Lindauer Zeitung

Tödliche Schüsse im Wirtshaus

Ein 26-Jähriger soll in Rot am See sechs Verwandte getötet haben

- Von Nico Pointner und Herbert Mackert

(dpa) - Um 12.48 Uhr geht am Freitag ein Anruf bei der Polizei ein. Ein junger Mann aus der kleinen Gemeinde Rot am See (Landkreis Schwäbisch Hall) ist am Telefon. Er gibt an, mehrere Menschen erschossen zu haben. Die Beamten halten den Mann in der Leitung – und machen sich auf den Weg. Neun Minuten später erreichen sie die Bahnhofstr­aße in dem Ort. Der Anrufer wartet bereits vor dem Haus, in dem er wohnt, ein zweistöcki­ges Sandsteing­ebäude. Er lässt sich ohne Widerstand festnehmen. Hinter dem Haus liegen vier Leichen. Im Gebäude liegen noch zwei weitere – und eine halbautoma­tische Kurzwaffe, neun Millimeter.

Rot am See liegt zwischen Crailsheim (Baden-Württember­g) und Rothenburg ob der Tauber (Bayern) und hat gerade mal knapp 5400 Einwohner. Jährlich im Oktober findet dort die „Muswiese“statt, einer der ältesten und größten Jahrmärkte in Hohenlohe. Ein blutiges Verbrechen reißt den Alltag in der idyllische­n Gemeinde im fränkisch geprägten Nordosten Baden-Württember­gs am Freitag aus den Fugen. Sechs Menschen sterben in Rot am See durch Schüsse. Zwei weitere werden verletzt – ein Opfer schwebte am Abend noch in Lebensgefa­hr.

„Zum Motiv können wir bis dato nichts sagen“, sagte der Aalener Polizeiprä­sident Reiner Möller am Nachmittag

bei einer spontan anberaumte­n Pressekonf­erenz im Rathaus. In schwäbisch­em Stakkato trägt er den bisherigen Kenntnisst­and zum Verbrechen vor. Der mutmaßlich­e Täter ist offenbar Sohn der Wirtsfamil­ie, 26 Jahre alt, deutsch, hat einen Waffensche­in, soll nach aktuellem Stand Sportschüt­ze sein. Sehr viel mehr können die Beamten noch nicht sagen. Er war offenbar gefasst bei seinem Anruf. Der Polizeiprä­sident spricht von einem „geordneten Gespräch“.

Der Mann wohnte in dem Gebäude, ebenso wie ein Teil der Familie. Die Opfer sind drei Frauen im Alter von 36, 56 und 62 Jahren und drei Männer im Alter von 36, 65 und 69 Jahren. Alle Opfer und der mutmaßlich­e Täter waren den Angaben zufolge verwandt. Der Mann hat noch zwei Jugendlich­e im Alter von zwölf und 14 Jahren bedroht, die sich im Gebäude befanden und auch zur Verwandtsc­haft gehören sollen.

Am Freitagnac­hmittag bestimmt der Anblick von Polizeiwag­en den kleinen Ort. Mehr als hundert Beamte sind im Einsatz. In der Bahnhofstr­aße ist es nach den Schüssen zunächst ganz ruhig, fast gespenstis­ch still. Es ist klirrend kalt, die Wintersonn­e scheint freundlich auf die Wohnhäuser. In der Mitte der Straße hängt ein rot-weißes Absperrban­d. Vor der Gaststätte stehen rund ein Dutzend uniformier­te Polizisten und pusten sich die Kälte aus den Händen. Spurensich­erer in weißen Anzügen gehen in die Kneipe. Vor dem Haus sprühen Beamte gelbe Striche auf die Straße. Auf einem Fenstersim­s der Gaststätte liegt ein Telefon, das ab und an laut klingelt. Das Telefon des mutmaßlich­en Schützen?

Ein Nachbar sagt, er habe beim Lesen im Wohnzimmer drei Schüsse gehört. „Dann sind nach einer Weile viele weitere Schüsse gefallen.“Er habe die Familie flüchtig gekannt. „Wir haben uns auf der Straße gegrüßt.“Das Gasthaus sei eine Zeit lang geschlosse­n gewesen und habe nach der Renovierun­g der Kegelbahn wieder geöffnet. Die Tat sei ihm unbegreifl­ich. Auch die Verkäuferi­n einer Metzgerei im Ort sagt, sie habe den Gastwirt gekannt. Das Gasthaus sei ein alteingese­ssenes Wirtshaus, habe aber inzwischen nur gelegentli­ch geöffnet und sei vor allem eine Stammkneip­e der Spieler des örtlichen Fußballver­eins. Die Wirtsleute hätten zusammen einen gemeinsame­n Sohn gehabt, die Frau noch weitere Kinder aus einer ersten Ehe. „Ich kann das noch gar nicht glauben“, sagt die Verkäuferi­n.

Ein 19-Jähriger kommt am Freitag extra aus einer Nachbargem­einde an den Tatort, um den Einsatz zu verfolgen. „Hier sind eigentlich alle cool drauf. Und eigentlich leben hier viele ältere Menschen. Vielleicht gab es Streitigke­iten in der Familie.“Eine Frau, die schon lange in der Gemeinde lebt, sagt: „Jetzt wird Rot am See bekannt – aber auf scheußlich­e Art.“

Die Beamten erhoffen sich nun von der Aussage des 26-Jährigen mehr Erkenntnis­se. Bis Freitagabe­nd mussten sie allerdings noch auf den Anwalt des Mannes warten, um mit der Befragung zu beginnen. Am Samstag soll der Mann dem Haftrichte­r vorgeführt werden.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Polizisten vor dem Wirtshaus, in dem mehrere Menschen getötet worden sein sollen.

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