Lindauer Zeitung

Die Mutter aller Fußball-Entgleisun­gen

Genie, Diva, Enfant terrible: Vor 25 Jahren rastete Cantona mit seinem Kung-Fu-Tritt aus

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(SID) - Eric Cantona klappte seinen Kragen herunter und schaute noch einmal empört zurück. Ja, der Schiedsric­hter hatte ihm, „Le Roi“, dem König, tatsächlic­h Rot gezeigt, wegen eines kleinen Remplers. Cantona trottete also in Richtung Kabine, die Anhänger auf den Tribünen des Selhurst Park johlten und grölten – da passierte es.

Cantona rannte los, sprang ab und rammte einem Fan den rechten Fuß in die Brust. Cantona fiel nach diesem legendären Kung-Fu-Tritt auf einen Zaun, er rappelte sich wieder hoch und legte mit den Fäusten nach. Die Bilder gingen um die Welt. „Wenn er meint, dass ihm auf dem Platz Unrecht geschieht, kann er für Sekunden jegliche Kontrolle verlieren“, sagte sein Trainer Alex Ferguson einmal über Cantona: „Dann nimmt er das Gesetz in die eigene Hand – und wir sind machtlos.“

25 Jahre ist es nun her, dass Cantona das Gesetz in die eigenen Hände nahm und spektakulä­r ausrastete – weil ein gewisser Matthew Simmons ihn, seine Mutter und seine Herkunft am 25. Januar 1995 übelst beleidigt haben soll. Cantona entging später nur knapp dem Gefängnis, wurde monatelang gesperrt und musste 120 Sozialstun­den leisten. Trotzdem: Noch heute ist das Genie, die Diva, das Enfant terrible, die Legende von Manchester United, stolz auf das, was er damals getan hat.

„Die Möwen folgen dem Fischkutte­r, weil sie glauben, dass die Sardinen wieder ins Meer geworfen werden.“

Eric Cantonas legendärer Satz

Der Tritt sei der Höhepunkt seiner Laufbahn gewesen, sagte der Franzose einmal. Er habe sich dazu hinreißen lassen, um „die Fans glücklich“zu machen, sagte Cantona, „vielleicht träumen viele davon, diese Art von Menschen zu treten. Ich habe es für sie getan. Das gibt ihnen eine Art von Freiheit.“Bei einer Pressekonf­erenz nach dem Ausraster in der Partie gegen Crystal Palace hatte er nur einen einzigen Satz gesagt: „Die Möwen folgen dem Fischkutte­r, weil sie glauben, dass die Sardinen wieder ins Meer geworfen werden.“

Simmons bestreitet übrigens, dass er Cantona beleidigt hatte. „Verdammte Lüge“, sagte er dem Magazin „11Freunde“einmal: „Cantona ist und bleibt ein Dreckskerl“.

Unvergesse­n ist und bleibt Cantona auf jeden Fall. Trotz oder gerade wegen seiner Exzentrik und Eskapaden wurde der heute 53-Jährige zum Helden auf der Insel. Die Fans von United wählten ihn zu ihrem Fußballer des Jahrhunder­ts – trotz George Best, trotz Bobby Charlton.

Im legendären Old Trafford regierte in den neunziger Jahren nur einer – seine Majestät „King Eric“, „Le Roi“. Vor dem Tor war ein gnadenlose­r Vollstreck­er, berüchtigt für seinen Jähzorn. Er wütete auf dem Platz,

schlug Gegner oder eigene Mitspieler, bespuckte gegnerisch­e Fans und bepöbelte seine Trainer. Cantona war Genie und Wahnsinn. Der Mann mit dem aufgestell­ten Kragen holte United aus der Versenkung, ohne Cantona hatten sie bis 1993 insgesamt 26 Jahre nicht mehr die Liga gewonnen. Insgesamt führte Cantona die Red Devils zu vier Meistersch­aften, in 182 Spielen machte er 82 Tore.

Aus Tausenden Kehlen brüllten die Anhänger „Uuuuh – aaaah – Cantonaaaa“, wenn dieser wuchtige Stürmer wie ein eitler Pfau mit durchgedrü­cktem Rücken und eben hochgestel­ltem Trikotkrag­en über den Rasen marschiert­e. Die große Geste beherrscht­e der Enkel spanisch-italienisc­her Immigrante­n schon immer. Kein Wunder, dass Cantona nach seiner Profilaufb­ahn neben der Politik auch die Schauspiel­erei entdeckte.

Das United von heute macht Cantona keinen Spaß mehr. Die Mannschaft zu beobachten sei ein bisschen so, als wenn man „einem alten Mann dabei zusieht, wie er versucht Liebe zu machen“, sagte er. Der ältere Herr gebe alles, aber am Ende sind alle „ein klein wenig enttäuscht“.

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FOTOS: THOMAS SAMSON/AFP 25. Januar 1995: Eric Cantona dreht im Dress von Manchester United durch. Der Rest ist Geschichte. Den Ausraster bezeichnet er trotz monatelang­er Sperre als Höhepunkt seiner Laufbahn.
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Heute ist Eric Cantona, hier mit seiner Frau Rachida Brakni, ein etablierte­r Schauspiel­er. :

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