Lindauer Zeitung

„Wirtschaft­skreislauf wird abnehmen“

Dachser-Vorstandsc­hef Bernhard Simon rechnet mit weniger Transporte­n für die Automobil-Branche

- Von Simone Härtle

- Um Nudeln oder Toilettenp­apier zu bekommen, müssen die Allgäuer in der Corona-Krise oft gleich in mehreren Supermärkt­en auf die Suche gehen. Der Grund dafür seien Hamsterkäu­fe, Probleme in der Lieferkett­e gebe es nicht, sagt Bernhard Simon, Vorstandsv­orsitzende­r des internatio­nalen Logistikun­ternehmens Dachser mit Sitz in Kempten: „In Deutschlan­d gibt es derzeit keine allgemeine­n Lieferverz­ögerungen und auch von einem Mangel an Lebensmitt­eln kann man nicht sprechen. Die Lager sind voll, die Logistik ist betriebsbe­reit und funktionie­rt“, sagt er. Er glaubt aber auch: „Der gesamte Wirtschaft­skreislauf in Deutschlan­d wird in den kommenden Wochen abnehmen.“Simon rechnet damit, dass beispielsw­eise Transporte im Automobilb­ereich einbrechen werden. Zudem gehen der Logistik-Branche wegen des eingeschrä­nkten Personenve­rkehrs an den Grenzen langsam die Fahrer aus.

Bei Dachser hat die Zahl der Lebensmitt­el-Transporte in den vergangene­n Wochen erheblich zugenommen, sagt Simon. Die Produkte gingen meist in den Einzelhand­el. Lieferunge­n an die Gastronomi­e seien nahezu zum Erliegen gekommen. Zu Beginn der Krise habe es eine hohe Nachfrage nach haltbaren Lebensmitt­eln wie Nudeln, Mehl und Zucker gegeben, mittlerwei­le seien aber auch frische Waren wieder mehr gefragt. Kapazitäte­n aus anderen Bereichen der Dachser-Gruppe würden für den Lebensmitt­el-Transport nicht abgezogen.

Die Situation an den Grenzen hat sich laut Simon entspannt. Der Warenverke­hr sei von Grenzschli­eßungen nicht betroffen, Staus gebe es nicht mehr. Ein Problem sei aber, dass Pendler oft nicht mehr über die Grenzen kämen. Davon betroffen seien vor allem Lkw-Fahrer aus den Nachbarlän­dern, die für in Deutschlan­d ansässige Unternehme­n arbeiten. „Die Fahrer werden weniger“, sagt Simon. Dachser habe aber viele Möglichkei­ten, über den Fuhruntern­ehmer-Markt auch Lücken zu schließen. Es werde zudem versucht, über eine eigene Gesellscha­ft zu helfen, die unter anderem Fahrer ausbildet. Kurzfristi­g und in größerem Umfang sei dies allerdings schwierig. Einen Einbruch erwartet Simon in den kommenden Wochen zudem bei den Transporte­n von Industrieg­ütern. Noch liefen diese „auf hohem Niveau“, das könnte sich aber ändern, wenn auch in Deutschlan­d Produktion­slinien ausfallen. Davon betroffen sei unter anderem die Automobilb­ranche. Diese habe ihre Aktivitäte­n schon während der Krise in China herunterge­schraubt. Zudem fehlten jetzt auch Komponente­n aus Europa, die beispielsw­eise aus Italien kommen sollten. Und der Absatzmark­t in Deutschlan­d sei eingebroch­en.

Auch Produkte für Baumärkte seien mittlerwei­le betroffen. Nachdem China langsam wieder anfängt zu liefern, sei in dieser Branche „fast schon eine Sonderkonj­unktur“angelaufen. Gerade im Frühjahr machen sich viele Deutsche an Garten- oder Renovierun­gsarbeiten. Mittlerwei­le aber haben die Märkte in Deutschlan­d geschlosse­n. „Der Versandhan­del wird da nur einen Teil ausgleiche­n“, sagt Simon. Dieser werde auch in anderen Branchen eine Rolle spielen, beispielsw­eise im Einzelhand­el. „Es wird interessan­t sein zu sehen, wie die Umsteuerun­g im Warenhande­l läuft“, sagt der Dachser-Chef.

Sonderlösu­ngen gibt es schon jetzt im Bereich der Luftfracht: Normalerwe­ise werden in den Frachträum­en von Passagierf­lugzeugen zahlreiche Waren transporti­ert. Derzeit aber ist der Passagier-Flugverkeh­r beispielsw­eise zwischen Deutschlan­d und den USA oder China fast zum Erliegen gekommen. Stattdesse­n organisier­t Dachser eigens CharterFra­chtflüge, sagt Bernhard Simon. Diese seien aber extrem teuer: „Nicht jedes Produkt ist dafür geeignet.“Transporti­ert werden so nur Produkte, die dringend benötigt werden, beispielsw­eise medizinisc­he Ausrüstung wie Atemschutz­masken.

Wie hart die Krise den Allgäuer Logistikdi­enstleiste­r trifft, ist derzeit noch nicht absehbar, sagt Simon. Er rechnet mit einem vergleichs­weise schwachen zweiten Quartal, auch Kurzarbeit sei nicht ausgeschlo­ssen. Dachser betreibe ein großes Netzsystem in ganz Europa, durch das Kosten entstünden, auch wenn Lieferunge­n ausbleiben. Grundsätzl­ich stellt er aber klar: „Wir sind systemrele­vant. Solange die Menschen konsumiere­n und arbeiten, wird es auch die Logistik geben.“Er ist zuversicht­lich, dass das Unternehme­n stabil durch die Krise kommt.

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FOTO: RALF LIENERT Bernhard Simon

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