Eine existenzielle Bedrohung für Helfer
Wohlfahrtsverbände fürchten massive Einbußen durch die Corona-Krise
- Die Corona-Krise bedroht vor allem die Schwächsten der Gesellschaft – und auch diejenigen, die sich um hilfsbedürftige Menschen kümmern. Sozial- und Wohlfahrtsverbände in Bayern und Baden-Württemberg befürchten massive finanzielle Einbußen. Sie sehen neben der gesundheitlichen Bedrohung für Mitarbeiter und Klienten auch existenzielle wirtschaftliche Gefahren durch das Coronavirus. Einigen Hilfsangeboten droht das Aus. Sozialunternehmen schätzen den Nutzen des am Mittwoch vom Bundestag verabschiedeten Rettungsschirms unterschiedlich ein.
Denn Wohlfahrtsverbände dürfen nur kleine Risikorücklagen aufbauen. Sie sind für schlechte Zeiten also kaum gerüstet. Daher werden Sozialunternehmen, die ihre Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Kindergärten oder Beratungsstellen aus Gründen des Infektionsschutzes schließen müssen, hart getroffen. Mieten und Personalkosten müssen sie weiter tragen, die Finanzierung ist jedoch nicht gesichert.
„Unsere Organisation darf nur sehr geringe finanzielle Rücklagen bilden, um weiterhin gemeinnützig zu bleiben“, erklärt Heiner Heizmann, Experte für Sozialpolitik des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
„Wir zielen nicht auf Gewinn ab, sondern letztendlich auf eine gute Dienstleistung im Auftrag des Staates für die Menschen.“Der Großteil dieser Dienstleistungen basiert auf persönlichem Kontakt zu den Klienten. Zum Schutz vor einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus aber sind direkte Begegnungen größtenteils untersagt. Für die verschiedenen Beratungsstellen der Caritas bedeute das, dass Gespräche überwiegend „telefonisch“stattfinden, so Heizmann. Dadurch sinke die Zahl an Kunden und damit auch die Finanzierung.
Er betont die Notwendigkeit, auch weiterhin die Strukturen und Betreuungsangebote auskömmlich zu finanzieren, was mit der Ausweitung des Rettungsschirms auf Sozialbetriebe auch zu großen Teilen abgedeckt sei. Dennoch seien einige Anbieter – etwa in der mobilen Altenpflege oder Behindertenhilfe – jetzt schon am Kämpfen. „Wenn die Finanzierung zumindest der Basiskosten nicht weiterläuft, wird es diese nicht mehr lange geben“, sagt der Caritas-Experte. Dabei, so ist sich Heizmann sicher, werden als Folge der Corona-Krise Hilfsangebote für ärmere Menschen und Alleinstehende wichtiger werden.
Noch ist nicht klar, ob weiterhin alle Gelder dafür fließen werden. Grundsätzlich refinanziert die öffentliche Hand Angebote für Kinder,
Menschen mit Behinderung, Obdachlose oder Alte, da Wohlfahrtsverbände diese im staatlichen Auftrag vorhalten. Verschiedene Kostenträger zahlen für die unterschiedlichen Dienstleistungen, die Landkreise beispielsweise für die Behindertenhilfe, die Jugendämter für die Jugendhilfe und das Land über die Regierungspräsidien für die Schulen.
„Dadurch haben wir eine größere Verlässlichkeit und Stabilität als die Privatwirtschaft“, erklärt Sarah Benkißer, Sprecherin des diakonischen Sozialunternehmens Zieglersche in Wilhelmsdorf (Kreis Ravensburg). „Auf der anderen Seite hilft das natürlich nur, wenn die Kostenträger diese Mehrkosten auch übernehmen.“Dass die Sozialwirtschaft unter den am Mittwoch im Bundestag verabschiedeten Rettungsschirm komme, sei ein wichtiger Schritt, „aber die Kuh ist noch nicht vom Eis“, so die Sprecherin.
Zwischen der im Gesetzentwurf formulierten Absichtserklärung und einer konkreten Kostenzusage liege nämlich noch ein Gestaltungsspielraum für die einzelnen Kostenträger. „Vor allem die Suchthilfe macht uns derzeit richtig Bauchschmerzen. Da haben wir seitens der Deutschen Rentenversicherung Bund Signale bekommen – die allerdings nicht auf Rückendeckung schließen lassen.“
Bezahlt werden für die „ohnehin schon schlecht finanzierte Suchthilfe“Tagessätze. Für gewöhnlich werde am gleichen Tag ein Platz wiederbelegt, wenn ein Patient seine Reha beendet. Wenn nun aber eine Klinik wegen eines Corona-Falles geschlossen werden müsste oder Patienten aus Angst ihre Reha nicht antreten möchten, entstünden massive Einbußen. „Wenn die Politik hier nicht einspringt, könnte das unsere Suchthilfe langfristig existenziell bedrohen“, so Benkißer.
Die genauen wirtschaftlichen Folgen ließen sich derzeit noch nicht absehen. „Momentan sieht es so aus, als ob es zu Mindererlösen in allen betroffenen Bereichen kommen könnte. Dass die Politik die Hilferufe unserer Verbände gehört hat, macht uns aber Hoffnung“, sagt Benkißer.
Die Freie Wohlfahrtspflege Bayern fordert daher vom Freistaat einen eigenen Schutzschirm für soziale Einrichtungen. Die auf Bundesebene beschlossenen Maßnahmen seien zu begrüßen, reichten aber nicht aus, sagte deren Vorsitzender, Landes-CaritasDirektor Bernhard Piendl, am Freitag in München. Bayern solle von der Öffnungsklausel Gebrauch machen und den durchschnittlichen Zuschuss von 75 Prozent erhöhen. Wenn die soziale Infrastruktur die Krise überstehen solle, müssten die Zuwendungen der Leistungsträger die Kosten decken.