Sparkasse Bodensee in der Cum-Cum-Falle
Dubiose Aktiengeschäfte könnten das Institut in Friedrichshafen Millionen kosten
RAVENSBURG/FRIEDRICHSHAFEN Die Sparkasse Bodensee muss wegen dubioser Aktiengeschäfte womöglich Millionen abschreiben. Das geht aus dem Geschäftsbericht des Instituts für das Jahr 2017 hervor. Hintergrund sind Wertpapierleihegeschäfte, die die Bank in den Jahren von 2008 bis 2015 getätigt hat und für die sie sich Kapitalertragssteuern erstatten ließ. Die Struktur dieser Transaktionen läßt darauf schließen, dass es sich um sogenannte Cum-Cum-Geschäfte handelt, obwohl der Begriff Cum-Cum nicht explizit Erwähnung findet.
Cum-Cum-Geschäfte gab es in diversen Varianten – und sie galten bis zu einer Gesetzesänderung 2016 meist als legales Steuerschlupfloch. In ihrer Grundstruktur haben inländische Banken ausländischen Investoren dabei geholfen, Rückerstattungen von Kapitalertragssteuern auf Dividenden deutscher Aktiengesellschaften zu ergattern, auf die diese keinen Anspruch hatten. Der Gewinn wurde aufgeteilt, der deutsche Staat ging leer aus. 2016 wurde das Steuerschlupfloch geschlossen, die Banken zur Rückzahlung der erstatteten Steuern aufgefordert.
Im Fall der Sparkasse Bodensee ist im Jahresabschluss 2017 eine Steuernachzahlung von 39,2 Millionen Euro ausgewiesen. Sparkassen-Sprecher Wolfgang Aich zufolge ist aber nicht die gesamte Summe auf Nachforderungen von Kapitalertragsteuern im Zusammenhang mit den Aktiengeschäften zurückzuführen. Um welchen Anteil es sich konkret handelte, wollte Aich jedoch nicht sagen. In den vergangenen Jahren hat das öffentlich-rechtliche Institut, hinter dem als Träger der Landkreis Bodensee, die Städte Überlingen, Konstanz, Markdorf und Meersburg sowie einige weitere Gemeinden in der Bodenseeregion stehen, üblicherweise einen Jahresüberschuss von rund 3,5 Millionen Euro ausgewiesen.
Fest steht: Für die Wirtschaftsprüfer der Sparkasse Bodensee haben die Risiken aus diesen Geschäften einen „wesentlichen Einfluss auf die Vermögens- und Ertragslage“. So steht es in einem Vermerk am Ende des Dokuments. Und weiter: „Es besteht das Risiko, dass diese Geschäfte unter den Anwendungsbereich des Schreibens des Bundesfinanzministeriums vom 17. Juli 2017 fallen und damit die in Vorjahren geltend gemachten Steueranrechnungsansprüche nicht oder nur teilweise anerkannt werden.“In diesem Schreiben hatte das Bundesfinanzministerium die steuerliche Behandlung von Cum-Cum-Transaktionen präzisiert und aufgezeigt, wann ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vorliegt.
Die Geschäfte der Sparkasse Bodensee liefen wie folgt ab: Das Institut hatte festverzinsliche Wertpapiere – etwa Anleihen – an einen Geschäftspartner ausgeliehen und im Gegenzug Aktien mit Dividendenanspruch als Sicherheit bekommen. Für die vereinnahmten Dividenden hatte sich die Sparkasse vom Fiskus die Kapitalertragssteuer erstatten lassen. Nach dem Ende der Laufzeit gingen festverzinsliche Wertpapiere und Aktien wieder an ihre ursprünglichen Besitzer. Geschäftspartner war jeweils eine inländische Bank. Hatte diese die Aktien von einem ausländischen Investor bezogen? „Das kann durch die Sparkasse nicht ermittelt werden“, sagt SparkassenChef Lothar Mayer im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Nun ist die Wertpapierleihe ein durchaus übliches Instrument im Bankenwesen – etwa zur Liquiditätssteuerung. Eine Bank, die keinen akuten Geldbedarf hat, leiht dabei festverzinsliche Wertpapiere an ein anderes Institut aus. Das kann diese Papiere beispielsweise bei der Bundesbank oder der EZB hinterlegen und dafür kostengünstig Geld erhalten. Die verleihende Bank bekommt dafür ein Entgelt von dem ausleihenden Institut. Vor allem während der Finanzkrise 2008 und 2009 war das für viele Banken oft die einzige Möglichkeit an Geld zu kommen.
Steuerliche Neubewertung
Im Fall der Sparkasse Bodensee erweisen sich nun aber die als Sicherheit übertragenen Aktien, die daraus vereinnahmten Dividenden und die erstattete Kapitalertragssteuer als Problem. Bis vor vier Jahren gab es seitens der Finanzverwaltung kaum Beanstandungen dieser Praxis. Auch unter Steuerberatern der Banken lautete die vorherrschende Meinung: Die Transaktionen stehen im Einklang mit dem geltenden Recht. Doch jüngste Urteile deutscher Finanzgerichte – allen voran das des Bundesfinanzhofs (BFH) – haben das Modell ins Wanken gebracht.
