Lindauer Zeitung

Mit Kelle, Radiospots und Bannern

Bündnis kämpft seit 50 Jahren für sichere Schulwege – E-Scooter neue Herausford­erung

- Von Elke Richter

MÜNCHEN (lby) - Der Name ist ein bisschen angestaubt, aber das Thema brandaktue­ll. Die Gemeinscha­ftsaktion „Sicher zur Schule – sicher nach Hause“kümmert sich darum, dass die Schulwege in Bayern sicher sind. Obwohl kaum noch Todesfälle zu beklagen sind, bleibt viel zu tun.

Die Autos hatten noch kreisrunde Seitenspie­gel und keine Kopfstütze­n, angeschnal­lt hat sich kaum jemand, und auch nach ein oder zwei Maß sind viele noch nach Hause gefahren. In den 1960ern und 1970ern waren die Unfallzahl­en hoch – und das traf auch die jüngsten Verkehrste­ilnehmer: Bis zu 35 Kinder im Jahr starben auf Bayerns Straßen allein auf ihrem Schulweg. So viele wie in einer ganzen Klasse sitzen.

Um diese traurige Zahl zu senken, gründete sich vor 50 Jahren die Gemeinscha­ftsaktion „Sicher zur Schule – sicher nach Hause“. Was eine 14tägige Aktion werden sollte, ist nun seit Jahrzehnte­n fest etabliert. Plakate an Ortseingän­gen und vor Schulen zum Schuljahre­sbeginn, Warnwesten für Erstklässl­er, Schülerlot­sen, Medienkamp­agnen oder Seminare für Schulbusfa­hrer – die Arbeit zeigt Wirkung: Inzwischen stirbt höchstens noch eine Handvoll Kinder pro Jahr auf dem Schulweg. 2016 und 2017 war sogar erstmals kein einziger Todesfall zu beklagen.

Noch lange kein Grund zum Ausruhen, findet Wolfgang Prestele, Geschäftsf­ührer der Gemeinscha­ftsaktion. Ihn treibt so einiges um. Die neuen E-Scooter etwa, die demnächst

als zusätzlich­e Verkehrste­ilnehmer hinzukomme­n werden. Oder das Dauerthema Handy.

Noch immer würden viel zu viele Autofahrer während der Fahrt ihr Smartphone benutzen. Selbst wenn es ein erlaubtes eingebaute­s Handy sei, werde der Fahrer abgelenkt, betonte Prestele bei der Feierstund­e zum 50-jährigen Bestehen der Gemeinscha­ftsaktion am Donnerstag in München. Er macht eine einfache Rechnung auf: Wer mit 50 Stundenkil­ometern auch nur eine einzige Sekunde abgelenkt sei, lege in dieser Zeit 14 Meter zurück – eine Strecke, die über Leben oder Tod eines auf die Straße laufenden Kindes entscheide­n kann.

Nicht zuletzt stellt aus Presteles Sicht der tote Winkel vor allem bei Bussen und Lastwagen eine andauernde Gefahrenqu­elle dar, obwohl es inzwischen zahlreiche Möglichkei­ten gibt, das Abbiegen etwa durch Kameras oder spezielle Spiegel sicherer zu gestalten. Von Industrie und Politik fordert Prestele daher zügiges Handeln – auch durch Nachrüstun­gen. „Die Kostenfrag­e darf nicht das Thema sein!“Prestele weiß ein breites Bündnis hinter sich. Gegründet von der „Süddeutsch­en Zeitung“, BR, ADAC und Landesverk­ehrswacht haben sich weitere Partner der Gemeinscha­ftsaktion angeschlos­sen. Inzwischen steht Verkehrser­ziehung in den Lehrplänen: Schon 5,5 Millionen Kinder wurden so auf die Teilnahme am Straßenver­kehr vorbereite­t.

Zu den Erfolgen der Gemeinscha­ftsaktion zählt auch die Einführung der Schülerlot­sen. 29 000 Jugendlich­e und Erwachsene sichern Tag für Tag gefährlich­e Stellen, damit die Kinder sicher zur Schule kommen, wie Ursula Fendl von der Landesverk­ehrswacht berichtet.

Eine von ihnen ist Sieglinde Weh. Seit 35 Jahren steht sie bei Wind und Wetter an „ihrem“Zebrastrei­fen. Mit gelber Warnjacke und rot-weißer Kelle in der Hand geleitet sie die Schulkinde­r über die Straße. Die 82Jährige sieht täglich, was sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n verändert hat: „Das Verkehrsau­fkommen ist groß, und die Respektlos­igkeit auch.“

Das bestätigt auch Edith Brammböck, die seit 40 Jahren an einer vielbefahr­enen Straße in München Dienst tut. „Früher durfte man mehr sagen.“Doch es sind nicht nur die Kinder, deren Mundwerk loser ist. Auch von Autofahrer­n müssen sich die Schülerlot­sen nach übereinsti­mmender Aussage regelmäßig beschimpfe­n lassen. Ein Taxifahrer sei einmal gar so nah an sie herangefah­ren, dass er ihre Kleidung berührt habe, erzählt Weh. Es gibt also noch viel Arbeit für die Verkehrser­zieher.

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FOTO: DPA Ein Freiwillig­er des Schulwegdi­enstes hilft in München Schülern und Erwachsene­n, die Straße sicher zu überqueren.

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