Lindauer Zeitung

Wahl ohne Kampf

Anwärter auf den Münchner OB-Posten werben wegen der Corona-Krise unter widrigen Umständen um Stimmen

- Von Patrik Stäbler

- Sogar die Kanzlerin ist extra nach München geflogen – drei Tage vor der Stichwahl ums Oberbürger­meisteramt. Vor 500 Besuchern im Augustiner­keller warb Angela Merkel für einen Wechsel an der Spitze des Rathauses, von SPD zu CSU. Auch die Sozialdemo­kraten setzten auf ein prominente­s Gesicht: Nur wenige Stunden vor dem Merkel’schen Auftritt rührte Christian Ude die Werbetromm­el am Stachus. Er war von 1993 bis 2014 Oberbürger­meister von München und fuhr in dieser Zeit Wahlergebn­isse ein, wie sie schon damals für die SPD unglaublic­h waren.

Ja, so lief der Wahlkampfe­ndspurt vor sechs Jahren, als Dieter Reiter (SPD) und Josef Schmid (CSU) um den Chefsessel im Rathaus rangen. Je näher die Abstimmung rückte, desto stärker setzten sie auf prominente Unterstütz­er, desto mehr Infostände bauten sie auf und desto fleißiger klebten sie Plakate. Und heute? Da steht zwar wieder eine OB-Stichwahl in München an, erneut zwischen Vertretern von SPD und CSU, zwischen Amtsinhabe­r Dieter Reiter und Herausford­ererin Kristina Frank. Jedoch ist diesmal alles anders als 2014. Denn: Die Corona-Krise hat Wahlkampf und Wahlkämpfe­r lahmgelegt, was die Abstimmung am Sonntag zu einer Wahl (fast) ohne Kampf macht.

Ein Anruf bei Roland Fischer, Vizechef der Münchner SPD und deren Wahlkampfl­eiter. Wie der Wahlkampf laufe? „Welcher Wahlkampf “, fragt Fischer zurück. Quasi mit dem Wahlsonnta­g am 15. März begann die Corona-Krise zu eskalieren. „Und jetzt können wir all das nicht mehr machen, was man üblicherwe­ise unter Wahlkampf versteht“, sagt Fischer. Es gibt weder Infostände noch Flyer in den Briefkäste­n. Und auch die Plakate werden nicht überklebt. „Wir haben vergangene Woche neu plakatiert und wollten das jetzt eigentlich noch mal machen“, sagt Fischer. Doch infolge der Ausgangsbe­schränkung­en verzichte man darauf – „weil beim Plakatiere­n ja auch immer mehrere Personen gemeinsam unterwegs sind“.

Doch kann die Münchner SPD nicht nur zurzeit kaum Wahlkampf machen, sondern es fehlt ihr auch der Kandidat. „Dieter Reiter ist rund um die Uhr mit Corona beschäftig­t“, sagt Fischer. „Ich bin selbst froh, wenn ich ihn kurz ans Handy bekomme oder wir uns Nachrichte­n schreiben können.“In Reiters Kalender stehe kein Wahlkampft­ermin.

Es ist fraglos eine unbefriedi­gende Situation. Dieter Reiter ist als OB aber derzeit omnipräsen­t in den Medien; überdies bietet ihm sein Amt aktuell reichlich Gelegenhei­t zur Profilieru­ng. Und nicht zuletzt dürften sich in unsicheren Zeiten wie diesen auch viele nach Stabilität sehnen. Auf den Wahltag gemünzt: Wer sich Sicherheit wünscht, der macht sein Kreuzchen lieber beim Amtsinhabe­r.

„Ich denke, dass sich die Vor- und Nachteile in etwa die Waage halten“, sagt Roland Fischer. Seine größte Sorge ist, dass bei der Abstimmung am Sonntag, die als reine Briefwahl stattfinde­t, etliche SPD-Anhänger ihre Stimme nicht abgeben, „weil sie denken, dass es für Dieter Reiter ohnehin reicht“. Schließlic­h kam der Amtsinhabe­r im ersten Wahlgang auf 47,9 Prozent und holte mehr Stimmen als Kristina Frank (21,3 Prozent) und die Grünen-Kandidatin Katrin Habenschad­en (20,7 Prozent) zusammen.

Entspreche­nd geht Reiter als Favorit in die Stichwahl – jedoch hat seine Gegnerin durchaus Erfahrung mit Überraschu­ngen. Denn dass es die

CSU-Frau überhaupt in die zweite Runde schaffen würde, hatten im Vorfeld nur wenige erwartet. Vielmehr gingen die meisten Prognosen von einem Reiter-Triumph im ersten Anlauf oder einem Duell mit Habenschad­en aus, deren Grüne bei der Kommunalwa­hl stärkste Kraft im Stadtrat wurden. Doch im Kampf ums OB-Amt schob sich die 38-Jährige Frank an ihrer Rivalin vorbei.

Frank ist als Kommunalre­ferentin im Rathaus zurzeit ebenfalls mit der Corona-Pandemie beschäftig­t. Zugleich führt sie aber eifrig Wahlkampf – im Internet. Hier biete sich „ein breites Betätigung­sfeld“, sagt Frank Gübner, Geschäftsf­ührer der Münchner CSU, der auf Videos, Online-Werbung, Fragerunde­n und andere Formate verweist. Mehrmals am Tag postet sie über ihre Social-Media-Kanäle, darunter ein Videotageb­uch namens #KristiNAH bis hin zu einer OnlinePres­sekonferen­z, bei der sie ihr 100Tage-Programm vorstellt.

Am Dienstag besuchte Ministerpr­äsident Markus Söder seine Parteifreu­ndin und beantworte­te mit ihr Bürgerfrag­en – im Livestream und nicht analog wie bei Angela Merkel vor sechs Jahren. Damals freilich konnte auch die Unterstütz­ung der Kanzlerin nicht verhindern, dass die CSU in der Stichwahl den Kürzeren zog: 56,7 Prozent der Münchner stimmten 2014 für Reiter.

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FOTO: STÄBLER Durch die Ausgangsbe­schränkung­en konnten die Wahlplakat­e nicht erneuert werden.

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