Als die Pest in Lindau wütet
Immer wieder wurden Insel und Umland in ihrer Geschichte von Epidemien heimgesucht
- Immer wieder wurden auch Stadt und Umland von Lindau in ihrer bisherigen Geschichte von Seuchenepidemien heimgesucht.
Erstmals erreichte auch Lindau im Jahre 1348 die heimtückische Pest, und die Menschen wussten nicht, wie mit dieser Massenkrankheit umzugehen sei. Venezianische Kaufleute hatten diese offensichtlich aus Konstantinopel (heute Istanbul) kommend eingeschleppt. Von anderen Kaufleuten wurde sie anschließend über die Alpen gebracht. Während die Inselstadt Lindau damals noch relativ glimpflich davon kam, war dies in den Festlandsgemeinden nicht der Fall. „Auf dem Lande allerdings scheint sie fürchterlich gehaust zu haben; denn wir wissen zufällig, dass in Laimnau infolge der Pest ein Drittel der Höfe verödete“, wie es Franz Joetze in der Lindauer Stadtgeschichte von 1909 formulierte.
Nicht wissend, woher die Seuche stammte und wie sie bekämpft werden könnte, machten auch Lindaus Bürger damals die einheimischen Menschen jüdischen Glaubens zu Sündenböcken hierfür, vertrieben oder ermordeten diese.
Bereits 1439 verängstigte die nächste Pestwelle dann auch die Lindauer. Jene Armen in der Stadt, welche aus den verschiedenen Stiftungen Unterstützung erhielten, sei es beispielsweise in Form von Brot, Mehl oder Bargeld aus dem städtischen „Kleinen Almosen“, mussten sich als Gegenleistung dazu verpflichten, bei Pestepidemien die gefährliche Arbeit des Dienstbotenwesens außer Haus sowie die Pflege der Erkrankten zu übernehmen.
Als 1634 die Seuche erneut wütete, wohnten im damaligen Klösterlein an der Achbrücke (in der Nähe des heutigen Narrenheimes an der Achbrücke) die drei Kapuzinermönche Andreas, Seraphin und Hortulan, welche sich nun auch verstärkt der Krankenpflege widmeten. Pater Andreas „ergriff bald selbst die schreckliche Krankheit und raffte ihn im Alter von 37 Jahren dahin. Auch Hortulan tröstete die Sterbenden, sprach ihnen fromme Gebete vor (…) bis an seinem Körper die Pestbeulen auftraten; kurz darauf verschied auch er. Übrigens waren die aus den evangelischen Predigern gewählten ‚Pestilentarier’ ebenso treu in Erfüllung ihrer Pflicht“, wie Hans Loewe dies in der bereits erwähnten Stadtgeschichte formulierte. Allein vom 15. bis zum frühen 17. Jahrhundert hauste die Pest, mal mehr, mal weniger heftig, 13 Mal auch innerhalb der Lindauer Stadtmauern. Die vielen engen und verschmutzten Gassen in der Stadt boten einen beinahe idealen Nährboden zur Übertragung der Krankheit durch die Mäuse- und Rattenflöhe.
Im Jahre 1612, als die Pest in der Schweiz, im Allgäu sowie in ganz Schwaben wütete, tötete sie innerhalb von neun Monaten, so die ungenaue Überlieferung, rund 50 000 Menschen nur in diesen drei Regionen. In Lindau allein forderte sie etwa 200 Tote. Der Rat der Stadt musste damals nur zur Bezahlung der Pflegerinnen sowie der nun dem Verhungern nahen Armen rund tausend
Florentiner Gulden ausgeben.
Der lange wiederkehrende Schrecken hinterließ über die Jahrhunderte hinweg etliche Spuren auch im Lindauer Brauchtum, in den Mythen sowie im Aberglauben. Thomas Stettner notierte hierzu 1909 in der Stadtgeschichte etwas skeptisch: „Besonders zu erwähnen sind nur die ‚Klöpflesnächte’. In der Adventszeit bis Weihnachten pflegte man an jedem Donnerstag zur Nachtzeit guten Bekannten Erbsen oder kleine Steine ans Fenster zu werfen oder mit einem Holzscheit an Läden und Türen zu klopfen unter Absingen eines scherzhaften Reimes, der mit ‚klopfen’ begann. Später führte man das Entstehen dieses Brauches auf die Pestzeit zurück.“
K. Grünbauer spekulierte rund 20 Jahre später aus einer alten handschriftlichen Oberreitnauer Chronik zitierend über diesen „Schwarzen Tod“: „Der Pestgottesacker in Unterreitnau ist noch eine bleibende Erinnerung an dies allgemeine Sterben (…). Auch das Spiel der Kinder: ‚Fürchtet ihr den Schwarzen Mann?’ ist ein Überbleibsel aus der grausigen Zeit (…). Man trägt auch heute gern eine Blume im Knopfloch. Dieser Brauch ist ein Rest aus der Pestzeit. Damals glaubte man, man könne durch Pflanzenaufgüsse, also durch Tee, die Krankheit heilen, ja sogar abhalten. Später meinte man, man brauche die Pflanze nur bei sich tragen und sie wirke durch ihre Kraft. Nun trägt man die wohlriechenden Blüten im Knopfloch.“