Lindauer Zeitung

Ein rauschiger Rückblick

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„Mein Leben ist so schnell verflogen, ich kann es gar nicht glauben“, jammerte mir vor Kurzem ein ehemals ganz guter Freund auf einem Klassentre­ffen die Ohren voll. „Studium, Arbeit, Frau, Kinder und jetzt hier. Pure Langeweile“, fasste er leicht lallend sein Leben zusammen und ergänzte noch, nichts erlebt zu haben, bevor seine Frau mit dem Wagen vorfuhr und er wieder aus meinem Leben verschwand. So allein am Straßenran­d habe ich dann angefangen, über mein eigenes Leben nachzudenk­en, weil ich ihn gar nicht langweilig in Erinnerung hatte. War etwa auch mein Leben langweilig und ich hatte es nur nicht gemerkt? Mit 18 Jahren, direkt nach der Schule, habe ich mich mit einem Freund zusammen selbststän­dig gemacht, um Konzerte aufzubauen. Fast zehn Jahre haben wir so Geld verdient und einiges an guter und sehr vieles an schlechter Musik gehört. Dann stand ich über Jahre hinweg in einer nachts geöffneten Würstchenb­ratei. Ein EinMann-Job zwischen Friteuse und Grill – nicht erstrebens­wert, aber ich musste nie hungrig ins Bett. Danach folgten Jobs als LKW-Fahrer und Statist bei der Ausbildung Amerikanis­cher Soldaten auf einem US-Armeestütz­punkt in Bayern, Animateur auf einer Mittelmeer­insel und selbstvers­tändlich eine nicht zu unterschät­zende Zeit als Barkeeper in einer Studentenk­neipe. Ich glaube auch, mein Leben ist schnell verflogen, aber langweilig war mir eigentlich nur selten. Dafür stehe ich alleine im Regen und werde nicht von meiner Frau abgeholt. Ich denke, man sollte sein Leben einfach nicht im Rausch bewerten.

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