Der BFH urteilte im August 2015: Cum-Cum-Geschäfte sind unzulässig. Eine Wertpapierleihe bewirke noch keinen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an Aktien, wenn sie dem Entleiher lediglich eine „leere Eigentumshülle“verschaffe, sagte das oberste Gericht für Steuerund Zollsachen in der Bundesrepublik. Die Folge: Dividenden solcher Papiere sind beim Entleiher nicht steuerbefreit, es gibt also keine Erstattung. Als Missbrauch des Steuerrechts gelten Transaktionen, in denen die Aktien in einem Zeitraum von 45 Tagen vor und nach dem Dividendenstichtag hin- und hergereicht wurden. Das Bundesfinanzministerium unterstrich diese Auffassung in zwei Schreiben, an denen sich die Finanzämter orientieren müssen.
Sparkassen-Chef Lothar Mayer, seit Mai 2016 im Amt, ist überzeugt, dass die Geschäfte seinerzeit solide geprüft wurden. „Die Zulässigkeit wurde vor einem ersten Abschluss auf Grundlage von Ausarbeitungen renommierter Wirtschaftsexperten bewertet. Nach unseren Erkenntnissen wurde im Zuge der Wertpapierleihegeschäfte der Sparkasse Bodensee nicht missbräuchlich gestaltet“, sagte Mayer. Dennoch hat die Bank 2017 vorsorglich Steuern in Millionenhöhe an die Finanzverwaltung gezahlt. Die Begründung: „So schließen wir ein theoretisches Risiko möglicher Zinsen auf etwaige zu leistende Steuern aus.“Dieses Risiko wäre ansonsten durchaus beträchtlich: Trotz Nullzinsphase dürfen die deutschen Finanzämter bei Steuernachzahlungen hohe Zinsen von sechs Prozent kassieren.
Die Sparkasse Bodensee – mit einer Bilanzsumme von 4,5 Milliarden Euro auf Platz 20 unter den 51 Sparkassen im Südwesten – ist damit kein Einzelfall. Allein in Baden-Württemberg sollen dem Vernehmen nach rund zwei Dutzend Sparkassen solche Transaktionen getätigt haben. Auch im Genossenschaftsbankensektor war Cum-Cum nichts Unbekanntes. Ende April berichtete das „Handelsblatt“über die Volksbank Heilbronn, die wegen solcher Geschäfte Steuern nachzahlen soll.
Allein in Baden-Württemberg sind Stand heute Kapitalertragssteuern in der Größenordnung eines unteren dreistelligen Millionen-EuroBetrages zurückgefordert worden. Das bestätigte eine Sprecherin im Stuttgarter Finanzministerium der „Schwäbischen Zeitung“. Allerdings bezieht sich die Summe sowohl auf Cum-Cum- als auch auf Cum-Ex-Geschäfte (siehe Kasten). Eine Trennung zwischen Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäften wollte das Finanzministerium mit Verweis auf „die geringen Fallzahlen“und die Möglichkeit, dass dadurch „das Steuergeheimnis betroffen sein könnte“, nicht machen.
„Risiken voll abgedeckt“
Sparkassen-Chef Mayer geht davon aus, dass mit der Zahlung an die Finanzverwaltung im Jahr 2017 „die steuerlichen Risiken voll abgedeckt sind“. Einen Schlussstrich unter das Kapitel will er damit aber nicht ziehen. „Das beschäftigt uns intern weiter“, sagt Mayer und bestätigt, dass das Institut, parallel zu der Steuernachzahlung im Jahr 2017, Einspruch beim zuständigen Finanzamt Friedrichshafen eingelegt hat. Im besten Fall würde die Sparkasse die gezahlten Millionen also ganz oder teilweise vom Fiskus zurückbekommen.
Klären müssen das nun wohl die Gerichte. Mayer und auch der badenwürttembergische Sparkassenverband üben sich diesbezüglich in Optimismus: „Es ist schwer vorstellbar, dass die Gerichte die Ansicht der Finanzverwaltung teilen, dass Wertpapierleihegeschäfte rückwirkend als rechtswidrig eingestuft werden können“, sagte ein Verbandssprecher im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Doch es ist offen, wie die Gerichte zu den Cum-Cum-Geschäften urteilen werden. Es wird auf den Einzelfall ankommen. Einen „ungewöhnlichen Vorgang“nennt es Lothar Wölfle, Verwaltungsratschef der Sparkassen Bodensee und Landrat des Bodenseekreises, dass es dazu auch nach so langer Zeit noch keine Klarheit gebe. Ob die Sparkasse bei einer möglichen Niederlage in der Sache in die nächste Instanz zieht, ließ Wölfle offen. Das Gleiche gilt für etwaige Regressansprüche des Instituts gegenüber dem Geschäftspartner der Transaktionen, den weder Wölfle noch Mayer nennen wollten. Käme es so weit, müsse sich der Vorstand diese Frage aber stellen, so Wölfle. Und auch eine Entscheidung treffen.