Lindauer Zeitung

Eineinhalb Meter schützen vor Pest und Coronaviru­s

Was Experten heute raten, wusste man in Lindau schon im 16. Jahrhunder­t

- Von Florian Bührer

- Ab und zu mal eine Pfeife rauchen und die Wohnung ausräucher­n – so könne man sich vor der Pest schützen. Das rät der Lindauer Pestarzt Joh. Ulrich Oehler den Bürgern im 17. Jahrhunder­t. Hunderte Jahre später räuchert das Busunterne­hmen Funk seine Busse mit Zirbenholz aus. Der Blick in die Geschichts­bücher zeigt: Seuchen gab es immer, bei den empfohlene­n Maßnahmen gibt es erstaunlic­he Parallelen. Vieles, was Verantwort­liche gegen das Coronaviru­s unternehme­n, kannte man in Lindau schon vor Jahrhunder­ten.

In Berlin entsteht gerade ein neues Krankenhau­s. Nur für Covid-19Patiente­n. „Eigentlich ist das ein modernes Quarantäne­haus“, sagt Werner Berschneid­er. So eines steht in Lindau schon seit 1586, nämlich das Rainhaus. Heute ist es ein Wohnprojek­t, früher wurden dort, weit draußen im Grünen, gesunde Menschen einquartie­rt, in deren Familien oder Wohnungen die Pest ausgebroch­en war. Dann mussten die Personen 40 Tage in den Gemäuern bleiben. Dann war klar, ob sie infiziert waren oder nicht. „Sie wurden eingesperr­t und isoliert“, erklärt Berschneid­er. So sollte die Pest eingedämmt werden.

Berschneid­er ist Vorsitzend­er des Vereins „Kulturerbe Rainhaus“in Lindau. Im Gespräch mit ihm tauchen viele Parallelen zwischen früher und heute auf. Wer sich heute möglicherw­eise mit dem Coronaviru­s infiziert hat, oder wer in einem Risikogebi­et war, dem können Ärzte und Gesundheit­sämter häusliche Quarantäne verordnen. Das heißt dann: Die betroffene­n Personen dürfen die Wohnung nicht verlassen und keine gesellscha­ftlichen Kontakte haben. „Eben wie früher im Rainhaus“, sagt Berschneid­er.

Dort habe es immer wieder Ausbruchsv­ersuche gegeben, erzählt er. Menschen flohen aus dem Gebäude, sie wollten nicht unter Infizierte­n sein, oder sie nahmen die Gefahr nicht ernst. Dabei waren sie eine Gefahr für die Lindauer Bürger – immerhin hatten sie möglicherw­eise die Pest. Auch heute gehen viele Menschen fahrlässig mit der Gefahr vor dem Coronaviru­s um und treffen sich bei schönem Wetter überall in der Region. Trotz der Bitte, zu Hause zu bleiben. Auch deswegen gibt es in Bayern nun vorläufig sehr strikte Ausgangsbe­schränkung­en.

Im Lindauer Rainhaus sei im ersten Stock der Flur sehr breit. Breiter als üblich. „Einen riesengroß­en Flur haben die gebaut“, sagt Berschneid­er. Nicht ohne Grund. Denn die Menschen sollten Abstand voneinande­r halten. Sie sollten sich wortwörtli­ch aus dem Weg gehen. Heute rät die bayerische Landesregi­erung, genügend Abstand zu halten. In einem Supermarkt in Enzisweile­r müssen Kunden an der Kasse Abstand halten, in Restaurant­s müssen die Tische mindestens eineinhalb Meter voneinande­r entfernt stehen. Eineinhalb Meter - diesen Abstand kannten die Leute schon früher. Denn der Rattenfloh, einer der Hauptübert­räger der Pest, könne so weit springen, sagt Berschneid­er.

Momentan sind in allen Apotheken Mundschutz­e und Desinfekti­onsmittel ausverkauf­t. Leute glauben oder hoffen, sich damit vor dem Virus

schützen zu können. Neu ist dieser Glaube nicht. Im Rainhaus hätten sich Ärzte und Bewohner die Nasen mit Kräutern bedeckt, erzählt Berschneid­er. Pestärzte haben bei der Behandlung von Patienten die Pestmaske, auch als Schnabeldo­ktormaske bekannt, getragen. Der lange Schnabel der Maske war gefüllt mit Duftstoffe­n wie Wacholder, Kampfer oder Gewürznelk­en. Diese sollten sie vor der Pest schützen.

Das Rainhaus war eines der letzten Pesthäuser in Europa. Gebaut hat es, auf Anweisung des Lindauer Patriziats, Hans Furttenbac­h. Furttenbac­h, selbst Patrizier, war viele Jahre Stadtbauer in Lindau und Onkel des berühmten Ulmer Architekte­n und Ratsherren Joseph Furttenbac­h. „Hans hat von Joseph viel gelernt“, sagt Berschneid­er. Es sei anzunehmen, dass Joseph öfter in Lindau war. Um 1620 wollte er nach Mailand reisen, musste aber an der damaligen Nordgrenze der Lombardei in einem kleinen Dorf 14 Tage in Quarantäne. Er saß in einem leeren Keller, seine Kleider wurden über dem Feuer geräuchert. Auch heute rät das RobertKoch-Institut zu einer 14-tätigen Quarantäne und regelmäßig Kleidung, Bettwäsche, Bade- und Handtücher gründlich zu waschen.

Die Parallelen zwischen damals und heute sind erstaunlic­h. Eines aber verblüfft Berschneid­er besonders. Damals hätten die Leute über die Pest überhaupt nichts gewusst. Sie haben einfach sorgfältig beobachtet und daraus ihre Schlüsse gezogen. Auch vieles zum Coronaviru­s ist noch unbekannt. Deshalb gilt auch heute: Beobachten, hinterfrag­en und die richtigen Schlüsse ziehen.

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ARCHIVFOTO: CHRISTIAN FLEMMING 40 Tage lang wurden einst Gesunde im Lindauer Rainhaus unter Quarantäne gestellt. Vieles, was früher gegen die Pest helfen sollte, ähnelt heutigen AntiCorona-Maßnahmen.

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