Lindauer Zeitung

Eine Bastion fällt

ADAC hält Tempolimit auf Autobahnen für denkbar – Studie als Entscheidu­ngsgrundla­ge gefordert

- Von Matthias Brunnert

(dpa) - Es ist eines der größten Reizthemen in der Verkehrspo­litik: ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Nun könnte eine der Bastionen dagegen ins Wanken geraten – der größte Automobilc­lub Deutschlan­ds. Der ADAC sei „nicht mehr grundsätzl­ich“gegen eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung, sagte der Vizepräsid­ent Verkehr, Gerhard Hillebrand, vor dem 58. Verkehrsge­richtstag, der nächste Woche in Goslar stattfinde­t.

Der Satz von Hillebrand lässt aufhorchen. Jahrzehnte­lang war der ADAC als klarer Gegner eines Tempolimit­s bekannt. Nun rückt er von seinem strikten Nein ab – ein Ja bedeutet das aber auch nicht. Die Diskussion werde emotional geführt und polarisier­e bei den Mitglieder­n, erläutert Hillebrand. „Deshalb legt sich der ADAC in der Frage aktuell nicht fest.“In einer Umfrage unter Mitglieder­n hatten 50 Prozent gegen ein Tempolimit votiert und 45 Prozent dafür. Eine Versachlic­hung sei dringend erforderli­ch. Die Auswirkung­en eines Tempolimit­s sollten dringend in einer umfassende­n Studie geklärt werden. „Diese würde eine belastbare Entscheidu­ngsgrundla­ge liefern.“

Beim Klimaschut­z werde bei einer zulässigen Höchstgesc­hwindigkei­t von 130 Stundenkil­ometern eine Einsparung von bis zu zwei Millionen Tonnen CO2 erwartet, sagte Hillebrand. Aber auch das sei vage. „Wir brauchen eine umfassende Studie über die Wirkungen eines Tempolimit­s. Diese würde eine belastbare Entscheidu­ngsgrundla­ge liefern.“

In einer aktuellen Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Arbeitsgem­einschaft Verkehrsre­cht des Deutschen Anwaltvere­ins spricht sich die Mehrheit für ein

Tempolimit aus. 56 Prozent der 1000 befragten Führersche­inbesitzer sehen in einer generellen Geschwindi­gkeitsbesc­hränkung eine wirkungsvo­lle Maßnahme für mehr Verkehrssi­cherheit.

Die Debatte um ein Tempolimit in Deutschlan­d hatte Ende 2019 wieder an Fahrt aufgenomme­n. Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) hatte sich ablehnend geäußert: „Wir haben weit herausrage­ndere Aufgaben, als dieses hoch emotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenst­er zu stellen – für das es gar keine Mehrheiten gibt.“Der Regierungs­partner SPD hatte zuvor auf einem Parteitag ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen gefordert und das mit Verkehrssi­cherheit und Klimaschut­z begründet.

Umweltmini­sterin Svenja Schulze fühlt sich nun durch die Bewegung beim ADAC bestätigt – und stichelte auf Twitter Richtung Scheuer. „Der „gute Menschenve­rstand“spreche für ein Tempolimit. Ein Sprecher Scheuers bekräftigt­e die ablehnende Haltung des Ministers. Eine Sprecherin der Bundesregi­erung sagte, es gebe aktuell keine Pläne für ein Tempolimit auf Autobahnen.

Julia Fohmann vom Deutschen Verkehrssi­cherheitsr­at (DVR) verwies auf andere Länder in Europa. Wer auf Autobahnen in Frankreich, Österreich oder Belgien unterwegs sei, erlebe mehr Gelassenhe­it als hierzuland­e. Sobald man wieder auf deutsche Autobahnen komme, sei der Unterschie­d spürbar, sagte Sören Heinze, Sprecher des Auto Clubs Europa ACE. Zu den Befürworte­rn gehört auch die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP). „Aus unserer Sicht spricht alles dafür, dass ein Tempolimit die Zahl der schweren Unfälle auf Autobahnen deutlich verringern würde“, sagte der stellvertr­etende Bundesvors­itzende Michael Mertens.

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FOTO: TOM WELLER/DPA Am Tatort haben Menschen Kerzen aufgestell­t.
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FOTO: FLORIAN GAERTNER/IMAGO IMAGES Jahrzehnte­lang hat sich der ADAC gegen Tempo 130 auf Autobahnen ausgesproc­hen.

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