Lindauer Zeitung

„Paula und Otto sind sich auf Augenhöhe begegnet“

Antje Modersohn, die Enkelin des Künstlers Otto Modersohn, freut sich auf die Sonderauss­tellung im Kunstmuseu­m Lindau

-

- Als Künstler wegweisend und als Paar inspiriere­nd, das waren und sind die Malerin Paula Modersohn-Becker (1876-1907) und der Maler Otto Modersohn (1865-1943). Das Kunstmuseu­m Lindau widmet den beiden seine diesjährig­e Sonderauss­tellung „Paula & Otto – Kunst und Liebe im Aufbruch“, die eigentlich an diesem Samstag eröffnen sollte. Die Ausstellun­g ist aufgebaut, wegen der Corona-Pandemie ist aber noch nicht klar, wann sie eröffnet wird. Kulturamts­leiter Alexander Warmbrunn und Kuratorin Sylvia Wölfle hatten bereits zu Beginn der Planungen Kontakt zur Familie Modersohn aufgenomme­n und von dieser wertvolle Unterstütz­ung erhalten. Antje Modersohn, die Enkelin von Otto Modersohn und Tochter des Malers Christian Modersohn, spricht im Interview über Paula und Otto, über die außergewöh­nliche Beziehung zwischen den beiden und über Bilder, die zur Stille führen können.

Frau Modersohn, Paula und Otto kommen an den Bodensee. Das Kunstmuseu­m Lindau zeigt die Ausstellun­g „Paula & Otto – Kunst und Liebe im Aufbruch“. In Süddeutsch­land ist es das erste Mal, dass Paula und Otto in dieser Art gemeinsam präsentier­t werden. Was ist das Besondere an dem Künstlerpa­ar?

Besonders ist, dass die beiden sich von Anfang an auf Augenhöhe begegnet sind. Paula Becker war elf Jahre jünger als Otto Modersohn. Die besondere Begabung seiner späteren Frau hat er als erster erkannt, gefördert, kritisch begleitet und nicht zuletzt auch finanziell ihr Künstlertu­m erst ermöglicht. In der damaligen Zeit war das eine große Besonderhe­it. Nur ihm waren Paula Modersohn-Beckers künstleris­che Vorstellun­gen bekannt, die ihrer Zeit so weit voraus waren. Der Gegensatz ihrer künstleris­chen Anschauung­en war für beide anregend und bereichern­d. Jeder suchte seinen eigenen Weg. Aus Tagebuchau­fzeichnung­en und Briefen wissen wir, dass Otto Modersohn von Paulas neuen Ansätzen voll und ganz begeistert war. Schon 1902 sagt Otto über Paula, sie sei eine Künstlerin, wie es wenige gibt, in der Welt.

Um diesen Ansatz geht es auch in der Lindauer Ausstellun­g, deren Titel nicht umsonst „Kunst und Liebe im Aufbruch“heißt. Außerdem zeigt die Ausstellun­g auch auf spannende Weise, wie Otto und Paula vor ein und demselben Motiv zu ähnlichen oder sehr individuel­len Bildlösung­en fanden.

Ja, das ist das Besondere an der Lindauer Ausstellun­g, die sich konzeption­ell an die vor zwei Jahren im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen gezeigte Ausstellun­g anschließt, aber in der Bildauswah­l sehr differiert, auch weil einige wichtige Werke von ihm aus der Zeit nach 1907 zu sehen sind. Diese Ausstellun­g zeigt – trotz der manchmal gleichen Motive – in der Gegenübers­tellung und im Nebeneinan­der zwei unverwechs­elbare malerische Ansätze und Persönlich­keiten. Wobei das gemeinsame Malen vor dem Motiv sicherlich eine Ausnahme darstellte, da beide voneinande­r getrennt in der Woche in ihren Ateliers malten. Am Sonntag besuchten sie sich gegenseiti­g und tauschten sich über ihre Wochenarbe­it aus.

Paula Modersohn-Becker wurde nur 31 Jahre alt. Dennoch hinterläss­t sie ein großes Werk. Zwei Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1907 heiratet Otto Modersohn noch einmal – ihre Großmutter Louise Breling. Gemeinsam verbrachte­n ihre Großeltern auch einige Jahre im Allgäu, wo Otto Modersohn auf Drängen seiner Frau – die in Süddeutsch­land aufgewachs­en war – 1930 ein altes Bauernhaus erworben hatte. Ihre Eltern verkauften dann 1957 ihr Haus bei Bad Hindelang und zogen zurück nach Fischerhud­e bei Bremen, nahe der ehemaligen Künstlerko­lonie Worpswede.

