Beim Bürger auf der Türschwelle
Von wegen digital: Im Kommunalwahlkampf ziehen Kandidaten von Haus zu Haus
(lby) Nett lächeln an der Haustüre, freundlich sein beim Rosen-Verteilen. In keinem Wahlkampf sind die Kandidaten so nah dran an ihren Wählern wie bei der Kommunalwahl. Er ist so etwas wie die letzte analoge politische Bastion.
Ding, Dong. „Keiner da, weiter.“Benedikt Graf von Bentzel hängt eine kleine, braune Papiertüte, die seinen Namen trägt und auf die Kommunalwahl am 15. März hinweist, an die Tür und geht zum nächsten Haus. Etwa fünf Stunden ist der CSU-Politiker an diesem Nachmittag in Heroldsbach bei Forchheim unterwegs, klingelt an 50 bis 60 Haustüren. Gerade im Ländlichen ist Häuserwahlkampf üblich, wird sogar erwartet. „Es ist auf dem Dorf vielleicht etwas einfacher als in der Stadt – denn da macht man sowieso nicht auf“, sagt der 51-Jährige. Er möchte Erster Bürgermeister der 5200-Einwohner-Gemeinde werden. Doch Klinkenputzen ist mühsam. „Ich bin wie ein Straßenverkäufer“, sagt er und lacht.
Zwei Häuser weiter: Die frühere Apothekerin Edda Shaw öffnet: „Sie können auch gleich da in den Garten“, sagt die 75-Jährige. Die gräfliche Familie mit ihrem Schloss Thurn am Ortsrand ist seit Jahrzehnten stark im Dorf engagiert. „Der Name ist eine Aufgabe, aber keine Bürde“, erzählt der zweifache Vater. „Mich kennen so 90, 95 Prozent der Heroldsbacher.“Auch Edda Shaw. Gefragt nach ihren Wünschen an das mögliche Gemeindeoberhaupt sagt sie: „Wir suchen Spieler für den Schachverein.“Von Bentzel schmunzelt: „Bis ich wieder Zeit zum Schachspielen habe …“und macht sich auf zum nächsten Haus.
Die Parkplatzsituation, Hundekot auf Spielplätzen, das abrisswürdige Bahnhofsgebäude, die Grünanlagenpflege, neue Baugebiete: Kommunalpolitiker sind mit den alltäglichen Problemen der Menschen konfrontiert. „Wenn man mal an der Haustür klingelt, möchte ich mir auch Zeit nehmen“, sagt von Bentzel. „Ich bin allerdings jemand, der ganz wenig verspricht.“Vieles sei wünschenswert, dies muss aber auch in den finanziellen Rahmen einer Gemeinde wie Heroldsbach passen. Seit 18 Jahren ist er Gemeinderat.
„Kommunaler Wahlkampf ist kaum erforscht. Aber Haustürwahlkampf machen nach wie vor die meisten Kandidaten“, sagt David Gehne vom Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung der RuhrUniversität in Bochum. „Der ist auch sinnvoll, wenn man vorher ein bisschen analysiert hat, wohin man gehen sollte. Man sollte möglichst nicht nur die Leute besuchen, die einen ohnehin schon wählen.“
Rund 250 Kilometer südlich von Heroldsbach, im oberbayerischen Kirchseeon, reicht es Domenico Ciccia nicht, vor der Haustür zu stehen. Er will rein ins Haus – und hat dafür Apfelkuchen dabei, selbst gebacken. Über eine Whatsapp-Gruppe, die sich sonst darüber austauscht, wer sich wann auf dem Spielplatz trifft, hat er angeboten, mit Kuchen vorbeizukommen und zu reden – über sich und Politik in Kirchseeon. Und so sitzt der 40-Jährige an einem düsteren Sonntagnachmittag, wenige Wochen vor der Wahl, mit den Leuten, die er sonst am Sandkasten trifft, im Wohnzimmer einer befreundeten Familie, trinkt Kaffee und isst seinen Kuchen. Neun Erwachsene hören ihm zu – und vier Kinder.
Ciccia ist Sozialarbeiter – und war eigentlich Mitglied der Piratenpartei. Nun tritt er aber als Parteiloser für die SPD an und will Bürgermeister werden in dem 10 000-Seelen-Ort im Münchner Speckgürtel, in dem er mit seiner Familie seit vier Jahren lebt. „Ich will, dass Familien gern in Kirchseeon leben“, sagt er. Dann diskutiert er stundenlang über die fehlende Umgehungsstraße, schlecht beleuchtete Wege, das kaputte Klo am S-Bahnhof und die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, den Spielplatz einzuzäunen, damit die Kinder in unbeobachteten Momenten nicht mehr einfach auf die Straße rennen können. Zum Schluss ist Ciccia heiser – und verweist noch auf seinen Auftritt auf dem Marktplatz ein paar Tage später. „Da bin ich dann der Valentin und verteile Rosen auf dem Marktplatz.“
„Nachbar, Freund, Bekannter von Bekannten – das ist eine andere soziale Ebene und eine Einstiegskarte, überhaupt ins Gespräch zu kommen“, sagt Gehne. Der Kommunalwahlkampf sei die letzte Möglichkeit für Politiker, ganz direkt mit ihren potenziellen Wählern in Kontakt zu treten – und der letzte Wahlkampf mit analogem Schwerpunkt. „Die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen ist gering. Wer geht denn da hin? Das sind eher die Älteren und da ist die Frage, ob man die mit digitalem Wahlkampf noch erreicht.“
Es sei schwerer, die konkreten Wähler vor einer Bürgermeisterwahl im Internet zu finden als mit einem Info-Stand vor dem Edeka. Wichtig seien dabei drei Dinge, sagt Gehne: „Nicht arrogant sein, die Leute nicht von oben herab behandeln und ihnen auch nicht nach dem Mund reden. Das merken die Leute.“
In Heroldsbach düst Bauer Fridolin Lang gerade mit einem Traktor über seinen Hof, als von Bentzel um die Ecke kommt. Händeschütteln, Small Talk in tiefstem Fränkisch. Der Unternehmer rechnet damit, dass sich der Landwirt für ihn entscheidet. Eine Wahlkampftüte – Flaschenöffner, Kugelschreiber, Notizblock und Wahlprogramm inklusive – lässt er dem 80-Jährigen trotzdem da.
Einem anderen Bürger ruft der bisherige Zweite Bürgermeister zu: „Ich hoffe, ich kann bei Dir landen?“Im Zick-zack-Kurs und schnellen Schrittes eilt der gebürtige Bamberger an der Hauptstraße entlang. Plakate mit seinem Konterfei zieren den Weg. Hinzu kommen Facebook oder Instagram – Wahlkampf ist auf vielen Wegen nötig.
Hausbesuche sind zeitintensiv, bieten wiederum einen besonderen Einblick in die Wählerschaft. Manche öffneten im Schlafanzug, andere entschuldigten sich, weil sie noch ungeschminkt seien, berichtet der CSUler, der sich gegen zwei Mitbewerber durchsetzen will. Vielen Einwohnern ruft er nach seinem unangekündigten Besuch zu: „Wenn Ihr gescheit wählt, braucht Ihr nicht zur Stichwahl zu gehen.“