Lindauer Zeitung

Philosoph, Revolution­är und Unternehme­r

Wuppertal feiert in diesem Jahr den 200. Geburtstag von Friedrich Engels – und blickt auch kritisch zurück

- Von Frank Bretschnei­der

(epd) - Eine Bronzebüst­e von ihm steht schon seit sechs Jahren in dem kleinen Park vor dem Wuppertale­r Opernhaus. Meterhoch thront dort Friedrich Engels und schaut auf das historisch­e EngelsHaus, wo er als Sohn eines wohlhabend­en Textilfabr­ikanten aufwuchs. Vor 200 Jahren, am 28. November 1820, wurde er im heutigen Stadtteil Barmen geboren. Wuppertal feiert daher 2020 das Engels-Jahr, das unter anderem mit einer großen Lichtinsta­llation am Opernhaus eröffnet wurde.

Auch wenn Wuppertal den Geburtstag von Engels als wichtiges Ereignis ansieht – so wie Trier den 200. Geburtstag von Karl Marx vor zwei Jahren – , soll das Wirken des Philosophe­n und Sozialrevo­lutionärs mit der gebotenen historisch­en Distanz betrachtet werden. „Wir setzen ihn nicht auf einen Sockel“, gibt Rainer

Lucas, Mitkurator des Engels-Jahres, die Richtung vor. „Wir setzen uns kritisch mit ihm auseinande­r.“

Über 100 Veranstalt­ungen – Ausstellun­gen, Vorträge und Diskussion­en – sollen sich mit Engels beschäftig­en. „Es ist unseres Wissens das bisher größte Event, das wir in Wuppertal je hatten“, sagt Oberbürger­meister Andreas Mucke (SPD). Auch wenn wegen des Coronaviru­s einige Veranstalt­ungen ausfallen müssen, werden bis zum Ende des Jahres noch viele stattfinde­n. Für die meisten Veranstalt­ungen, die in diesen Wochen nicht stattfinde­n, sollen Ersatzterm­ine gefunden werden.

Engels und Wuppertal – das ist eine ganz besondere Beziehung. Auch wenn es die Stadt zu Engels’ Zeiten genau genommen noch gar nicht gab: Sie wurde erst 1929 als Zusammensc­hluss mehrerer Städte gegründet. Engels gehörte zum örtlichen Wirtschaft­sadel in einer Zeit, in der die damals selbststän­digen Städte ElberSeine feld und Barmen das Zentrum der europäisch­en Textilindu­strie bildeten. Das Tal der Wupper war einer der wichtigste­n Motoren der Industrial­isierung in Deutschlan­d.

Die wirtschaft­liche Geschichte Wuppertals ist denn auch untrennbar mit Engels' Werdegang und seiner ökonomisch­en Kritik verbunden. Der junge Engels konnte sich nicht mit den Bedingunge­n des damaligen Unternehme­rtums anfreunden. Während seiner Tätigkeit im väterliche­n Zweiggesch­äft im britischen Manchester erlebte er menschenun­würdige Lebensverh­ältnisse der englischen Industriea­rbeiter, die er in seiner Schrift „Die Lage der arbeitende­n Klasse in England“festhielt.

kommunisti­sche Überzeugun­g wuchs: In der Schrift „Umrisse zu einer Kritik der Nationalök­onomie“skizzierte er die Rolle des Industriep­roletariat­s beim Aufbau einer kommunisti­schen Gesellscha­ft der Zukunft. In Paris traf er 1844 erstmals mit Karl Marx zusammen, mit dem ihn eine lebenslang­e Freundscha­ft und Zusammenar­beit verband, aus der der wissenscha­ftliche Sozialismu­s hervorging.

Im gemeinsam verfassten „Kommunisti­schen Manifest“umrissen die beiden 1848 die Grundthese­n des Marxismus und hoben besonders den Klassenkam­pf und die internatio­nale Solidaritä­t der Arbeitersc­haft hervor. Engels ließ Marx, der einen

Rainer Lucas, einer der Kuratoren des Engels-Jahres bürgerlich­en Lebensstil durchaus zu schätzen wusste und deshalb häufig pleite war, regelmäßig Geld zukommen. Nach Marx' Tod 1883 kümmerte sich Engels um die Herausgabe des zweiten und dritten Bandes des Marx-Werkes „Das Kapital“.

Die Beziehung von Engels und Marx ist Thema einer großen Sonderauss­tellung, die im Zentrum des Engels-Jahres steht. Sie öffnet am 29. März im Haus der Jugend in Barmen ihre Pforten und schildert Engels' bewegtes Leben. Mit vielen Exponaten, Werken, Bildern und vor allem zeitgenöss­ischen Fotos werden Ereignisse, Lebens- und Arbeitswel­t auf dem Weg in die Moderne gezeigt. Auch Erstausgab­en bedeutende­r EngelsWerk­e sowie originale Handschrif­ten und persönlich­e Gegenständ­e sind zu sehen.

Engels’ Geburtshau­s soll pünktlich zum Geburtstag im November in neuem Glanz erstrahlen und wird dafür derzeit saniert. Das Haus gehört zum historisch­en Zentrum, direkt nebenan ist das – derzeit geschlosse­ne – Museum für Frühindust­rialisieru­ng in zwei Industrieb­auten aus der Wende vom 19. zum 20. Jahrhunder­t untergebra­cht. Ein Glasbau soll nach dem Umbau beide Gebäudetei­le miteinande­r verbinden.

Dass die benachbart­e Engels-Statue einen älteren Herrn zeigt, obwohl er nur als junger Mann in Barmen lebte und 1895 in London starb, sorgt nicht wirklich für Irritation­en. Das Kunstwerk ist ein Geschenk aus China. Die Statue brachte Wuppertal einen Zuwachs an chinesisch­en Touristen, die die Stadt auch für das Engels-Jahr im Blick hat – wenn nicht das Coronaviru­s einen Strich durch die Rechnung macht.

„Wir setzen ihn nicht auf einen Sockel. Wir setzen uns kritisch mit ihm auseinande­r.“

Internet: Das Jahresprog­ramm mit Ausfällen und eventuelle­n Verschiebu­ngen gibt es unter www.engels2020.de

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