Sind Sie frei?
Russische Politaktivisten von Pussy Riot bringen ihre Wut auf die Bühne
FRIEDRICHSHAFEN Es ist etwas Besonderes, wenn Russlands wohl bekannteste Politaktivistin nach Friedrichshafen kommt. Maria Alyokhina, ihres Zeichens Mitglied des politischen Kunstkollektivs Pussy Riot tritt mit dem Performance Act Riot Days im Kulturhaus Kaserne auf. 2012 wurde Alyokhina weltweit berühmt, nachdem sie und weitere Mitglieder in der Kathedrale von Moskau mit einer Protestaktion gegen Vladimir Putin demonstrierten. Die 31jährige Mutter eines zwölfjährigen Sohnes musste dafür 21 Monate Haft in verschiedenen Strafgefangenenlagern absitzen. Alyokhina hat ein Buch geschrieben über die Geschehnisse rund um die Protestaktion und ihre Zeit in Haft. „Es soll Inspiration und Unterstützung für andere Aktivisten bieten.“Das Buch bildet auch die Grundlage für den Performance Act, den sie in der Caserne aufführt.
Dort scheinen am Donnerstagabend noch nicht viele zu wissen, was auf sie zukommt. Das Publikum ist durchmischt. Hinter der Bar wird ein TShirt von Pussy Riot angeboten. In englischrussischer Sprache ist darauf zu lesen: „Jeder kann Pussy Riot sein.“Ein beleibter Mann Mitte dreißig beteiligt sich am Eingang an einer Unterschriftenaktion der lokalen AmnestyInternationalGruppe. Er trägt eine JackDanielsMütze und eine Jeanskutte, auf der jede Menge Aufnäher prangen. Vor der Bar verkaufen Kellner Campari in edlen Rotweingläsern an das ältere Publikum. Wer hier wohl Pussy Riot sein möchte?
Vor Beginn der Show betritt Produzent Alexander Cheparukhin die Bühne, um eine kleine Einordung zu geben. Er erzählt, dass Maria Alyokhina mit Sicherheit sofort nach ihrer Rückkehr nach Russland verhaftet wird. Nach Friedrichshafen folgt noch ein Auftritt in Schweinfurt, dann geht es wieder nach Moskau. „Es ist ein Wunder, dass wir die Tour überhaupt beenden“, sagt Cheparukhin.
Die Show beginnt und die vierköpfige Gruppe betritt die Bühne. In blaues Licht getaucht ertönen Glockenschläge, die in die Trompetentöne von Musiker Maxim übergehen. Es gesellen sich elektronische Beats und tiefe Bässe hinzu, gespielt von Nastya der zweiten Musikerin der Gruppe.
Die Musik ist tanzbar. Dazu zitieren die vier, zu denen auch Schauspieler Kyril Masheka gehört, aus Alyokhinas Buch. In schneller Abfolge und mit aggressivem Ton in russischer Sprache vorgetragen, wirkt es wie ein Rap. Filmaufnahmen auf der Leinwand hinter der Gruppe zeigen die passenden Bilder, über denen eine deutsche Übersetzung mitläuft. Die Geschwindigkeit ist hoch, die Sprache teilweise derb. Es fällt schwer, so vielen Eindrücken auf einmal und damit der Geschichte zu folgen. „Komischer Text, komische Geschichte, komisches Ding“, sagt ein Mann in der letzten Reihe.
Doch dann entwickelt sich langsam die ganze Wucht dieses Auftritts, der immer mehr an Intensität gewinnt. Spätestens als Aljokhina erzählt, wie sie sich vor der Polizei versteckte, jede Nacht die Wohnung wechselte und nur noch bar bezahlte.
Auf der Leinwand hinter ihr sind russische Polizisten zu sehen, die im Takt zur Musik auf Demonstranten einknüppeln. Aufnahmen des Gefangenenlagers in Nowgorod zeigen lange Baracken, Mauern und Wachtürme. Alyokhina rappt von Schlafentzug, Misshandlungen durch Wärter und Vergewaltigungen unter den männlichen Mithäftlingen.
Der Auftritt endet mit dem Verlesen einer Liste von aktuell inhaftierten politischen Aktivisten in Russland. Abschließend ruft die Truppe rund um Alyokhina eine einfache Frage in den Raum: „Sind Sie frei?“Der Beifall ist groß. Im Publikum befinden sich auch Lena Schilling, Lea Schuler und Sophie Hamann. Sie sind Teil des LautKollektivs an der ZeppelinUniversität. Die Initiative richtet sich gegen sexualisierte Gewalt und möchte eine Plattform für feministische Themen an der ZU schaffen. Sie besteht aus zehn aktiven Mitgliedern und hat zusammen mit Ilya Kompasov aus dem AlumniOffice der ZU ein Diskussionsfrühstück mit Alyokhina und Produzent Alexander Cheparukhin am Morgen nach dem Auftritt organisiert. „Die Überschneidung zu uns liegt in der Kritik am systematischen Sexismus in Russland“, sagt Sophie Hamann. Außerdem habe man einfach die Chance wahrnehmen müssen, das berühmteste feministische Kollektiv der Welt einzuladen.
„Wenn ein Ehemann in Russland seine Frau schlägt, beträgt die Strafe 60 Euro“, erzählt Alyokhina aus Russland. Wenn sie in der ZU von ihren Erlebnissen berichtet, wirkt das lange nicht so eindrücklich wie am Abend zuvor. Neben ihren Erzählungen aus Russland nimmt sie auch
Stellung zu Fridays for Future. „Ich habe kein Problem mit Dieselbefürwortern, solange sie niemand schlagen.“Im Aktivismus gehe es nicht darum, die eigenen Parolen dem Gegner tausende Male ins Gesicht zu schreien, ergänzt Cheparukhin. „Es ist viel wichtiger, einen gemeinsamen Weg zu gehen.“
Während der Diskussion wird offensichtlich, dass zwischen dem Aktivistenleben in Russland und Deutschland gravierende Unterschiede bestehen. Dennoch bleibt die Frage nach der allgemeinen Freiheit, mit der der vorherige Abend endete, spannend. Lena Schilling vom LautKollektiv hat darauf eine einfache Antwort: „Ich stehe an der privaten Uni und kann solche Diskussionsrunden organisieren, ohne das morgen die Polizei an meine Tür klopft.“