Man fühlt sich bestens unterhalten
Lesenswertes Sachbuch über BadenWürttemberg als Einwanderungsland
Fast jeder dritte BadenWürttemberger weist einen Migrationshintergrund auf. Das Land im Südwesten liegt mitten im Herzen Europas, ist wirtschaftlich stark und zieht Menschen an. Aber wer hätte gedacht, dass BadenWürttemberg nach Zypern und Liechtenstein sogar den höchsten Ausländeranteil in der Europäischen Union ausweist? Oder wer hätte vermutet, dass alleine in Stuttgart heute 120 Sprachen von Menschen aus rund 180 Nationen gesprochen werden. Es gibt also gute Gründe, sich die Einwanderungsgeschichte BadenWürttembergs genauer anzuschauen und der Frage nachzugehen, wer all die Menschen sind, die in den letzten Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten gekommen sind, und wie es ihnen und dem Land BadenWürttemberg dabei ergangen ist.
Karl Heinz MeierBraun und Reinhold Weber haben dies nun in einem 190seitigen, lesenswerten Buch getan und damit auch „einen Beitrag zur Erinnerungskultur an unsere Einwanderungsgesellschaft“geschrieben, wie sie im Vorwort unterstreichen. MeierBraun ist Journalist, war langjähriger Ausländerbeauftragter beim SWR und gilt als einer der Experten in Deutschland zum Thema Migration und Flucht. Sein Buch „Die 101 wichtigsten Fragen: Einwanderung und Asyl“war ein Bestseller. Gemeinsam mit seinem CoAutor, dem Historiker Reinhold Weber von der Landeszentrale für Politische Bildung, ist MeierBraun im Rat für Migration aktiv. Beide lehren außerdem an der Universität Tübingen.
„Ein Koffer voll Hoffnung“haben die zwei Migrationswissenschaftler nun ihr aktuelles Werk genannt. BadenWürttemberg, so zeigen sie, ist immer schon Ort der Ankunft und des Bleibens gewesen, aber auch des Fortwanderns. „Flucht, Vertreibung und Asyl“werden im ersten von drei Hauptkapiteln umfassend behandelt: Vietnamesische BoatPeople, Bürgerkriegsflüchtlinge, alte und neue Asyldebatten, Sinti und Roma, Spätaussiedler, jüdische Kontingentflüchtlinge oder auch Glaubensflüchtlinge früherer Zeit wie Hugenotten und Waldenser werden besprochen, mit Zahlen und Fakten unterlegt. Ein zweites Großkapitel beschreibt die Arbeitsmigration nach BadenWürttemberg, von den Transalpini über die Gastarbeiterpolitik bis zur heutigen berufsbedingten Wanderung. Ein drittes Kapitel befasst sich schließlich mit den Erfolgen und Problemen der Integration. Schwierigkeiten werden also nicht verschwiegen.
Fakten treffen auf Anekdoten
Das Buch lebt von zahlreichen Bildern, eingeflochtenen Redefragmenten, zeitgenössischen Zeitungsartikeln, Anekdoten, mithin sogar skurrilen Geschichten. So präsentieren die Autoren auch zahlreiche Verlautbarungen und interne Amtspapiere, einiges davon bislang unveröffentlicht.
„Der Italiener,“so erfahren wir aus einer Pressemitteilung des Landesarbeitsamtes BadenWürttemberg von 1960, „liebt im allgemeinen keine flüssigen oder dünnen Soßen, insbesondere keine Mehlsoßen. Zu Teigwaren, die nicht zu weichgekocht werden sollen, gibt man Tomatensoße.“Aus heutiger Zeit mag man schmunzeln, und doch zeigt sich im Buch, das Migration immer auch Herausforderung gewesen und oft sogar auf erbitterte Gegnerschaft getroffen ist. Und so fühlt man sich beim Lesen des Buchs nicht nur informiert, sondern auch bestens unterhalten. Stellenweise hat man den Eindruck, als würde man im Drehbuch des Erfolgsfilms „Maria, ihm schmeckt's nicht“schmökern.
Ein lohnendes Sachbuch, das eine Lücke in der deutschen Literatur rund um Asyl und Migration füllt und zugleich eine uralte Erkenntnis wiedergibt. Menschen wanderten schon immer. Aus den verschiedensten Motiven, Flucht vor Verfolgung, um zu arbeiten und der Liebe wegen – auch und besonders nach BadenWürttemberg. Darin könnte heute die Stärke dieses wunderbaren Bundeslands liegen.