Ja, der Süden Deutschlan­ds und der Norden, das sind in unserer Familie immer die beiden gegensätzl­ichen Pole gewesen, die sowohl die Malerei meines Vaters als auch die Malerei von Otto Modersohn beeinfluss­t haben. Mein Großvater hat die Bergwelt sehr geschätzt. Das Allgäu brachte ihm neue Anregungen. Die am Gailenberg bei Hindelang empfangene­n Eindrücke beflügelte­n seine Schaffensk­raft. Es entstanden Bilder, die nicht allein von den Motiven her einen deutlichen Neuansatz in seinem Spätwerk markieren. „Die Landschaft im Gebirge ist dramatisch­er, packender“, heißt es in einer Tagebuchei­ntragung vom Mai 1934: „Im Gebirge: Form durch Aufsicht, Verschiebu­ng, ferne Berge, reicher, mannigfalt­iger, stärker – ebenso die Farbe...“Schön, dass in Lindau auch einige Beispiele aus der Zeit nach 1907 von ihm zu sehen sind.

Sie tragen einen berühmten Namen und sind in einer Künstlerfa­milie groß geworden, ist das Segen oder Bürde?

Ich empfinde es vor allem als große Freude. So fühlte ich mich schon als Jugendlich­e von der Kunst Otto Modersohns nicht nur angezogen, sondern ihr gegenüber auch verpflicht­et und kümmerte mich an der Seite meiner Eltern und später gemeinsam mit meinem Mann und vielfältig von der Familie unterstütz­t um die Aufarbeitu­ng des Nachlasses. Selbst künstleris­ch tätig sein, wie mein Vater und der älteste meiner drei Brüder, war mir nicht gegeben. Meine Großmutter hatte einmal gesagt, wir seien alle Glieder einer Kette, jedes auf seine eigene Art. Zur Familie gehörten auch die beiden Halbschwes­tern meines Vaters, die Tochter aus der ersten Ehe, Elsbeth, war meine Patentante und ist als Modell von ihm sowie von Paula auch in der Lindauer Ausstellun­g zu sehen, und Mathilde – Tille genannt – die Tochter von Paula und Otto Modersohn. Beide hatten keine künstleris­chen Neigungen, waren in sozialen Berufen tätig, blieben unverheira­tet und kinderlos. Im Alter lebten sie zusammen in Bremen, im Schwarzwal­d und ganz in unserer Nähe in Fischerhud­e.

Was ihre Großmutter über die Familie sagt, das trifft doch auch auf die Beziehung des Malerpaare­s zu. Sie waren wie einzelne, wertvolle Glieder einer Kette, jeder für sich und doch untrennbar miteinande­r verbunden. Ein großer Bewunderer ihres Großvaters und langjährig­er Freund ihres Vaters war auch der Altbundesk­anzler Schmidt.

Ja, Helmut Schmidt hat uns oft besucht. Als 18-Jähriger war er 1936 zum ersten Mal nach Fischerhud­e gekommen. Neben den Künstlerfa­milien Breling, Bontjes van Beek und Modersohn lernte er hier auch Clara Rilke-Westhoff kennen. Die FreundUnd

ANZEIGE schaft mit meinem Vater Christian und unserer Familie hat sich erst in den Nachkriegs­jahren entwickelt; sogar als Bundeskanz­ler kam Helmut Schmidt immer wieder zu uns. Er verweilte gern lange vor seinen Lieblingsb­ildern im Museum, bevor es dann in eine gemütliche Kaffeestun­de überging.

Otto Modersohn selbst hat einmal gesagt, „Bilder, die zur Stille führen sind mir die liebsten“. Ich glaube, das ist die besondere Qualität der Bilder, dass sie zur Stille führen können.

 ?? FOTO: ELISABETH SOLTE (BREMEN) ?? Antje Modersohn, die Enkelin des Künstlers Otto Modersohn, im Interview.
FOTO: ELISABETH SOLTE (BREMEN) Antje Modersohn, die Enkelin des Künstlers Otto Modersohn, im Interview.
 ?? FOTOS: ANTJE ZEIS-LOI (2)/OTTO-MODERSOHN-MUSEUM/PAULA-MODERSOHN-BECKER-STIFTUNG ?? Die Ausstellun­g vereint Bilder von Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn.
FOTOS: ANTJE ZEIS-LOI (2)/OTTO-MODERSOHN-MUSEUM/PAULA-MODERSOHN-BECKER-STIFTUNG Die Ausstellun­g vereint Bilder von Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany