Macron hat hoch gepokert
Der französische Präsident hat in den ersten zweieinhalb Jahren im Amt schon einiges durchgestanden: Rücktritte prominenter Minister, einen prügelnden Leibwächter und die Proteste der Gelbwesten. Doch das, was vor Weihnachten noch auf Emmanuel Macron zukommt, dürfte alles andere übertreffen. Der Streik am Donnerstag gab einen Vorgeschmack auf eine massive Protestbewegung, die sich über Wochen hinziehen könnte. Und der Staatschef hat diese Protestbewegung selbst provoziert. Bewusst wollte er die Rentenreform noch vor den Kommunalwahlen im März angehen. Auch wenn sie seiner noch jungen Partei „La République en Marche“Stimmen kosten dürfte. Doch Macron schaut viel weiter als nur bis zum nächsten Wahldatum. Er hat die Präsidentschaftswahl in zweieinhalb Jahren im Blick. 2017 wählte ihn eine Mehrheit der Franzosen, weil er ihnen versprochen hatte, das verkrustete Land zu reformieren. Die Rentenreform, die bisher noch keiner Regierung gelungen war, sollte ihm die Wiederwahl sichern.
Und anfangs sah es auch so aus, als könnte es klappen. Arbeitsrechtsreform und Bahnreform brachte der Staatschef ohne große Schwierigkeiten über die Bühne. Seine anderen Reformen schienen sich wie Perlen auf eine Schnur zu reihen. Doch dann kamen die Gelbwesten und machten dem Präsidenten klar, dass er das Land mehr gespalten hatte, als es zu versöhnen.
Diese Spaltung war auch am Donnerstag sichtbar: Das Frankreich von unten demonstrierte gegen das Frankreich von oben. Den Hunderttausenden auf der Straße ging es nicht nur um die Rentenreform, sondern auch um eine zunehmende Verarmung der Bevölkerung. Die Angst, dass die Rentenreform Altersarmut produziert, ist groß. Auch deshalb wird die Streikbewegung von 58 Prozent der Franzosen unterstützt. Macron kann diese Zahl nicht ignorieren. Er kann nur versuchen, mit Zugeständnissen die Gewerkschaften ins Boot zu holen. Wenn er sein Projekt aber zu sehr verwässert, ist sein Ruf als Reformer dahin. Dann hätte er hoch gepokert und viel verloren.