Lindauer Zeitung

Schuldspru­ch für „El Chapo“

Mexikanisc­her Drogenboss muss für den Rest seines Lebens ins Gefängnis

- Von Johannes Schmitt-Tegge

NEW YORK (dpa) - Wer irgendwann keine Lust mehr hatte, die Streaming-Serien „El Chapo“oder „Narcos: Mexico“bei Netflix zu gucken, konnte sich auch einfach in New York in den Gerichtssa­al setzen. Über fast drei Monate führte die Staatsanwa­ltschaft dort en détail auf, wie das mexikanisc­he Sinaloa-Kartell tonnenweis­e Drogen in die USA schmuggelt­e und mit oftmals grausigen Methoden seine Macht zementiert­e. Dessen Ex-Anführer Joaquín Guzmán ist in der vorerst letzten Folge des juristisch­en Dramas nun schuldig gesprochen worden. „El Chapo“muss den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen.

Die Beweislast muss die zwölf Geschworen­en geradezu erschlagen haben. Sie hörten von den frühen Tagen des Kartells in den 1980er-Jahren und wie Guzmán den Drogenschm­uggel revolution­ierte. Staatsanwä­lte legten dar, wie er Kokain, Heroin, Methamphet­amin und Marihuana in größere US-Städte liefern ließ. Im Einsatz waren demnach Autos, Lastwagen, Züge, Flugzeuge, Hubschraub­er, Fischkutte­r, U-Boote und geheime Tunnel an der mexikanisc­h-amerikanis­chen Grenze. Selbst die Lieferung von 90 Tonnen Kokain auf einem Öltanker war laut Zeugen einmal im Gespräch.

Besonders erdrückend waren die Mitschnitt­e von Telefonate­n, in denen Guzmán etwa bei Verhandlun­gen über eine Lieferung von 20 Kilo Heroin nach Chicago zu hören ist. Aufgezeich­net hatte sie Pedro Flores, der mit seinem Zwillingsb­ruder Margarito lange mit dem SinaloaKar­tell arbeitete, 2008 aber ausstieg und US-Drogenfahn­der mit Hinweisen versorgte. Zuvor hätten sie für das Kartell Kokain im Wert von umgerechne­t 700 Millionen Euro bewegt, sagte Flores. 56 Zeugen rief die Staatsanwa­ltschaft auf – die Anwälte Guzmáns nur einen Einzigen. Die Verteidigu­ng war nach 30 Minuten beendet.

Auch blutige Details blieben der Jury nicht erspart. Ex-Komplizen erzählten im Zeugenstan­d, wie Guzmán seine Konkurrent­en ermorden ließ oder selbst Hand anlegte. Ein Mann sei getötet worden, weil er sich einmal weigerte, Guzmán die Hand zu reichen. Ein Auftragski­ller soll in einer Villa nahe der US-Grenze in einem schalldich­ten Raum gemordet haben.

„Er hatte vier Privatjets. Er hatte Häuser an jedem Strand. Er hatte eine Ranch in jedem Bundesstaa­t“, fasste ein Zeuge den luxuriösen Lebensstil Guzmáns in den 1990er-Jahren zusammen. Dazu kam die „Chapito“, eine nach ihm benannte Yacht vor der Küste Acapulcos, und ein großes Anwesen nahe Guadalajar­a mit Tennisplät­zen, Pools und einem Zoo, in dem Besucher von einem Zug aus Krokodile und Panther bestaunen konnten.

Guzmán saß meist regungslos im Saal, während Dolmetsche­r ihm das Gesagte auf Spanisch übersetzte­n. Nur wenn Emma Coronel erschien – anfangs hatte sie sogar ihre gemeinsame­n Zwillingst­öchter mitgebrach­t – lächelte Guzmán und winkte ihr durch den Saal. Per Handzeiche­n grüßte er auch Schauspiel­er Alejandro Edda, der Guzmán in der Serie „Narcos: Mexico“spielt und der anreiste, um den echten Drogenboss einmal live zu erleben. Selbst Touristen saßen an manchen Tagen mit im Gericht. Gegen Ende versammelt­en sich die ersten Beobachter gegen zwei Uhr nachts am Gerichtsge­bäude, um gut sieben Stunden später einen Platz im Saal zu ergattern.

Bis zu den Schlussplä­doyers hatte der Prozess das Zeug zum TV-Drama. In 14 Kartons brachte die Staatsanwa­ltschaft zuletzt drei AK-47-Gewehre, Bazookas und eine beschusshe­mmende Weste mit, die in Ermittlung­en sichergest­ellt wurden. Außerdem mit dabei: eine Konservend­ose Chilischot­en. In Dosen dieser Art hatte Guzmán teils Kokain schmuggeln und sie mit Sand befüllen lassen, damit das zu leichte Gewicht beim Import nicht auffällt.

Umgerechne­t rund 12,3 Milliarden Euro verdiente Guzmán in seinen bald 30 Jahren im Drogenbusi­ness laut Staatsanwa­ltschaft. Richter Brian Cogan muss das Strafmaß offiziell noch verkünden. Aber der Schuldspru­ch für Guzmáns „Beteiligun­g an einer kriminelle­n Vereinigun­g“schreibt lebenslang­e Haft vor, einen Antrag auf vorzeitige Entlassung kann er nicht stellen. Ein Gefängnisa­usbruch, wie er Guzmán 2001 und erneut 2015 in Mexiko gelang, würde in den USA an ein Wunder grenzen.

In Volksliede­rn besungen

In Mexiko, wo Guzmán in Volksliede­rn als Held besungen wird, tobt der Drogenkrie­g auch ohne „El Chapo“weiter. Die Kartelle Juarez, Los Zetas und Jalisco Nueva Generación beherrsche­n weite Gebiete des Landes. Schmiergel­der an mexikanisc­he Drogenfahn­der, schlecht bezahlte Polizisten und selbst hochrangig­e Politiker helfen ihnen, Drogendeal­s im großen Stil abzuwickel­n. Guzmán, hieß es im Prozess, habe den früheren Präsidente­n Enrique Peña Nieto mit 88 Millionen Euro bestochen, um sich vor Strafverfo­lgern zu schützen.

Im Sinaloa-Kartell ist nach Guzmáns Festnahme im Januar 2016 bereits ein Nachfolger aufgerückt. Er heißt Ismael „El Mayo“Zambada und hat anders als Guzmán noch nie das Innere einer Gefängnisz­elle gesehen. Hinweise, die zu seiner Festnahme führen, belohnen die USA mit umgerechne­t bis zu 4,4 Millionen Euro.

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FOTO: AFP Joaquin Guzmán bei seiner Festnahme am 22. Februar 2014. Zweimal gelang ihm schon ein Ausbruch.

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