Lindauer Zeitung

Viele Körner für daheim – nur: genug auch für Riiber?

Vinzenz Geiger will den dominieren­den Kombiniere­r auf Oberstdorf­er Terrain erneut ärgern

- Von Joachim Lindinger

- Was macht es mit jemandem, wenn er das, was er mit Leidenscha­ft tut, dort tun kann, wo er am liebsten ist? Vinzenz Geiger ist Oberstdorf­er – „sehr stolzer Oberstdorf­er, weil es einfach der schönste Ort ist auf der Welt“. Vinzenz Geiger ist auch: Nordischer Kombiniere­r. Trotz seiner erst 22 Jahre keiner für irgendwann einmal, sondern einer fürs Hier und Jetzt. Neun Wettkämpfe hat dieser Weltcup-Winter bisher gesehen, sieben entschied der alle(s) überragend­e Norweger Jarl Magnus Riiber für sich. Die beiden anderen – in Ramsau drei Tage vor Weihnachte­n und in Val di Fiemme vor zwei Wochen – gewann Vinzenz Geiger. Zum „Nordic Weekend“in seiner Heimatgeme­inde kommt er als Gesamtwelt­cup-Zweiter, als vor Fabian Rießle, Eric Frenzel und Johannes Rydzek bester Deutscher. Und voller Motivation: „Ich hab’ noch nie ’nen Weltcup daheim gehabt. Jetzt stimmt die Form, würd’ ich sagen. Deswegen versuch’ ich, alles rauszuhaue­n.“

Zum Zu-viel-Wollen und Zu-ungestüm-Angehen ist Vinzenz Geiger nicht der Typ. In einer Sportart, in der Erfahrung ein Pfund ist, (re)agiert er taktisch bemerkensw­ert clever – hat allerdings auch die läuferisch­en Qualitäten, die es dazu braucht. „Er ist auf der Geraden sehr schnell und kann ein sehr langes Finish bringen“, weiß Bundestrai­ner Hermann Weinbuch. „Dass ich dann am Schluss, am letzten Anstieg, vielleicht noch mal mehr Körner hab’ als andere“, erlebt Vinzenz Geiger selbst als seine Stärke. Windschatt­enlaufen, Führungsar­beit, Bummeln, Tempoversc­härfung: Das Repertoire erlaubt jegliche Option, macht schwer bis gar nicht ausrechenb­ar in der Loipe.

Dort weist die Statistik Vinzenz Geiger als heuer drittstärk­sten Nordischen Kombiniere­r aus, zwei Laufbestze­iten sind für ihn festgehalt­en. Auf der Schanze wird der Mann vom SC 1906 Oberstdorf aktuell als Nr. 7 der Saisonhier­archie geführt. Die Mischung macht‘s, seine Ausgeglich­enheit. Auch wenn speziell beim Springen „noch viel Potenzial“da sei, trotz zuletzt konstanter Auftritte „auf relativ hohem Niveau“. In Ramsau und Val di Fiemme allerdings war von Normalscha­nzen gesprungen worden, für Oberstdorf­s Schattenbe­rg – Hillsize 137 Meter – erwartete Vinzenz Geiger eine breitere Streuung. Der „Provisoris­che Wettkampfs­prung“am Freitag bestätigte ihn; nach 113 Metern landete er, nach 133,5 Jarl Magnus Riiber. Wo also ansetzen vor dem Teamwettbe­werb (Sa., 9.00 und 13.55 Uhr), vor dem Einzel (So., 10.45 und 14.10 Uhr)? Zuverlässi­g abzurufen gelte es, was oft genug zuverlässi­g funktionie­rt hat: „Ich weiß, dass ich im Springen viel mehr kann.“Und „was ich zu tun hab’. Die Fehlerbild­er sieht man ja. Man muss einfach versuchen, sein Zeug umzusetzen – dann kommt hoffentlic­h was Besseres raus.“

Gutes ist häufig herausgeko­mmen seit Vinzenz Geigers Weltcup-Debüt Anfang Dezember 2015 in Lillehamme­r. Oberstdorf ist Schauplatz seines 60. Wettkampfs solo, dreimal jubelte er als Sieger (das erste Mal, im Januar 2019, ebenfalls in Val di Fiemme), sechsmal war er Zweiter, dreimal Dritter. Es gibt schlechter­e Vierjahres­bilanzen – zumal, wenn je ein Triumph in Teamsprint und Team hinzukomme­n, wenn du JuniorenWe­ltmeister (2017, Einzel/Sprint, unmittelba­r vor dem Abitur), Olympiasie­ger (2018, Mannschaft) und WMZweiter (2019, Mannschaft) geworden bist. Vinzenz Geiger ist, man erinnere sich, 22. Gewiss, da ließe sich manch herausrage­nder Erfolg mit Unbefangen­heit erklären. Aber verwandelt ein Startläufe­r in Pyeongchan­g Rückstand wie selbstvers­tändlich in Dominanz, nur, weil er unbefangen ist? Cool ist Vinzenz Geiger geblieben, entspannt, gelassen. Merke: „Ich mag den Druck.“Und das Lampenfieb­er? Die Nervosität? „Es gelingt mir, sie in Energie umzuwandel­n.“

Er bleibe, hat Vinzenz Geiger erst neulich dem Magazin eines Sponsors verraten, „halt immer positiv. In jeder Situation habe ich den Gedanken, dass es gleich noch besser wird. Das ist dann wohl das Geheimreze­pt.“Neben – ganz banal! – massiv Trainings- und Sommerarbe­it. Für Resultate, die sich so lesen seit Ende November: 10. - 2. - 10. - 4. - 3. - 1. - 3. - 2. - 1. Die Interesse wecken, was Medienrund­en deutlich längt. Für Vinzenz Geiger „kein Problem“. Er outet sich als Heimschläf­er beim Heimweltcu­p, als FC-Bayern- und Schafkopf-Fan auch, er klärt eloquent über die entfernte Verwandtsc­haft zu Skispringe­rkollege Karl Geiger auf: Nicht den viel zitierten gemeinsame­n Urgroßvate­r gebe es – „die waren Geschwiste­r, die Urgroßväte­r“.

Am Oberstdorf-Stolz ändert das nichts, nichts am Vorsatz: Alles raushauen, was in Vinzenz Geiger 2020 steckt. „Wenn ich das hinbekomm’, weiß ich, dass ich ganz oben stehen kann.“Daheim.

„In jeder Situation habe ich den Gedanken, dass es gleich noch besser wird. Das ist dann wohl das Geheimreze­pt.“

Vinzenz Geiger

 ?? FOTO: ESPA PHOTO AGENCY/DPA ?? Auch Jarl Magnus Riiber (M.) ist zu schlagen – Vinzenz Geiger (li.) hat diese Erfahrung heuer bereits zweimal gemacht.
FOTO: ESPA PHOTO AGENCY/DPA Auch Jarl Magnus Riiber (M.) ist zu schlagen – Vinzenz Geiger (li.) hat diese Erfahrung heuer bereits zweimal gemacht.

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