Lindauer Zeitung

Der Dirigent verlässt die Bühne

Sebastian Reiner hört mit dem Fußball auf – Wegen Corona-Krise vielleicht ein früherer Abschied

- Von Maximilian Kroh und Thorsten Kern

- Seit der B-Jugend hat Sebastian Reiner für den FV Ravensburg gespielt. Nach dieser Saison ist damit Schluss. Wegen anhaltende­r Hüftproble­me hat Reiner seinen Vertrag beim FV nicht verlängert. Während es für Reiner zumindest körperlich der Erlösung von einer Qual gleichkomm­t, verliert der Verein einen seiner ganz wichtigen Spieler. Weil derzeit unklar ist, ob und wann die Saison in der Fußball-Oberliga zu Ende gespielt werden kann, könnte es ein abruptes Karriereen­de sein.

„Es ist leider alternativ­los“, sagt Reiner, dem anzumerken ist, wie schwer ihm die Entscheidu­ng gefallen war. Aus angeborene­n Hüftproble­men ist inzwischen eine beginnende Arthrose geworden, die Situation hat sich in den vergangene­n Jahren durch die hohe Belastung deutlich verschlimm­ert. „Ohne einen Schlussstr­ich brauche ich bald zwei neue Hüften“, erklärt Reiner. Schon in der vergangene­n Saison hatte der 29-Jährige permanent mit Problemen zu kämpfen, muss seither täglich zum Physiother­apeuten.

Trotzdem verlängert­e er vor einem guten Jahr seinen Vertrag nochmal. „Es ist einfach etwas Besonderes hier. Ich unterstütz­e die Jungs, sie sind alle meine Kumpels“, begründet Reiner seine Entscheidu­ng. In dieser Saison war er vor allem neben dem Platz gefragt, gab seine Erfahrung an jüngere Spieler wie Manuel Geiselhart weiter. Als im Laufe der Saison Stammspiel­er wie Moritz Jeggle oder Felix Hörger verletzt waren, stand Reiner aber auch auf dem Platz. 60, 65 Minuten hielt er bei seinen 13 Saisonspie­len maximal durch, ohne Schmerzmit­tel ging allerdings gar nichts. „Jetzt bin ich an dem Punkt, an dem es nicht mehr weitergeht.“

Neben anderen langjährig­en FVLeistung­strägern wie dem derzeit verletzten Jascha Fiesel, Sebastian Mähr, Jona Boneberger oder Thomas Zimmermann gehört Reiner zum 91er-Jahrgang der Ravensburg­er. Seit der Jugend spielt der Kern der heutigen ersten Mannschaft zusammen. „Wir sind damals einfach ins kalte Wasser geworfen worden, der Verein stand nicht so prickelnd da. Das war goldwert für uns“, erinnert sich Reiner. Mit den 91ern stieg der FV in die Oberliga auf, er gewann den WFVPokal und spielte in Pfullendor­f vor 8000 Zuschauern im DFB-Pokal gegen den Bundesligi­sten FC Augsburg.

Mittendrin – und zwar wortwörtli­ch – war Sebastian Reiner. Bei beiden Pokal-Highlights stand er über die gesamte Spielzeit als zentraler Mittelfeld­spieler auf dem Platz.

Dabei ist Reiner kein Sechser alter Schule, kommt mit seinen 1,70 Meter nicht über die Physis, „der Schnellste bin ich sicher auch nicht“, sagt er selbst. „Meine Stärken sind die Ruhe am Ball und das Passspiel.“

Reiner ist der Regisseur und Dirigent des FV-Spiels, seine Spielweise erinnert eher an Xavi als an Arturo Vidal. Auch seine Aussagen passen dazu. Für die restliche Saison – sofern sie denn stattfinde­t – will Reiner sich keine persönlich­en Ziele setzen, die Mannschaft gehe vor. „Im Pokal oder der Liga noch oben anzugreife­n, das ist mein Ziel. Das Persönlich­e ist zweitrangi­g“, erklärt der 29-Jährige.

„Er wird uns fehlen“, sagt FV-Trainer Steffen Wohlfarth. „Auf und neben dem Platz.“Reiners Vater ist Wohlfarths Patenonkel, „ich kenne ihn, seit er auf der Welt ist“, sagt Wohlfarth. Für Sebastian Reiner ist Steffen Wohlfarth, sein langjährig­er Mitspieler und dann auch Trainer, eine Art Vorbild, „ich bin schon als kleiner Junge immer nach Freiburg oder Ingolstadt zu Steffens Spielen gefahren“, erzählt er. Wohlfarth ist

„Es tut weh zu sehen, dass er will, aber nicht kann.“

FV-Trainer Steffen Wohlfarth

auch schon lange in den Entscheidu­ngsprozess um Reiners Karriereen­de involviert. „Es ist eine schwierige Situation für mich, denn ich weiß, wie viel er für seine Gesundheit investiert“, sagt Ravensburg­s Coach. „Es tut schon weh, zu sehen, dass er will, aber nicht kann.“

Der FV würde Reiner gerne im Verein halten, in welcher Funktion auch immer. „Er ist ein verdienter Spieler und für ihn ist das Karriereen­de ein brutaler Schritt“, erklärt Ravensburg­s Sportliche­r Leiter Fabian Hummel. „Wir wollen ihm unsere Wertschätz­ung zeigen.“Hummel hat angesichts der Krise durch das Coronaviru­s derzeit wichtigere Dinge zu klären. Wie geht es beim FV finanziell weiter? Können Trainer und Spieler weiter bezahlt werden? Was machen die Sponsoren? Wann darf wieder trainiert werden? Diese Fragen sind momentan drängender als die Zukunft von Reiner.

Reiner selbst will sich mindestens ein Jahr eine Auszeit nehmen. Er will beobachten, wie seine Hüfte darauf reagiert, nicht mehr viermal die Woche zu trainieren und wie schwer ihm das Leben ohne den Fußball fällt. „Ich habe Respekt davor, es wird mir auf jeden Fall fehlen“, sagt Sebastian Reiner. Vollständi­g schließt aber auch er die Tür nicht. „Es kann schon sein, dass ich in ein, zwei Jahren wieder beim FV auftauche.“

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ARCHIVFOTO: ROLF SCHULTES Sebastian Reiner hängt im Sommer seine Kickschuhe an den berühmten Nagel.

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