„Ich will so sein wie sie“
Das Theater Partout bringt „Die Nashörner“auf die Hinterbühne des Stadttheaters Lindau
LINDAU - Da sitzt eine Katze im Halbdunkel der Bühne, sie beobachtet teils gelangweilt teils neugierig das Geschehen um sie herum. Die Schmusekatze, anschmiegsam und leicht zufriedenzustellen mit dem ein oder anderen Leckerbissen. Bis sie dem Nashorn begegnet. Das Theater Partout hat „Die Nashörner“auf die Hinterbühne gebracht. Regisseurin Anja Lorenzen hat Eugène Ionescos grotesk-abgründiges Schauspiel aus dem Jahr 1957, ein Klassiker des absurden Theaters, in die JetztZeit versetzt und damit das Schauspiel in drei Akten zu einem lebendigen Stück für die Neuzeit gemacht, in welchem sich eine ganze Stadt nach und nach verwandelt, und sich nur ein einzelner Mensch dieser Gleichmacherei widersetzt.
An einem Sonntag im Sommer treffen sich die beiden Freundinnen Bea Behringer und Henriette in einem Café. Beide kommen etwas zu spät, wobei Bea dabei total übernächtigt zu sein scheint. Henriette beginnt daraufhin, ihre Freundin zu tadeln, und ein Gespräch über Behringers übermäßigen Alkoholkonsum, ihr ungepflegtes Äußeres und ihre einfältige und geistlose Art nimmt seinen Lauf, als plötzlich ein Nashorn über den Platz rennt, nur zu hören durch lautes Getrampel im Hintergrund. Alle sind in Aufruhr und rennen auf die Bühne, nur Bea bleibt gelassen.
Die beiden sprechen weiter über das Leben, und die Diskussion überschneidet sich nach und nach mit dem Gespräch zwischen dem Logiker und einer Dame, die am Nachbartisch sitzen. Stück für Stück sind sie sogar inhaltlich gleich, immer im Wechsel. Auf einmal taucht ein zwei- tes Nashorn auf und zertrampelt dabei die Katze eines älteren Herren. Alle Anwesenden bemitleiden den völlig aufgelösten Mann, während sich Henriette und Bea darüber streiten, ob es ein asiatisches oder ein afrikanisches Nashorn war.
Sie rätseln, woher es kommt, was es von ihnen will, ob es ein oder mehrere Hörner hat, wie es sich verhält und was man von der ganzen Sache halten soll.
Das ominöse Tier wirbelt mächtig Staub auf in der absurd-komischen und metapherreichen Inszenierung über (Un)Sinn, Logik, Wil- len, Naturgesetze, Moral, Träume und Realität.
Der Zwischenfall, der zunächst für alarmierende Hysterie sorgt, wird schnell zur Normalität, denn es bleibt nicht bei diesem einen Nashorn: Nach und nach verwandeln sich rätselhafterweise immer mehr Einwohner/innen in graue Dickhäuter, willentlich oder aus Pflichtgefühl, um mit dem Zeitgeist zu gehen oder einfach um dazuzugehören – „ich will so sein wie sie“. Die anfangs absurde Verwandlung wird in kurzer Zeit zur banalen Realität quer durch alle Schichten, bei der die individuel- len Besonderheiten in der grauen Herde untergehen.
Das Theaterensemble unter der Regie von Anja Lorenzen und Ainhoa Guerrero hat es verstanden, mit einfachen Mitteln, schrillen Kostümen und einem minimalistischen Bühnenbild, Ionescos immer noch erschreckend aktuelle Parabel über Konformismus, Opportunismus und Massenhysterie, in eine humorvolle Alptraumadaption zu verpacken: egal ob französischer Sunnyboy, digitalisierte Fachkraft oder „Kahle Sängerin“(die Titelfigur aus einem weiteren Stück des franko-rumänischen Dramatikers). In Lorenzens Inszenierung ist nicht nur das Bühnenbild minimalistisch, in nur 70 Minuten wird das Stück auf das Wesentliche reduziert, bietet aber trotz des ernsten Themas reichlich Anlass, herzhaft zu lachen.
Dazu ist die freie Lindauer Adaption des Stücks mittels tollen, eigensinnigen Schauspielern und im Gegensatz zum Original mit teils ausgetauschten Geschlechterrollen, beim Publikum auf einer vollen Hinterbühne des Stadttheaters sehr gut angekommen, was durch den Applaus hörbar wurde.