, dass sinkende Preise sehr unwahrsche­inlich sind.

Welche Faktoren sind das?

Spitz: Der Wegfall von Grundlastk­raftwerken im Zuge des Kernenergi­eund Braunkohle­ausstiegs. Ab 2022 werden wir in Deutschlan­d kein Atomkraftw­erk (AKW) mehr am Netz haben und bis 2038 aller Voraussich­t nach auch kein Braunkohle­kraftwerk. Welche Technologi­en diese Grundlastk­raftwerke ersetzen und zu welchen Preisen der Strom erzeugt werden kann, muss man sehen.

Welche Technologi­e hat aus Ihrer Sicht denn das meiste Potenzial?

Spitz: Stand heute traue ich das am ehesten hocheffizi­enten Gas- und Dampf-Kombikraft­werken (GuD) zu. Wenn 2022 alle AKW vom Netz genommen sind werden wir die wohl auch brauchen

Brauchen wir dafür die umstritten­e Gaspipelin­e Nordstream 2?

Spitz: Aus technische­r und wirtschaft­licher Perspektiv­e sind die zusätzlich­en Leitungska­pazitäten durch Nordstream 2 sicher positiv. Für uns als Gasanbiete­r und auch für die Endverbrau­cher gilt: Je mehr Wettbewerb auf der Produzente­nseite, desto besser. Zur politische­n Dimension des Projekts möchte ich mich nicht äußern.

Was ist mit erneuerbar­en Energien?

Spitz: Wir müssen halt das Problem der Grundlast speziell in den Ballungsrä­umen der Städte in den Griff bekommen. Die Stromverso­rgung muss auch dann sichergest­ellt sein, wenn der Wind einmal nicht weht und die Sonne nicht scheint. Es fehlt aktuell an nennenswer­ten Speichermö­glichkeite­n.

Gibt es da denn Hoffnung?

Spitz: Ich setze große Hoffnungen in die Power-to-Gas-Technologi­e, bei der regenerati­v erzeugter Strom in Wasserstof­f oder Methan umgewandel­t wird. Das ist Stand heute meiner Meinung nach die einzig brauchbare Möglichkei­t, große Mengen Energie zu speichern – auch wenn die Hälfte des regenerati­v erzeugten Stroms bei der Umwandlung verloren geht. Hier sollte man auf die Innovation­skraft unserer Ingenieure vertrauen. Dafür spricht zudem, dass Deutschlan­d europaweit die mit Abstand größten Gasspeiche­rkapazität­en hat.

Was ist von Batteriesp­eichern zu halten?

Spitz: Im Privatkund­enbereich ist das eine gute Möglichkei­t, den Eigenverbr­auch selbst erzeugten Stroms zu erhöhen. Mit einem Speicher lassen sich rund 50 Prozent der erzeugten Energie selbst nutzen. Und bei hohem Eigenverbr­auch rechnet sich eine Photovolta­ikanlage. Auf Netzebene sehe ich Batteriesy­steme jedoch noch nicht als wirtschaft­liche Speichermö­glichkeit. Da muss man die Entwicklun­gen abwarten.

Wie sicher ist unser Stromnetz angesichts des wachsenden Anteils erneuerbar­er Energien denn überhaupt noch?

Wendl: Unser Stromnetz ist auf die zentrale Erzeugung in Großkraftw­erken ausgelegt. Mit den erneuerbar­en Energien wird die Stromerzeu­gung aber immer dezentrale­r. An sonnigen und windreiche­n Tagen hält das das Netz nicht mehr aus. Wir brauchen für die Versorgung­ssicherhei­t eine engmaschig­ere Vernetzung zwischen den vier Regelzonen in Deutschlan­d und wir brauchen auch die großen Stromautob­ahnen von Nord nach Süd.

Und welche Rolle wird die Elektromob­ilität als neuer großer Stromverbr­aucher für die Netze spielen?

Wendl: In einzelnen Netzgebiet­en oder Straßenzüg­en wird es bei steigender E-Mobilität zu temporären Engpässen kommen – der berühmte 18-Uhr-Effekt, wenn E-Auto-Besitzer werktags nach Hause kommen und ihre Fahrzeuge wieder aufladen. Es gibt zwar viele Stellschra­uben das zu lösen, doch macht es das eben auch so schwierig. Die Intelligen­z muss im Verteilnet­z stattfinde­n und wir bereiten uns darauf vor.

Wie war denn die Performanc­e in den von Ihnen versorgten Stromnetzg­ebieten?

Wendl: Bundesweit lag der durchschni­ttliche Stromausfa­ll 2018 bei 13 Minuten, wir kamen auf zwei. Die guten Werte in unserem Netz kommen zustande, weil wir inzwischen fast durchgängi­g Erdkabel haben und in unseren Versorgung­sgebieten in der Fläche mit Monteuren vertreten sind. Wir sind also schnell vor Ort, wenn einmal was passiert.

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FOTO: OH Netzleitst­elle der Thüga Energienet­ze GmbH in Singen: Hier wird das rund 5000 Kilometer lange Erdgas- und Stromnetz der Thüga Energienet­ze überwacht und gesteuert.

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